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Energie-Stiftung redet Energiestrategie 2050 schön

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Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 68“ im Online-Nebelspalter vom 20. März 2023 zu lesen.

Am 5. März schrieb Danny Schlumpf im Sonntags-Blick: «Neue Studie rechnet vor: Energiewende garantiert Versorgungssicherheit» (siehe hier). Da diese Aussage dem widerspricht, was ich über die Energiestrategie 2050 recherchiert habe, habe ich die erwähnte Studie angeschaut.

Sie stammt von der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) und trägt den Titel «Alternative Szenarien zur Energiestrategie 2050 – Wie könnte die Schweizer Stromversorgung heute auch aussehen?» (siehe hier). Hauptverfasserin ist Léonore Hälg, die beim SES als Leiterin Fachbereich erneuerbare Energien und Klima tätig ist (siehe hier).  

Was wichtig ist:

– Mit einer neuen Studie will die atomkritische Schweizerische Energie-Stiftung zeigen, dass Solarstrom zuverlässig ist.
– Statt mit Stundenwerten operiert die Studie aber mit Wochen-, Monats- und vor allem Jahreswerten. So wird die Unzuverlässigkeit von Fotovoltaik versteckt.
– Die Studie geht nicht vom Verbrauch, sondern ausschliesslich von der Produktion aus. Dieses Vorgehen ist absurd.

Aber beginnen wir mit dem Satz, der mir beim Lesen der Zusammenfassung der Studie ins Auge gestochen ist. Auf eine deutlich stärker ausgebaute Energiestrategie 2050 bezogen, heisst es dort: «Sie hätte auch die Versorgungsqualität erhöht, denn die Solarstromproduktion schwankt dank der Dezentralisierung weniger im Jahresverlauf als die Stromproduktion in zentralen AKW.»

Wie diese falsche Behauptung zustande kommt, schauen wir uns mit der entsprechenden Grafik aus der Studie an. Sie findet sich im Kapitel 5 «Versorgungssicherheit in den Szenarien» als Abbildung 7. Sie zeigt die durchschnittliche (2017 bis 2021) wöchentliche und monatliche Stromproduktion aus Fotovoltaik und den Kernkraftwerken in der Schweiz.

Im oberen Teil a) der Grafik sehen wir die Stromproduktion aus Fotovoltaik, im unteren Teil b) diejenige aus Kernkraftwerken. Auf der linken Seite sind die Strommengen pro Kalenderwoche über ein Jahr aufgeschlüsselt, rechts findet eine Glättung zu Monatswerten statt. Die dicke rote Linie zeigt den indexierten Durchschnittsverlauf, die feineren roten Linien markieren die jeweiligen Maxima und Minima. Die Werte sind der Datenquelle «ENTSO-E Transparency Platform» entnommen (siehe hier).

Zuerst ein Kompliment an die Studienautoren: Das ist eine Grafik, die ich so noch nie gesehen habe, und die durchaus das Potenzial hätte, dass daraus sinnvolle Schlussfolgerungen gezogen werden können. Doch was macht Léonore Hälg daraus? 

Wie man aus einer Grafik nur das Passende herauspickt 

Sie nimmt zwar zuerst zur Kenntnis, dass die PV-Stromproduktion wöchentlich «in hohem Masse variieren kann». Dann aber stellt sie fest, dass bei den Monatswerten diese Varianz abnimmt, was bedeutet, dass der PV-Strom «über längere Zeiträume relativ stabil ist». Und schliesslich heisst es: «Interessanterweise nimmt absolut gesehen die Varianz vor allem im Winter ab, was zusätzlich zu einer höheren Versorgungssicherheit beiträgt.» 

Zum Verständnis dieser Sätze muss man wissen, was Varianz bedeutet: Es ist das Streuungsmass, welches die Verteilung von Werten um den Mittelwert kennzeichnet. In der Grafik also ganz bildlich die Abstände der beiden feineren von der dicken roten Linie. Und siehe da, am kleinsten sind diese Abstände tatsächlich bei der Foltovoltaik im November/Dezember.

Versorgungssicherheit kann nur mit Stundenwerten analysiert werden 

Heisst das aber wirklich, dass ein Ausbau der Solaranlagen zu höherer Versorgungssicherheit unseres Stromsystems im Winter führt, wie das in der Studie behauptet wird? Auf keinen Fall.

