Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 117“ im Online-Nebelspalter vom 1. Juli 2024 zu lesen.
Die rund 700 Wasserkraftwerke der Schweiz bilden ein gewaltiges und gut aufeinander abgestimmtes Energiesystem, mit dem mehr als die Hälfte unseres Stromes erzeugt wird. Es ist wichtig, einen genaueren Blick auf dieses Systems zu werfen, um falsche Vorstellungen über dessen Möglichkeiten korrigieren zu können. Weil der «Brennstoff» dieser Kraftwerke, das Wasser, naturgegeben nicht immer in gleichen Mengen zur Verfügung steht, haben wir es mit einer volatilen Stromproduktion zu tun, die zudem durch eine deutliche Winterschwäche gekennzeichnet ist. Denn im Winter fliesst jeweils deutlich weniger Wasser die Bäche und Flüsse hinunter als im Sommer.
Was wichtig ist:
– Ohne Speicherseen könnte man nur 26 Prozent des Wasserstroms im Winterhalbjahr erzeugen. Mit den Speicherseen sind es immerhin 43 Prozent.
– Trotzdem hat die Wasserkraft ein Winterproblem – ausgerechnet dann, wenn die Stromnachfrage am höchsten ist.
– Solarpanels sind die denkbar ungünstigste Ergänzung zur Wasserkraft, weil sie ebenfalls im Winter viel weniger Strom produzieren.
Alle Zahlen in diesem Beitrag stammen von Statistiken des Bundesamtes für Energie (BFE, siehe hier). Aus diesen Quellen habe ich für alle Grafiken jeweils den Durchschnitt der letzten zehn Jahre (2014-2023) berechnet.
Der Stromertrag aus Wasserkraft schwankt stark
Die Stromerzeugung aus Wasserkraft, die sogenannte hydraulische Stromerzeugung, bildet den Hauptpfeiler unseres Stromsystems: Im Durchschnitt der letzten zehn Jahre erzeugten die Wasserkraftwerke 38 Terawattstunden (TWh) Strom pro Jahr und deckten damit 62 Prozent des Landesverbrauchs ab. Dabei gab es aber starke Schwankungen: Während die Wasserkraftwerke 2023 sogar 40,8 TWh Strom erzeugten (68 Prozent des Landesverbrauchs), waren es 2022 nur 33,5 TWh (55 Prozent des Landesverbrauchs). In der langjährigen Betrachtung seit 1980 liegt der minimale Stromertrag der Wasserkraft bei knapp 30 TWh und ihr Spitzenwert bei 42 TWh: Solch gewaltige Produktionsdifferenzen bringen für unser Stromsystem viel Unsicherheit mit sich.
Wasserstrom wird in der Schweiz mittels zweier verschiedener Kraftwerkstypen gewonnen: Laufkraftwerke und Speicherkraftwerke. Laufkraftwerke sind in der Regel Flusskraftwerke, deren Produktionsmöglichkeiten direkt von den Wasserverhältnissen abhängen, die also nicht steuerbar sind. Im Gegensatz dazu nutzen Speicherkraftwerke die Speicherung von Wasser in einem Stausee für eine zeitlich steuerbare Stromproduktion. Damit kann erreicht werden, dass ein guter Teil des Strompotenzials der natürlichen Wasserzuflüsse aus Regen und Gletscherschmelzwasser, die im Sommer viel ertragreicher sind, in den Winter verschoben werden kann.
Speicherseen steigern den Wasserstromanteil im Winter auf 43 Prozent
Spezialisten des Bundesamts für Energie (BFE) berechnen jedes Jahr, wie stark sich die hydraulische Stromerzeugung im Winter durch diese Speicherung anteilsmässig gegenüber dem Sommer verbessert. Die nächste Grafik zeigt den Effekt dieser saisonalen Speicherung im zehnjährigen Schnitt:
Die beiden hellblauen Balken in der Grafik zeigen die Stromanteile für das Winter- und das Sommerhalbjahr, wie wenn die Schweiz keine Speicherkraftwerke hätte – also wie wenn aus den natürlichen Zuflüssen unmittelbar Strom erzeugt würde. Die beiden dunkelblauen Balken stellen die Anteile der realen Produktion unter Verwendung der Speicherkraftwerke dar. Das Resultat ist beeindruckend: Der Wasserstromanteil im Winter kann durch die Speicherseen von 26 Prozent auf 43 Prozent gegenüber dem Sommer gesteigert werden.
