Die Deutschen sind zwar Weltmeister im Ausbau von Wind- und Solarenergie. Aber ihre Energiewende funktioniert nicht. Noch immer spielt fossile Energie eine zentrale Rolle im Stromsystem. Und das Land ist zunehmend auf Stromimporte angewiesen.
Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 41“ im Online-Nebelspalter vom 2. Mai 2022 zu lesen.
Unsere Energieministerin und viele Schweizer Politiker drängen auf einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie beklagen, dass wir gegenüber anderen europäischen Ländern im Rückstand seien, insbesondere gegenüber Deutschland, das die Energiewende schon viel weiter vorangetrieben hat. Die Energiewende der Deutschen sei vorbildlich.
Machen wir also einen aktuellen Faktencheck: Schauen wir uns das deutsche Stromsystem im März 2022 an.
Erhellende Aufschlüsselung nach Stunden
Dazu verwende ich zwei Grafiken von Rolf Schuster, Mitglied der Deutschen Bundesinitiative Vernunftkraft (siehe hier). Schuster analysiert den deutschen Strommix seit vielen Jahren auf der Basis von stundenbasierten Zahlen: Durch seine Grafiken habe ich zum ersten Mal verstanden, dass die Volatilität der neuen Erneuerbaren nur in dieser Zeitauflösung adäquat dargestellt werden kann. In der folgenden Grafik kann man den Stundenverlauf der wichtigsten Bestandteile des deutschen Elektrizitätssystems ablesen: den Verbrauch, die Zusammensetzung der Erzeugung und die Import/Export-Überschüsse. Als Datenquelle verwendet Schuster die Entso-e-Datenbank der Transparency-Webseite des Verbandes aller europäischen Netzbetreiber (siehe hier).
Die Grafik zeigt den Leistungsverlauf der verschiedenen Parameter über die 744 Stunden des Monats März 2022. Die Leistung wird auf der senkrechten y-Achse in Gigawatt (GW) gemessen, der Stundenablauf auf der horizontalen x-Achse mit Tagesdaten angezeigt.
Am schnellsten gewinnt man einen Überblick, wenn man zuerst der schwarzen Linie des Verbrauchs (Lastganglinie) folgt. Diese zeigt erstens den typischen Wochenverlauf von fünf Werktagen mit höherem Verbrauch, gefolgt von Samstag und Sonntag mit tieferem Verbrauch. Zweitens sieht man die deutlichen Differenzen von Tag- und Nacht-Bedarf, woraus ein typischer «Schlangenlinienverlauf» resultiert. Drittens weisen praktisch alle Tage eine Doppelspitze aus: eine erste um den Mittag und eine zweite am Abend. Insgesamt schwanken die Werte zwischen 40 und 70 Gigawatt.
Im März 50 Prozent fossiler Strom
Auf der Stromerzeugungsseite sieht man von unten nach oben in gestapelten (zusammenaddierten) Flächen den Ertrag aus der Kernenergie (rosa), aus allen fossilen Energieträgern (braun), aus Biomasse und Wasserkraft (hellgrün), aus Wind (blau), aus Solar (gelb) und aus Stromimportüberschüssen (dunkelgrün). Weil in Deutschland aber Wind- und Sonnenstrom immer uneingeschränkt ins Netz fliessen – das ist ja der Sinn der Energiewende – , wird durch ihren Ertrag in jeder Stunde bestimmt, wieviel fossile Kraftwerke als Backup zum Einsatz kommen müssen, damit der Verbrauch gedeckt werden kann.
38 Prozent des deutschen März-Stromes kamen aus Kohlekraftwerken
Hier, im März 2020, war der Anteil an fossilem Backupstrom (braun) hoch, weil der Stromertrag aus Windkraftanlagen stark unterdurchschnittlich ausfiel – dies konnte auch eine Solarproduktion, die über dem Durchschnitt lag, nicht wettmachen. Nur ein Drittel der gesamten Stromerzeugung im März kam von Wind und Sonne, genau die Hälfte aber musste durch das Verbrennen von Kohle und Gas erzeugt werden. Und an diesem fossilen Anteil von 50 Prozent wiederum war die Kohle zu drei Vierteln beteiligt: 38 Prozent des deutschen März-Stromes kamen aus Kohlekraftwerken.
