Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 87“ im Online-Nebelspalter vom 30. Oktober 2023 zu lesen.
In meinem letzten Beitrag habe ich gezeigt, wie vor 200 Jahren ein anhaltendes Wirtschaftswachstum einsetzte, das die Welt enorm reicher gemacht hat. Die Ausweitung des Angebots an Gütern und Dienstleistungen, die damit verbunden war, hatte zur Folge, dass zum ersten Mal in der Geschichte ein Mensch, der reicher geworden ist, nicht einen anderen ärmer gemacht hat. Und das war die Voraussetzung für eine beispiellos erfolgreiche Armutsbekämpfung, die im 19. Jahrhundert begonnen hat und bis heute andauert.
Was wichtig ist:
– Der Anteil Menschen, die in extremer Armut leben, ist in den letzten 200 Jahren weltweit von über 75 Prozent auf zehn Prozent gesunken.
– China hat es geschafft, diesen Anteil in den letzten vierzig Jahren von mehr als 90 auf praktisch null Prozent zu senken.
– Sogar in Sub-Sahara-Afrika, dem mit Abstand ärmsten Teil der Welt, geht die Armut anteilsmässig zurück.
Extreme Armut bedeutet, dass Menschen zu wenig Geld haben für die Erfüllung der elementarsten Lebensanforderungen wie genügend Nahrung, sauberes Wasser und einfachen Wohnschutz. Die folgende Grafik von der Webseite «Our World in Data» zeigt, wie sich der Anteil der Menschen in solch extremer Armut von 1820 bis 2018 weltweit entwickelt hat (siehe hier).
Die Daten dieser Kurve beruhen auf einer Studie von Michail Maotsos von 2021 (siehe hier). Neben der Bewältigung vieler Datenlücken musste der Forscher darin vor allem die Frage beantworten, wie eine unterste Armutsgrenze definiert werden kann, die für die ganze Welt gültig ist. Denn eine solche Grenze liegt in reichen Ländern selbstverständlich viel höher als in armen Ländern.
Die Armut nahm trotz Weltkriegen und Wirtschaftskrisen rasant ab
Die verbleibenden Unsicherheiten können aber den eindrücklichen Trend, den die Grafik zeigt, nicht schmälern: Der Anteil der Bevölkerung in extremer Armut (untere blaue Fläche), sinkt im grossen Ganzen gleichförmig von 1820 bis 2018 von 76 Prozent auf 10 Prozent. Dabei fällt auf, dass die Armut seit Mitte der 1990-er Jahre sogar beschleunigt abgenommen hat – trotz wachsender Bevölkerung.
Gleichzeitig sieht man aber, dass es mit den beiden Weltkriegen und der Wirtschaftskrise in den 1990-er Jahren auch empfindliche Rückschläge gegeben hat. Und noch nicht erfasst ist der aktuellste Rückschlag punkto Armut wegen der Corona-Krise. Trotz allem gibt die Grafik berechtigte Hoffnung, dass der Anteil der Menschen in grösster Armut weiter sinkt.
Noch immer leben acht Prozent der Weltbevölkerung in extremer Armut
Aber nicht nur der Prozentsatz der Bevölkerung in extremer Armut ist gesunken, sondern seit einigen Jahrzehnten auch die absolute Zahl der betroffenen Menschen: ein Grösse, die eigentlich noch wichtiger ist. Während 1990 weltweit noch zwei Milliarden Menschen in prekärsten Verhältnissen lebten – allein 700 Millionen davon in China – , sank dieses Zahl bis 2019 auf 650 Millionen. Das entspricht gut acht Prozent der Weltbevölkerung.
Diese letzten Zahlen stammen vom «Poverty Data Explorer» der Webseite «Our World in Data» (siehe hier). Mit diesem interaktiven Werkzeug zur Erforschung der Armutsentwicklung seit 1981 stellt «Our World in Data» eine hervorragende Plattform öffentlich zur Verfügung. Dabei können Daten aufgerufen werden, die Auskunft geben über den Anteil oder die absolute Zahl von Armutsbetroffenen oder über deren Einkommensverhältnisse – wahlweise für alle Länder der Welt.
