Die geplante Substitution von Atomkraftwerken durch Fotovoltaik schafft zunehmende Versorgungsprobleme – vor allem im Winter. Denn Sonnenstrom ist bei weitem nicht so effizient wie Atomstrom.
Originalbeitrag «Schlumpfs Grafik, Folge 21» im Nebelspalter vom 22. November 2021.
Bundesrätin Sommaruga hat neuerdings zwar erkannt, dass wir gegen Ende Winter ein Versorgungsproblem beim Strom haben, sie redet es aber immer noch klein. Gleichzeitig empfiehlt sie den raschen und massiven Ausbau der Erneuerbaren, vor allem der Solaranlagen. Das aber ist ein Widerspruch in sich, weil die Stromeinspeisung von Fotovoltaik (PV) und Kernkraftwerken (KKW) völlig verschieden ist.
Um dies in physikalischer Realität zu zeigen, braucht man die Stundendaten der Plattform der europäischen Übertragungsnetzbetreiber Entso-e (European Network of Transmission System Operators for Electricity). Auf der Webseite dieses Verbandes kann man die Stromflüsse Europas sozusagen in Echtzeit beobachten. Ebenso ist es möglich, vollständige Datensätze aller europäischen Länder herunterzuladen.
Einspeisung und Verbrauch gegenübergestellt
Die hier gezeigte Grafik beruht auf dieser Quelle. Sie beantwortet die Frage: Wie sieht die Stromerzeugung aus Kernkraftwerken und PV-Anlagen in zeitnaher Auflösung über ein ganzes Jahr aus? Weil auf Entso-e nicht die vollständige Schweiz abgebildet ist, habe ich sämtliche Stundendaten der einzelnen Träger so umgerechnet, dass sie in der Jahressumme mit den offiziellen Werten aus der Elektrizitätsstatistik des Bundesamtes für Energie, BFE, übereinstimmen.
Als Referenzjahr habe ich 2019 gewählt, weil in diesem Jahr der Verbrauch noch nicht durch Corona beeinträchtigt wurde. Die folgende Grafik zeigt also für dieses Stichjahr erstens die tatsächliche Stromeinspeisung der Kernkraftwerke, zweitens die hochgerechnete Einspeisung der PV-Anlagen unter der Bedingung, dass sie soweit ausgebaut sind, um dieselbe Jahresmenge Strom zu liefern wie die KKW, sowie drittens den Verbrauch – und zwar in allen 8760 Stunden des Jahres.
(Click auf Grafik vergrössert diese) Dass Sie eine solche Grafik noch nie gesehen haben – es gibt sie in keiner Statistik des Bundes – , deutet auf eine Problematik der Energiewende hin: Den meisten Menschen ist die physikalische Realität der Elektrizitätsversorgung ein Buch mit sieben Siegeln – offenbar auch vielen Politikerinnen und Politikern.
Atomkraft ist zuverlässig und verbrauchsgerecht
Schauen wir deshalb genau hin: Die KKW-Einspeisung (violett, unten) zeigt eine typische Bandstromsituation: Mehr oder weniger konstant wird in jeder Stunde des Jahres die gleich grosse Menge Strom geliefert. Der Jahres-Mittelwert von 2885 Megawatt (MW) ist als schwarz-gestrichelte Linie extra eingezeichnet. Die abweichende Minderproduktion, vor allem im Juni, ist auf die notwendige Revision der Kernkraftwerke zurückzuführen, bei der auch einzelne Brennstäbe ersetzt werden müssen. Sie wird in den Sommer verlegt, weil dann der Verbrauch (grau, in der Mitte) tiefer ist als im Winter. Die Atomkraft-Einspeisung ist insgesamt also zuverlässig und verbrauchsgerecht.
Ganz anders verhält sich der PV-Strom (gelb). Zuerst muss noch präzisiert werden, was hier gezeigt wird: Es ist ein um das 11,6-fache aufgeblähter Ertrag der Solaranlagen von 2019. Mit diesem Faktor wurde jeder Stundenwert multipliziert, damit am Ende die gleiche Jahressumme wie bei den KKW resultiert – insgesamt 25,3 Terawattstunden. Die gelbe Kurve zeigt also den Strominput einer fast 12-fachen Ausweitung der heutigen PV-Flächen an denselben Standorten und mit denselben Neigungswinkeln wie bisher.