Winterschwäche trotz Speicherseen
Aber das heisst auch, dass die Stromerzeugung aus Wasserkraft unter Einsatz aller Speicherseen trotzdem eine Winterstromschwäche aufweist: Drei Einheiten im Winter stehen vier Einheiten im Sommer gegenüber. Wie aber sieht diese hydraulische Winterschwäche bezüglich der Anteile der Lauf- und Speicherwerke im Detail aus? Die nächste Grafik zeigt die monatliche Erzeugung dieser beiden Kraftwerkstypen im zehnjährigen Schnitt:
Die blauen Balken unten zeigen die monatliche Stromerzeugung aus Lauf- (dunkelblau) und Speicherkraftwerken (hellblau) in Gigawattstunden (GWh). Dabei ist ersichtlich, wie die Laufwerke in den Wintermonaten viel weniger Strom liefern als im Sommer. Demgegenüber kompensieren die Speicherwerke im Winter aber so viel, wie sie können: Von November bis Januar erzeugen sie hohe Werte um 2000 GWh pro Monat, danach fällt ihre Produktion zurück, weil sich die Speicherseen leeren und es noch wenig natürliche Zuflüsse gibt.
Aus Laufwerken kommen im Winter nur 36 Prozent
Zusammengefasst tragen die Laufkraftwerke im Winterhalbjahr nur 36 Prozent zur Stromerzeugung aus der Wasserkraft bei, während sie im Sommerhalbjahr mit den Speicherwerken gleichauf liegen. Das Total dieser beiden Produktionsarten ist in der Grafik mit der dunkelblauen Kurve dargestellt: Die hydraulische Stromerzeugung der Schweiz liegt vom Februar bis April mit 2500 GWh am tiefsten, dann steigt sie bis im Sommer auf Spitzenwerte von über 4000 GWh pro Monat, um danach bis zum Winterbeginn wieder auf 3000 GWh zurückzufallen.
Entscheidend ist nun, wie sich diese Erzeugungskurve des Wasserstroms zum Landesstromverbrauch der Schweiz verhält. Dies zeigt die nächste Grafik:
Stromverbrauch und Wasserstromerzeugung sind gegenläufig
In dieser Grafik werden der bereits bekannten blauen Kurve der hydraulischen Stromerzeugung die Monatswerte unseres Landesverbrauchs (rote Kurve) im zehnjährigen Schnitt gegenübergestellt. Wie man sieht, verhalten sich die beiden Kurven im saisonalen Vergleich gegenläufig zueinander. Somit lassen sich die monatlichen Differenzen – also die Winterstromlücke der Wasserkraft – jetzt quantifizieren: Während in den Sommermonaten Juni bis August mit Wasserstrom praktisch der ganze Verbrauch gedeckt werden kann, tut sich bis zum Winterbeginn eine immer grössere Lücke auf, die vom Dezember bis im März bei 3000 GWh liegt und im restlichen Frühling dann wieder verschwindet.
Solar ist die schlechteste Ergänzung zu Wasser
Zwei Punkte als Fazit:
- Weil in unserem Stromsystem neben der Wasserkraft noch andere Produktionsquellen eingesetzt werden müssen, stellt sich die Frage, mit welchem Energieträger die Wasserkraft punkto Versorgungssicherheit am besten ergänzt werden soll. Unsere Vorfahren haben dafür die Kernenergie ausgewählt: Diese bildet mit ihrer zuverlässigen Bandstromproduktion im Winter die ideale Ergänzung. Dagegen ist der Flatterstrom aus Solaranlagen die denkbar schlechteste Option, weil damit die Winterstromlücke des Wasserstroms noch massiv verstärkt wird. Denn Solarpanels erzeugen ebenfalls im Winter am wenigsten Strom.
- Weil die Wasserkraft nur unter Einsatz aller Speicherseen im Winter auf einen Anteil von 43 Prozent kommt, sind alle Behauptungen, man könne überschüssigen Strom aus Solaranlagen durch unsere Speicherseen vom Sommer in den Winter transferieren, Schall und Rauch: Alles, was in dieser Hinsicht geschehen könnte, ginge auf Kosten der Speicherung der Wasserkraft selbst. Nur die Erhöhung oder der Neubau von Staumauern respektive die Neuinstallation von Pumpen oder Turbinen könnte das Strompotenzial der Wasserkraft erhöhen.
Herzlichen Dank für die tollen, aufschlussreichen und wertvollen Berichte.
Die Wasserkraft ist und bleibt die “Königin” im Rahmen der schweizerischen Produktion von Elektrizität. Die Stauseen sind noch für sehr lange Zeit die besten und effizientesten “Batterien” für die Energiespeicherung. Prof. Martin Schlumpf hat Recht, wenn er im Rahmen der Wasserkraft noch ein Verbesserungspotential sieht: Erhöhung mehrerer Staumauern, Ergänzung vieler bestehender Anlagen durch den Pumpbetrieb, neue Staumauern, neue Pumpspeicherwerke. Man vergesse nie: Stauseen stellen immer auch eine Wasserreserve dar! Das Binom “Wasserkraft + moderne Kenergie” garantiert auch den künftigen Generationen eine sehr gute und nachhaltige Elektrizitätsversorgung!