Denn erstens muss klar sein, dass man mit Monatswerten von Solarstrom eine unzulässige Glättung betreibt, die bezüglich der Versorgungssicherheit einem Verwischen gleichkommt: Für eine vernünftige Analyse dürfen nur Wochenwerte verwendet werden. Aber auch das ist nicht zu Ende gedacht, denn über ENTSO-E sind Stundenwerte erhältlich. Und erst mit dieser Feinauflösung würde sich die ganze Flatterhaftigkeit des Solarstroms zeigen – das wird in der Studie aber nicht gemacht.

Solar liefert im Winter fast keinen Strom

Zweitens ist es eine Binsenwarheit, dass dort, wo die Werte verschwindend klein sind, auch die Varianz klein ist. Aber es spielt für die Versorgungssicherheit ohnehin nur am Rand eine Rolle: Zum Beispiel zeigen die Stundenwerte von ENTSO-E für 2019 (siehe hier), dass in einer Januarwoche nur 0,2 Prozent des verbrauchten Strom aus Solaranlagen kommt, aber 39 Prozent aus Kernkraftwerken – und ob es dann 0,2 oder 0,3 Prozent Solarstrom sind, kann man vergessen.

Drittens ignoriert die Studie, was die Grafik auch zeigt: In den kritischen Wintermonaten (November bis Februar) liefern die Kernkraftwerke überdurchschnittlich, also höher als 1,0, die Solaranlagen aber weit unterdurchschnittlich. Im angesprochenen Beispiel einer Januarwoche aus 2019 speisen die Kernkraftwerke sogar 160-mal mehr Strom ein als die Solaranlagen.

Der Verbrauch wird mit keinem Wort berücksichtigt

Und dieses Atomstrom-Plus wird noch grösser, wenn man Stunden vergleicht, und es wächst ins Unendliche, wenn man auf die Nachtstunden schaut, wo Solaranlagen systematisch ausfallen. Diese gewaltig schwankenden realen Einspeise-Unterschiede zwischen Atom und Solar werden in der Grafik aber mit der Methode der Indexierung zum Verschwinden gebracht. Denn hier wird einfach der Durchschnitt als 1,0 bezeichnet, egal wie gross die Werte tatsächlich sind.

Praktisch alles, was gesagt wird, sind reine Nullsummenspiele ohne Erkenntnisgewinn.

Und viertens schliesslich wird in der ganzen Studie der Verbrauch nirgends erwähnt. Damit aber bleiben alle Schlussfolgerungen der Studie bedeutungslos. Denn in einem Stromsystem müssen Produktion und Verbrauch ständig gleich gross sein: die Erzeugung muss den Bedarf in jeder Sekunde decken. Eine Diskussion der Versorgungssicherheit muss deshalb vom Bedarf ausgehen und zeigen, wie dieser mit der Produktion gedeckt werden kann.

Fotovoltaik verstärkt die Probleme der Wasserkraft

Die Studie geht dem natürlich aus dem Weg, denn so würden die Probleme der Solarenergie zum Vorschein kommen: der nicht gedeckte Nachtbedarf, die stark schwankende Tages-Versorgung sowie vor allem die saisonale Gegenläufigkeit von Verbrauch und Produktion mit eklatanter Winterschwäche und Sommerüberschüssen. 

Dieser letzte Punkt wird zusätzlich verstärkt durch unsere Wasserkraftwerke. Denn auch diese sind naturabhängig und deshalb winterschwach. Erst mit dem Einsatz aller Speicherseen bringt es der schweizerische Wasserstrom im Winter auf 43 Prozent seiner Jahresproduktion. Weil dann aber der Bedarf höher ist als im Sommer, ergibt sich daraus eine Lücke, die durch einen massiven Ausbau der Fotovoltaik aber nochmals massiv verstärkt würde. Selbstverständlich ist auch davon keine Rede in der Studie.

Nullsummenspiele ohne Erkenntnisgewinn

Im viel grösseren übrigen Teil der Studie geht es um vier Szenarien, die vom Status quo 2021 ausgehen und in denen jeweils die Situation für das Jahr 2025 berechnet wird. Die Szenarien unterscheiden sich bezüglich Ausbau der Fotovoltaik und gehen in einem Fall davon aus, dass die ältesten Kernkraftwerke Beznau 1 und 2 schon vom Netz sind.

Praktisch alles, was dazu gesagt wird, sind aber reine Nullsummenspiele ohne Erkenntnisgewinn, denn dass zum Beispiel mit einem forcierten Ausbau der Solaranlagen, kombiniert mit gleichbleibender Kernkraftleistung, bis 2025 am meisten Strom erzeugt werden kann, ist auch ohne zu rechnen von vornherein klar.