Sommerüberschüsse und Winterknappheit bei der Fotovoltaik
Auch wenn wegen der hohen Auflösung (8760 Datenpunkte auf der Horizontalen) Details verborgen bleiben, so ist doch ins Auge stechend, wie fundamental diese Einspeisungsform von derjenigen der KKW abweicht: Erstens fallen die vielen kleinen Solarkraftwerke über Nacht naturgegeben immer aus, was zu einer Kette von einzelnen Tagesspitzen führt. Zweitens zeigen sie starke Ertragsschwankungen im Rhythmus weniger Tage, und drittens bildet die Hüllkurve über das ganze Jahr den systemtypischen jahreszeitlichen Verlauf von Sommerüberschüssen und Winterknappheit ab.
Wie steht es also mit der Zuverlässigkeit des Solarstroms? Offensichtlich schneiden hier die PV-Anlagen viel schlechter ab, als der Atomstrom: Eine Energiequelle, die ständig ausfällt und darüber hinaus noch so unterschiedlich liefert – notabene nach den Launen der Natur – muss als völlig unzuverlässig bezeichnet werden.
Nur 10 Prozent Auslastung beim Sonnenstrom
Dieses Urteil wird bestätigt durch die Betrachtung der sogenannten Arbeitsauslastung. Dabei setzt man die Strommenge, die ein Kraftwerk bei ununterbrochenem Einsatz und voller Leistung während einem Jahr liefert, als 100 Prozent. Davon ausgehend berechnet man anhand der tatsächlichen Leistung, den Prozent-Anteil der Arbeitsauslastung dieses Energieträgers. Bei den KKW war das 2019 87 Prozent, bei den PV-Anlagen 10 Prozent. Das heisst, die Solarpanels liefern durchschnittlich während einer Stunde die maximale Leistung, dann stehen sie neun Sunden still. Oder im direkten Vergleich: Die Atomkraftwerke sind fast 9 Mal effizienter – also zuverlässiger – als die PV-Anlagen.
Aber auch beim Kriterium der Konsumentenfreundlichkeit muss man dem Solarstrom schlechte Noten geben: Sein Sommer-Winter-Verhalten widerspricht den Ansprüchen der Verbraucher fast diametral. Wie die Grafik zeigt, liegt die Verbrauchskurve (grau) von April bis September auf einem etwas tieferen Niveau als im Winterhalbjahr. Massiv in die andere Richtung geht es aber beim PV-Strom: Von Tagesdurchschnittswerten zwischen 2000 bis 4000 Megawatt pro Stunde im Winter bis zu Höchstwerten zwischen 12000 und 18000 im Sommer.
Das Märchen von der Stromspeicherung
Viele werden jetzt einwenden, dass wir den sommerlichen Überschussstrom einfach für den Winter speichern können. Dies ist aber ein reines Wintermärchen, denn für die erforderliche Langzeitspeicherung gibt es noch keine im geforderten Ausmass etablierte Technologie, die auch nur einigermassen kostengünstig ist. Auf dieses Thema werde ich nächste Woche eingehen.
Nur bei einem Aspekt der Versorgungsfreundlichkeit kann der Solarstrom punkten: Seine Spitzenwerte liegen naturgegeben um die Mittagsstunden, zu einer Zeit also, wo auch der Tagesbedarf etwas ansteigt. Bei einem Ausbau der Solaranlagen wie hier simuliert sind die Grössenordnungen allerdings unvergleichbar: Während der Verbrauch am Mittag nur etwa um 1500 Megawatt grösser ist als am Morgen (andeutungsweise sichtbar als graue Zackenlinie in der Grafik), so schiessen die gelben Solarspitzen von Null bis zu 18000 Megawatt hoch: Hier von verbrauchsgerecht zu sprechen, ist unsinnig.
Auch Wasserkraft hat Schwächen
Und schliesslich dürfen wir nicht vergessen, dass wir die Solaranlagen in Ergänzung zur Wasserkraft installieren wollen. Diese hat aber dieselbe Schwäche bei der Bedarfsgerechtigkeit: Ihre natürlichen Wasserzuflüsse fallen zum grossen Teil im Sommer an (im hydrologischen Jahr 2019/20 waren es 68,6 Prozent). Zwar wird dieser Sommerüberschuss durch unser System der Speicherseen zugunsten einer Mehrproduktion im Winter geglättet, aber auch so bleibt diese im Schnitt bei nur etwa 42 Prozent. Es ist einfach zu verstehen, dass damit die Solarproblematik noch verstärkt wird.
