Die Initianten der AHVplus-Initiative behaupten, die AHV sei kerngesund, und sie werde das auch in Zukunft sein. Deshalb könnten wir einer Rentenerhöhung problemlos zustimmen. Tatsächlich wäre es gegen jede Vernunft, wenn wir bei finanziellen Problemen der AHV ihre Ausgaben mit einem Ja am 25. September erhöhen würden.
Stimmt es aber, dass die AHV schwarze Zahlen schreibt und auch für die Zukunft gesichert dasteht?
Auf die erste Frage gibt die AHV-Statistik 2015 Auskunft. Schaut man das Betriebsergebnis, also alle Einnahmen minus alle Ausgaben, der letzten fünf Jahre an, sieht man einen kontinuierlichen Abwärtstrend von plus 320 Millionen (2011) bis minus 580 Millionen im letzten Jahr. Sie haben richtig gelesen: die sinkende Bilanz der letzten Jahre ist seit 2014 in den roten Zahlen. Mit andern Worten, die AHV gibt seit zwei Jahren mehr Geld für Renten aus, als sie mit Beiträgen der Versicherten und der öffentlichen Hand einnimmt.
Dass dies im Moment noch nicht zu einem grösseren Problem führt, liegt am AHVAusgleichsfond, einer Reserve in der Grössenordnung der jährlichen Gesamtausgaben, der nun zum ersten Mal das Defizit der Betriebsrechnung decken muss. Bleibt es weiter so, dass im Umlageverfahren der AHV die Defizite anwachsen, führt das rasch zum Moment, wo der Fonds seine geforderte Reserve unterschreitet oder sogar auf Null schrumpft. Dann müsste der Staat mit einer anderen Kasse einspringen. Es hängt also (fast) alles von der weiteren Entwicklung der Bevölkerung und des wirtschaftlichen Umfelds ab, womit wir bei der zweiten Frage der Zukunft der AHV sind. Dabei sind die relevanten wirtschaftlichen Aussichten sicher weniger genau vorauszusagen, als die demografische Entwicklung.
Weiterhin wird eine steigende Lebenserwartung sowie relativ wenige und immer spätere Geburten dazu führen, dass das Verhältnis der über 64-jährigen Menschen zu demjenigen der 20- bis 64-jährigen Jahren zunimmt. Dies war zwar schon bisher so, jedoch hat eine starke Zuwanderung die werktätige Bevölkerung stark gestützt, was dazu geführt hat, dass die AHV nicht schon früher in die roten Zahlen kippte. Nun gibt es aber einen gewichtigen Unterschied zur bisherigen Entwicklung, der genau voraussagbar ist: die Rolle der Babyboomer Generation. Von 1958 bis 1968 (vor der Pille!) lag die Fruchtbarkeitsziffer der Frauen bei 2.5 Kinder, danach sank sie rasch auf 1.6 ab, wo sie mehr oder weniger stabil bis heute geblieben ist. Dies hat in der Alterspyramide zur Folge, dass die Babyboomer wie ein zusätzlicher Speckgürtel mit der Zeit nach oben wachsen. Heute ist diese zahlenmässig grösste Generation um 50 Jahre alt, also immer noch eine der wichtigsten Einnahmequellen der AHV. Ab Beginn der kommenden 20er-Jahre wechseln sie dann ins Pensionsalter, was eine gravierende Verschlechterung der Bilanz der AHV bedeutet. Und nochmals: Diese Entwicklung wird mit Sicherheit eintreten.
Halten wir hier inne und kommen wir auf die Ausgangsbehauptung der Initianten zurück: Angesichts eines bereits heute vorhandenen Betriebsdefizits der AHV, weiter steigender Lebenserwartung, eher düsterer wirtschaftlicher Aussichten, vermutlich abgebremster Nettoeinwanderung und zusätzlich des baldigen Eintritts der Babyboomer ins Rentenalter scheint mir die Einschätzung der AHV als kerngesund sehr waghalsig!
Besonnene Zeitgenossen (wie Bundesrat und Parlament) denken da an die Schnürung eines Reformpakets, und nicht an eine mutwillige Verschärfung des Problems. Zumal die Konstruktion der Initiative noch gravierende Mängel hat: mit dem vorgesehenen Giesskannenprinzip schenkt sie auch allen Superreichen, die das keineswegs nötig haben, mehr Geld (wer hätte das von den Gewerkschaften erwartet)! Aber damit nicht genug bevorzugt sie durch die vorgeschlagene Prozentlösung nochmals diejenigen, die schon hohe Renten haben: eine bedürftige Frau, die nur eine minimale Rente bekommt, erhält dann einen 10%-Zuschlag, der real natürlich viel kleiner ist als der 10%-Zuschlag eines Reichen mit der Maximalrente.
Als Rentner wäre ich nicht unglücklich, gut 2’000.- pro Jahr mehr zu bekommen, ohne dafür arbeiten zu müssen. Gerade deshalb aber appelliere ich vor allem an alle meine Mit-AHV-BezügerInnen, aus Solidarität mit den Jüngeren die Initiative abzulehnen.
(Leserbrief in „Die Botschaft“, 29. August 2016)
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