Arbeitsauslastung von Wind und Solar bei nur 15 Prozent
Diese Ertragszahlen werden noch erstaunlicher, wenn man sie mit der installierten Leistung vergleicht. Im Zuge der erfolgreichen Energiewende hat Deutschland seit dem Jahr 2000 124 Gigawatt Solar- und Windleistung zugebaut – das entspricht der Leistung von 124 Kernkraftwerken vom Typ Gösgen. Bei einem Durchschnittsverbrauch von etwa 60 Gigawatt, also nur der Hälfte der installierten Wind- und Solarleistung, könnte man erwarten, dass der gesamte Verbrauch allein mit diesen neuen Erneuerbaren gedeckt werden könnte. Das ist aber bei weitem nicht der Fall: Wie bereits gesagt, tragen sie lediglich 33 Prozent zur Landeserzeugung bei. Daraus resultiert eine Arbeitsauslastung von mageren 15 Prozent.
Windflaute mit viel Sonne führt zu Stromimporten
Dieser ernüchternde Befund ist aber noch immer stark beschönigend, weil Monatsdurchschnittszahlen so tun, als wäre ein Ertrag zu jeder Zeit konstant gleich gross. In unserer Stundenwert-Grafik zeigen sich die volatilen Schwankungen aber deutlich. Zum Beispiel, wenn man den Windertrag (blau) vom Wochenende 19./20. mit dem darauf folgenden Wochenanfang vergleicht: Zuerst bläst der Wind mit Monatsrekordwerten, dann verschwindet er fast ganz. Diese Windflaute vom 21. bis 25 März hatte – trotz Solarrekordwerten – zur Folge, dass auch bei maximalem Input aus den fossilen Kraftwerken sogar noch Strom importiert werden musste (dunkelgrün). Und zwar jeweils am Abend während der zweiten Verbrauchsspitze: dann, wenn die Sonne untergeht.
Dieses Muster ist wichtig: Bei wenig Wind aber viel Sonne können die konventionellen Backup-Kraftwerke offensichtlich nicht mehr genügend flexibel auf den grossen Leistungsabfall wegen der schwindenden Sonne reagieren, was zur Abhängigkeit von Stromimporten führt. Das ist in der folgenden Grafik deutlich zu sehen:
Hier sind die enormen Leistungsdifferenzen bei der Einspeisung der neuen Erneuerbaren klar sichbar. Zusätzlich wird die Windproduktion mit Onshore/Offshore-Differenzierung gezeigt. Besonders bemerkenswert sind aber die Stromimport-Überschüsse, die als schwarzumrandete grüne Zacken jeweils dann auftauchen, wenn der grosse gelbe Solarzacken gegen Null abfällt. Das war in diesem Monat bereits in der Hälfte der Tage der Fall. Der Importbedarf von bis zu 8 Gigawatt ist dabei zwar noch relativ klein, aber er wird beim vorgesehenen massiven Ausbau der Erneuerbaren stark anwachsen. Deutschland wird dann in den Abendstunden immer mehr zu einem Stromimportland.
Viel Wind macht die Preise kaputt
Auf der anderen Seite zeigt sich auch in diesem Monat, dass es bei starkem Wind und viel dadurch erzeugtem Überschussstrom zu grossen Nettoexporten und einem entsprechenden Preiszerfall kommt: wie am 11./12. und 20./21. März. Wenn die Energiewende also «erfolgreich» ist, macht sie die Preise kaputt und das Ausland soll den nicht gebrauchten Strom verklappen.
Den Deutschen droht eine immer grössere Abhängigkeit von Stromimporten – und zwar ausgerechnet in den Abendstunden, die in allen Ländern kritisch sind.
Neu ist im oberen Teil dieser Grafik schliesslich noch die Strompreisentwicklung an der Strombörse dargestellt – mit einer eigenen Skala auf der rechten y-Achse oben. Hier zeigt sich die gewaltige Erschütterung des Strommarktes durch den Ukraine-Krieg: Während das durchschnittliche Preisniveau bis Ende letzten Jahres im Bereich von 30 bis 50 Euro pro Megawattstunde gelegen ist, schnellte es gewaltig in die Höhe und liegt jetzt bei etwa 250 Euro, mit Spitzen über 500 Euro. Das entspricht einem Aufschlag von etwa 500 Prozent.