Fassen wir zusammen: Einer bedarfsgerecht steuerbaren, zuverlässigen und in hohem Masse effizienten Atomstromerzeugung steht eine vom Sonnenstand abhängige, unzuverlässige und vor allem nicht verbrauchsgerechte PV-Einspeisung gegenüber. Aufgrund dieser Charakterisierung ist es höchst erstaunlich, warum Frau Sommaruga einen raschen und starken Ausbau der PV-Anlagen propagiert.
Ein paar Einwände zu Ihrer wiederholten Verunglimpfung der möglichen Rolle der Solarenergie in der künftigen Energiepolitik der Schweiz (tröstlich ist nur, dass Ihre generelle Einschätzung letztlich durch den Siegeszug der Solarenergie in aller Welt widerlegt wird):
– Hier ist verwendete Effizienz-Begriff unangemesssen, denn auch Atomstrom ist nicht effizient, nur 1/3 der erzeugten Energie wird genutzt (Rest verpufft als Wärme in den Kühltürmen).
– Was mühsam mit Artikel-Grafik herbei geschrieben wird, ist längst allgemein bekannt und weder bestritten noch unlogisch. Aber schon unter Einbezug der Berglagen sieht die mögliche solare Stromproduktion wesentlich anders aus, und damit auch die verwendete Grafik.
– Wenn Sie also die jetztigen Solarkapazitäten um den Faktor 11,6 vergrössern und dabei die gegenwärtige Struktur fortschreiben (fast keine Anlagen in alpinen Gebieten), so wird das der angestrebten Entwicklung (viele Anlagen in den Bergen) eben nicht gerecht.
– Atomkraft ist nicht wie behauptet verbrauchsgerecht – sie produziert beispielsweise in der Nacht Strom, den wir eigentlich nicht brauchen (und der völlig ineffizient in Heizungen geleitet wurde / wird). Zuverlässig ist auch ein grosses Wort: Leibstadt steht seit Monaten still (wo ist da eigentlich der Blackout?). Und international hat beispielsweise Fukushima 2011 die japanische Atomstromproduktion für Jahre still gelegt.
– Nur 10% Auslastung der Solarkapazität sagt wenig aus. Vielmehr liefern die PV-Anlagen während des ganzen Tages und eben nicht nur jede zehnte Stunde, wie mit dieser Aussage suggeriert. Nur liefern sie mal mehr, mal weniger. Wenn hingegen ein AKW ausfällt, was so selten nicht ist, dann herrscht wirkliche Flaute.
– Zum Speicherargument («Viele werden jetzt einwenden, dass wir den sommerlichen Überschussstrom einfach für den Winter speichern können. Dies ist aber ein reines Wintermärchen, denn für die erforderliche Langzeitspeicherung gibt es noch keine im geforderten Ausmass etablierte Technologie, die auch nur einigermassen kostengünstig ist. »): Es ist anerkannt, aber längst nicht so verheerend wie von Schlumpf dargestellt. Jener Strom, deri n die Mobilität fliesst, wird selbstredend in Autobatterien gespeichert, braucht also nur wenig zusätzliche allg. Speicherkapazität. Die Speichertechnologie macht auch laufend grosse Fortschritte bei laufend verminderten Kosten.
– Ist ja nett, dem Solarstrom wenigstens seine Mittagstauglichkeit zuzusprechen.
– Fazit zu den vermeintlich grossen Vorteilen der Atomkraft: All deren Probleme werden in Ihrer Argumentation einfach weggelassen: Diese hier aufzuzählen, sprengt sowohl den Rahmen wie sie auch Ihrem Atomwahn (und dem der C-C-Autoren im allgemeinen) eh nicht zugänglich ist. Stichworte genügen: Zu spät, zu teuer, weiterhin zu gefährlich und systemuntauglich in den meisten Bereichen – sowie weder gesellschafts- noch politikfähig und -tauglich.