Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 107“ im Online-Nebelspalter vom 8. April 2024 zu lesen.
Im September 2022 machte Uno-Generalsekretär Antonio Guterres bei der Ankündigung des neuen Uno-Klimaberichts «United in Science» folgende Aussage (siehe hier): «Überschwemmungen, Dürreperioden, Hitzewellen, extreme Stürme und Waldbrände werden immer schlimmer und brechen immer häufiger Rekorde (…) Die Zahl der wetter-, klima- oder wasserbedingten Katastrophen ist in den letzten 50 Jahre um das Fünffache gestiegen.» Dabei steht für den UNO-Generalsekretär ausser Frage, wer für diese Steigerung verantwortlich ist: «Das neue Ausmaß dieser Katastrophen hat nichts Natürliches an sich. Sie sind der Preis für die Abhängigkeit der Menschheit von fossilen Brennstoffen.»
Doch Guterres liegt falsch. Ich belege das hier anhand der einzigen Datenbank, in der systematisch Informationen über das Auftreten und die Folgen globaler Katastrophen gesammelt werden.
Was wichtig ist:
– Im UNO-Klimabericht «United in Science 2022» wird behauptet, es gebe heute fünfmal mehr Naturkatastrophen als vor fünfzig Jahren.
– Die belgische EM-DAT-Datenbank ist die einzige Datenbank, in der systematisch weltweite Informationen über alle grösseren Katastrophen seit 1900 gesammelt werden.
– Aus dieser Datenbank geht hervor, dass bezüglich der Häufigkeit klimarelevanter Naturkatastrophen seit 2000 kein Trend erkennbar ist. Aussagen zu den Zeiten davor sind nicht möglich.
Die zitierte Aussage von Guterres stützt sich auf den erwähnten Bericht «United in Science 2022» (siehe hier). Verschiedene Uno-Organisationen unter Federführung der Weltmeteorologie-Organisation (WMO) geben jährlich einen entsprechenden Bericht heraus. Er fasst jeweils den neuesten Stand der Klimawissenschaft zusammen. Im Kapitel «Extreme Wetterereignisse» steht dort: «Die Zahl der wetter-, klima- und wasserbedingten Katastrophen ist in den letzten 50 Jahren um das Fünffache gestiegen.»
Erst seit 2000 ist die Zahl der Naturkatastrophen vergleichbar
Als Quelle dieser Aussage wird auf die WMO selbst verwiesen. Weitere Belege nennt der Bericht nicht. Mit der Unterscheidung in wetter-, klima- und wasserabhängige Katastrophen nimmt die WMO aber offenbar Bezug auf die EM-DAT-Datenbank (Emergency Events Database), die an der belgischen Universität UCLouvain geführt wird (siehe hier). Denn in dieser Datenbank werden Naturkatastrophen in fünf Untergruppen eingeteilt: «Klimatologisch», «Biologisch», «Geophysikalisch», «Meteorologisch» und «Hydrologisch». Weil biologische und geophysikalische Ereignisse aber nicht von Wetter und Klima abhängig sind, bezieht sich die WMO in ihrer Aussage zu Recht nur auf meteorologische, klimatologische und hydrologische Katastrophen.
Um beurteilen zu können, ob solche Naturkatastrophen im Lauf der letzten Jahrzehnte wirklich soviel häufiger geworden sind, wie die WMO behauptet, habe ich für die entsprechenden Kategorien die aktuellsten Zahlen aus EM-DAT heruntergeladen (siehe hier). Bei diesem Download bin ich auf eine wichtige Zusatzinformationen gestossen: Für die Wahl der Zeitperiode, über die man Auskunft bekommen will, steht nur das Zeitfenster 2000 bis 2024 zur Auswahl – obwohl EM-DAT Katastrophen seit 1900 katalogisiert.
Kein Trend bei klimarelevanten Naturkatastrophen seit 2000
Eine Warnung direkt unter diesem Auswahlfenster gibt Auskunft: «Die Daten vor 2000 sind besonders anfällig für Verzerrungen punkto Berichterstattung». Deshalb liessen sich diese Daten nicht mit denen ab 2000 vergleichen. Denn je weiter man im 20. Jahrhundert zurückgeht, desto lückenhafter war die Meldung entsprechender Ereignisse und umso unzuverlässiger sind die entsprechenden Daten.
Aus diesem Grund habe ich in der folgenden Grafik nur die jährliche Zahl der klimatologischen, hydrologischen und meteorologischen Katastrophen weltweit von 2000 bis 2022 dargestellt (Download vom 28. März 2024):
Jeder schwarze Balken zeigt die Gesamtzahl aller grösseren Dürren und Wildfeuer (klimatologisch), Überschwemmungen und Erdrutsche (hydrologisch), sowie Extremtemperatur-Ereignisse und Stürme (meteorologisch) im jeweiligen Jahr. Wie die Grafik zeigt, schwankt die jährliche Zahl dieser Naturkatastrophen zwischen 300 und 400. Zudem zeigt die rote Trendlinie – für uns besonders wichtig – , dass die Zahl klimarelevanter Naturkatastrophen in den letzten 22 Jahren global weder zugenommen noch abgenommen hat.
Die WMO vergleicht Äpfel mit Birnen
Warum behauptet die WMO dennoch, die klimatisch bedingten Katastrophen hätten so dramatisch zugenommen? Ganz einfach: Ungeachtet der zitierten Warnung im Zusammenhang mit EM-DAT haben die Wissenschaftler der WMO den Beginn des gewählten Zeithorizonts offensichtlich soweit vor das Jahr 2000 gelegt, bis die letzten 50 Jahre in den Blick kommen. Dann sieht die Grafik – nach den gleichen Auswahlkriterien wie die vorherige Grafik – so aus:
Und tatsächlich zeigt die Trendlinie jetzt exakt das, was die WMO offenbar finden wollte: Die Zahl klimarelevanter Naturkatastrophen hat in den letzten 50 Jahren scheinbar um ein Mehrfaches zugenommen. Allerdings sieht man auch, wie die Zahlen nach dem Anstieg vor 2000 danach zuerst leicht zurückgehen, um dann wieder etwas anzusteigen. Insgesamt zeigt sich seit 2000 wie erwähnt kein Trend.
Die WMO hat also die Warnung von EM-DAT, dass die Zahlen vor 2000 nicht vollständig sind, ignoriert. Herausgekommen ist so eine gravierende Falschmeldung: Die Zahl der Katastrophen habe in den letzten Jahren um das Fünffache zugenommen. Und besonders stossend ist, die Aussage der WMO unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit («United in Science») daherkommt.
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