Windschwaches Jahr 2021 führt zu Gasknappheit
Dass der Preisanstieg aber schon letzten September eingesetzt hat, ist darauf zurückzuführen, dass 2021 ein sehr windschwaches Jahr war, worauf die Lücken bei der Stromversorgung mit Gaskraftwerken gestopft werden mussten. Das führte zu einem nicht geplanten Abbau der Gasvorräte, und diese Knappheit wurde von Russland ausgenützt. So etwas ist halt bei einer Energiewende, die sich stark auf naturabhängige Quellen stützt, immer wieder möglich.
Das Fazit der deutschen Energiewende ist ernüchternd: Obwohl erstens die installierte Leistung der Wind- und Solaranlagen fast schon 60 Prozent der Gesamtleistung Deutschlands ausmacht, gibt es wegen der Wetterabhängigkeit dieser Quellen immer wieder Monate, wo bis zur Hälfte des Stroms in fossilen Backup-Kraftwerken erzeugt werden muss, und dies – weil es billiger ist – vor allem mit Kohle. Zweitens droht den Deutschen eine immer grössere Abhängigkeit von Stromimporten, und zwar ausgerechnet in den in allen Ländern kritischen Abendstunden. Und drittens kannibalisiert der Überschussstrom, der immer wieder am Bedarf vorbei erzeugt wird, den Strompreismarkt.
„Das heisst aber nicht, dass die Energiewende deswegen als gescheitert deklariert werden kann.“ – „Plakativ die Energiewende als gescheitert zu deklarieren, ist hingegen weder klug noch korrekt.“
Sie sind ein naiver Träumer.
Die vom Bundesrat und der Regierung beschlossene „Energiestrategie 2050“ war für jeden normal denkenden und mit minimalstem Basiswissen ausgestatteten Bürger bereits gescheitert und als grosse Lüge entlarvt worden, als im März 2017 die dafür verantwortliche Energieministerin Doris Leuthard (CVP) wiederholt behauptete, dass die jährlichen Mehrkosten pro Haushalt (pro Familie) CHF 40.- nicht übersteigen würden.
Glauben Sie diesen Unsinn noch ?
Das Vertrauen in die zuständigen Behörden und insbesondere in die Kompetenz von Doris Leuthard (CVP) wurde durch diese absurden Aussagen komplett zerstört.
Diese Dame war in Ihrem Amt komplett überfordert und wusste beispielweise im Vorfeld zur Abstimmung über die Erhöhung der Autobahn-Vignette auf CHF 100.00 nicht einmal, dass Lastwagen keine Autobahn-Vignette benötigen, sondern über die LSVA besteuert werden.
In einer SRF-Livesendung behauptete sie vor laufender Kamera mehrfach und stur genau das Gegenteil.
Mit solchen dilettantischen Personen in der Regierung wird jede „Energiewende“ scheitern.
Quellen:
http://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/doris-leuthard-ich-bin-schon-etwas-baff-die-zahlen-der-svp-sind-hanebuchen-ld.1630260
„Doris Leuthard hatte am letzten Freitag in der Sendung «Arena» des Schweizer Fernsehens behauptet, dass jeder Lastwagen eine Vignette haben müsse. «Selbstverständlich benötigen Lastwagen eine Vignette», sagt Leuthard im Brustton der Überzeugung.“
http://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/liebe-doris-nur-fur-dich-chauffeure-verappeln-doris-leuthard-ld.1799547
Die Analyse ist gut, aber die Schlussfolgerungen sind wieder nicht korrekt. Es ist ja klar, dass die Abschaltung von Grundlastkraftwerken wie KKW dazu führt, dass Reservekraftwerke einspringen müssen, wenn der Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht. Das versteht sogar jeder Primarschüler. Das heisst aber nicht, dass die Energiewende deswegen als gescheitert deklariert werden kann. Die Erzeugung aus Kohlekraftwerken wird auch weiter abnehmen, wenn der Zubau von Windkraftwerken und PV weiter geht. Man kann darüber streiten, ob der Zeitpunkt der Abschaltung der KKW richtig war und ob der Strombedarf mit neuen KKW günstiger gedeckt werden könnte. Plakativ die Energiewende als gescheitert zu deklarieren, ist hingegen weder klug noch korrekt.