Kein Szenario «Mühleberg bleibt am Netz»

Zur Auswahl der Szenarien in der Studie: Eigentlich wäre es nötig gewesen zu überlegen, wie der Strommix 2021 ausgesehen hätte, wenn das Kernkraftwerk Mühleberg 2019 nicht abgestellt worden wäre und noch bis 2025 am Netz geblieben wäre. Denn so wäre auch auf der Kernenergie-Seite eine «Ausbau»-Option dabei gewesen, und es hätte sich gezeigt, dass die kleine Mehrproduktion, die von einem massiven Solarausbau im Winter bis 2025 dazukommt, mit dem Strom aus Mühleberg locker hätte überboten werden können.

Das Herunterfahren eines Kernkraftwerks ist nur deshalb ein massiver Einschnitt in das Stromsystem, weil seine Leistung ohne Störfälle so gross und zuverlässig ist.

Das hätte aber die Kernaussage der Studie widerlegt, die da lautet: «Die Resultate zeigen, dass nur der massive Ausbau der erneuerbaren Energien die Stromversorgung kurz- und mittelfristig sicherstellen kann.» 

Sind Kernkraftwerke ein Klumpenrisiko?

Natürlich ist das Herunterfahren eines Kernkraftwerks ein massiver Einschnitt in das Stromsystem. Aber nur deshalb, weil seine Leistung ohne Störfälle so gross und zuverlässig ist. Und solche Störfälle sind selten. Bei den Solaranlagen ist es genau umgekehrt: Ihre Leistung ist schwach und schwankend, deshalb spielt es auch kaum eine Rolle, wenn ein paar davon ausfallen. Die Fotovoltaik gewinnt durch die Leistungsverteilung auf viele Anlagen natürlich an Resilienz. Aber die oben aufgezeigten Schwächen wiegen das in keiner Weise auf.

Fazit: Mit ihren zwei grundsätzlichen Fehlern – praktisch nur Jahreszahlen, kein Verbrauchsbezug – diskreditiert sich die Studie des SES weitgehend selbst. Und die Tatsache, dass sie alles auslässt, was das Bild des zuverlässigen Solarstroms trüben könnte, lässt sie als tendenziös erscheinen. 

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«Atomkraft – Das Tabu. Brauchen wir Kernkraftwerke?» Mein Buch mit diesem Titel ist vor kurzem im Buchhandel erschienen. Es enthält zwölf meiner früheren Nebelspalter-Grafik-Kolumnen, in denen alle wichtigen Argumente im Wettstreit «Kernenergie versus Solar» zur Sprache kommen – mit dem besseren Ende für die Atomtechnologie. Ergänzt werden diese Kapitel durch spezifische Fachbeiträge ausgewiesener Experten: Simon Aegerter, Johannis Nöggerath, Alex Reichmuth, Hans Rentsch, Walter Rüegg und Markus Saurer.

3 Kommentare zu “Energie-Stiftung redet Energiestrategie 2050 schön

  1. Stephan Amacker
    Stephan Amacker

    Interessant ist, dass die SES die verlorene Abstimmung am 13.06.2021 zum CO2-Gesetz nicht erwähnt. Diese war eine erste Nagelprobe nach der Energiesttrategie 2050 bei der es erstmals um Kosten ging – da sagte der Souverän NEIN.

  2. Torsten Gürges
    Torsten Gürges

    Die Verfechter des Solarausbaus werden antworten, dass die Probleme mit den schwachen Solarausbeuten im Winter doch mit PV in den Alpen zu lösen wären.
    Die diesbezüglich veröffentlichten Messdaten der ZHAW zeigen tatsächlich, dass in Höhenlagen die Ausbeute an elektrischer Energie durch PV – vor allem bei Verwendung bifazialer Solarmodule – im Winterhalbjahr deutlich höher ist, als das in niedrigeren Höhenlagen der Fall ist.
    ABER: Soweit ich bisher gesehen habe (ich lasse mich gerne berichtigen, wenn jemand da etwas anders weiss), sind die Daten aus den Messungen jeweils nur für einen Zeitraum eines Halbjahres(!) veröffentlicht. Monats-, Tages-, oder gar Stundenwerte habe ich noch nie gesehen. Dabei müssten die sicherlich aus den Messungen vorliegen. Und gerade auf die käme es zur Beurteilung an.
    Selbst dann blieben aber noch die erhöhten Kosten für den Ausbau in solchen Höhenlagen.
    Nicht zu sprechen von den Speichermöglichkeiten, die gegeben sein müssen.

  3. Arturo Romer
    Arturo Romer

    Ein sehr guter Artikel. Der Autor zeigt die grossen Widersprüche und Schwächen der schweizerischen Energiestrategie 2050.

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