Einmalig erfolgreiche Armutsbekämpfung in China
Grundlage für die Zahlen in diesem Explorer sind Daten der «World Bank Poverty and Inequality Platform» von 2022 (siehe hier). Mit der folgenden Grafik, die ich in diesem Explorer erstellt habe, werfen wir einen Blick auf die Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte. In dieser Zeit sind die Bemühungen für die Reduktion extremer Armut besonders erfolgreich gewesen.
Wiederum geht es um den Prozentanteil der Bevölkerung, die in äusserster Armut lebt. Die Grafik zeigt Entwicklungen, die sich auf die sogenannte Internationale Armutsgrenze von 2,15 Dollar pro Tag beziehen. Das ist die unterste Armutsgrenze – damit wird extreme Armut definiert. Bei allen Zahlen hat die Weltbank die Inflation und die Entwicklung der Kaufkraft berücksichtigt.
Auch in Indien starke Abnahme der Armut
Aus der Grafik ist herauszulesen, wie stark die Massnahmen in China zu einem Rückgang des weltweiten Anteils an extrem armen Menschen geführt haben. 1981 lebten in China noch horrend hohe 92 Prozent der Menschen in bitterster Armut. 2005 waren es nur noch 22 Prozent, was praktisch dem globalen Durschnitt entsprach. Aber schon 2013 lag die Quote unter drei Prozent, um bis 2019 auf 0,14 Prozent zu sinken.
China hat also das Ziel, extreme Armut auszumerzen, dank seines grossen Wirtschaftswachstums bereits erreicht. Aber auch Indien, in dem 1983 noch 56 Prozent der Bevölkerung in bitterer Armut lebten, konnte diesen Anteil bis 2019 auf 10 Prozent senken. Die indische und vor allem die chinesische Entwicklung haben dazu geführt, dass die Armutskurve der gesamten Welt seit 1990 um eindrückliche 77 Prozent gesunken ist.
In absoluten Zahlen mehr Armutsbetroffene in Sub-Sahara-Afrika
Natürlich dürfen die Bemühungen, extreme Armut einzudämmen, nicht erlahmen. Im Fokus steht dabei vor allem Sub-Sahara-Afrika, wo heute die meisten Menschen leben, die mit weniger als 2,15 Dollar pro Tag durchkommen müssen. Wie die Grafik zeigt, sank der Anteil der Armutsbetroffenen aber auch hier seit 1994. In absoluten Zahlen nimmt die Armut allerdings weiter zu. Denn das starke Bevölkerungswachstum in dieser Region macht die Fortschritte sozusagen zunichte: 1994 lebten in Sub-Sahara-Afrika 335 Millionen Menschen in extremer Armut, im Jahr 2019 waren es aber 390 Millionen.
Trotzdem: In den meisten Weltregionen war die Bekämpfung extremer Armut in den letzten 200 Jahren und vor allem in den letzten drei Jahrzehnten äusserst erfolgreich.
200 Jahre Fortschrittsgeschichte
1820 lebte eine Milliarde Menschen in grosser Armut. Krieg, Hunger und Tod waren allgegenwärtig. Dann setzte eine beispiellose Entwicklung ein. Heute wird die Erde von acht Milliarden Menschen bevölkert. Die Wirtschaftsleistung ist um das Hundertfache gestiegen, und die Menschen leben im Schnitt so lange wie nie zuvor.
Ich gehe in einer Serie einigen zentralen Aspekten dieser Fortschrittsgeschichte nach – wie immer illustriert durch einschlägige Grafiken.
Bisher erschienen:
Reichtum und Wohlstand dank wirtschaftlichem Wachstum: siehe hier
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