Energie Klima Politik

Flatterhafter Windstrom

Screen shot 2024 07 09 um 09.40.43

Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 118“ im Online-Nebelspalter vom 8. Juli 2024 zu lesen.

Baudirektor Martin Neukom hat vor kurzem bekanntgegeben, dass der Zürcher Regierungsrat 20 Regionen des Kantons als sehr gut geeignet für Windräder ausgewählt hat. Insgesamt könnten auf diesen Standorten rund 70 Anlagen gebaut werden. In den meisten Fällen wären diese über 200 Meter hoch, was einer massiven Industrialisierung bisher unberührter Naturlandschaften gleichkommt.

Die Begründung für diesen radikalen Schritt: Bessere Versorgungssicherheit im Winter wegen des Stroms aus Windanlagen. Das entpuppt sich bei genauerem Hinsehen aber als äusserst fragwürdig.

Was wichtig ist:

– Deutsche Onshore-Windanlagen erzeugen fast zwei Drittel ihres Stromes im Winter und kompensieren damit scheinbar die Winterschwäche der Solaranlagen.
– Das ist aber nicht viel wert, weil die Stromerzeugung aus Wind sehr unberechenbar ist und massive Schwankungen aufweist.
– Produktionsdaten zeigen: Auch im Winter gibt es immer wieder Perioden, wo der Wind über mehrere Tage fast ganz ausfällt.

Meine folgende Analyse der Windstromerzeugung bezieht sich auf das deutsche Stromsystem, weil Windstrom bei uns erst eine marginale Rolle spielt: Die 44 laufenden Schweizer Windenergieanlagen erzeugten 2023 170 Gigawattstunden (GWh) Strom. Damit haben sie nur gerade 0,2 Prozent zu unserer Landeserzeugung beigetragen.

Immer wieder gab es schwache Windjahre

Die Grössenverhältnisse zwischen Deutschland und der Schweiz lassen sich am besten an der aktuell installierten Leistung für die Windkraftanlagen ablesen: Die Schweizer Anlagen weisen eine Leistung von 88 Megawatt (MW) auf, die deutschen Windräder aber eine solche von 61’000 MW – das ist fast 700-mal mehr. Dabei sind nur die deutschen Onshore-Windräder erfasst, also die Anlagen auf dem Lande – so wie das bei uns ausschliesslich möglich wäre. Ins Meer gebaute Anlagen (Offshore) haben in Deutschland zusätzlich eine Leistung von 8760 MW.

Betrachten wir nun zuerst den Jahresertrag des deutschen Windstromes an Land. 2023 erzeugte Deutschland aus Wind 116 Terawattstunden (TWh) Strom – ein neuer Rekordwert. Zwei Jahre früher, 2021, waren es aber nur 88 TWh – der tiefste Ertrag der letzten fünf Jahre. Wenn man den grossen Leistungsausbau zwischen diesen beiden Jahren mitberücksichtigt, ergibt sich immer noch eine Differenz von 20 TWh, was auch für das deutsche Stromsystem eine Herausforderung darstellt: Offensichtlich schwankt die Windstärke in der Jahressumme erheblich.

Fast zwei Drittel des Windstromes fallen im Winter an

Als nächstes nehmen wir die saisonale Verteilung des Windstroms unter die Lupe. Im Winterhalbjahr vom Oktober 2022 bis März 2023 erzeugte Deutschland 63 TWh Onshore-Windstrom. Im darauffolgenden Sommerhalbjahr von April bis September 2023 waren es dann nur 38 TWh. Im Winter wurden also 62 Prozent des gesamten Jahresertrags produziert. In den zwei Jahren zuvor gab es Winteranteile von 65 respektive 61 Prozent. Es scheint also, dass beim Windstrom in unseren Breitengraden gut 60 Prozent der Jahresmenge im Winterhalbjahr erzeugt werden kann.

Halbjahresbilanzen verfälschen die tatsächlichen Verhältnisse

Mit dieser Halbjahresbilanz werden aber die realen Verhältnisse der Windstromproduktion in unzulässiger Weise geglättet und damit verschleiert: Erst eine Betrachtung der Erzeugung in Echtzeit klärt darüber auf, wann der Wind wie stark bläst, und wann nicht.

Die Quelle meiner hier verwendeten Echtzeit-Betrachtung ist das Fraunhofer ISE (Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, siehe hier) mit ihren interaktiven Energy-Charts. Dort werden alle wichtigen Kenndaten des deutschen Stromsystems grafisch aufbereitet. Bei der Windstromerzeugung geschieht das mit Viertelstundenwerten, die aus Daten der Übertragungsnetzbetreiber gewonnen werden.

Im Folgenden betrachten wir eine solche Echtzeit-Grafik für einen typischen Sommer- und einen typischen Wintermonat. Die erste Grafik zeigt die Stromerzeugung aus deutschen Windenergieanlagen und den Verbrauch (Last) in Deutschland im August 2023:

Quellen: Energy-Charts / Martin Schlumpf

Ein solches Leistung-Zeit-Diagramm von den Energy-Charts zeigt, wie gross die erbrachte Leistung der verschiedenen Energieträger in jeder Viertelstunde dieses Monats gewesen ist – gemessen in Megawatt (MW). Für diese Grafik habe ich nur die Zahlen für «Wind Onshore» (hellgrüne Fläche) und für «Last» (gleich Verbrauch, schwarz Kurve) daraus ausgewählt. Die Verbrauchsansprüche zu kennen ist wichtig, weil ja die gesamte Stromerzeugung zu jedem Zeitpunkt mit dem Verbrauch identisch sein muss.

Im August wird das Windpotenzial nur zu einem Achtel genutzt

Wie gut erfüllt die Windkraft nun als inzwischen grösstem Einzelerzeuger im deutschen Stromsystem diese Rolle in diesem Sommermonat? Wie man in der Grafik sieht, äusserst schlecht. Zum einen kann sie das Potenzial ihrer installierten Leistung, das in diesem Monat 60’000 MW betragen hat (violetter Strich oben, von mir eingezeichnet) nur sehr spärlich nutzen: Nämlich im Schnitt nur mit 7640 MW pro Viertelstunde (hellgrüner Strich unten, von mir eingezeichnet) – das entspricht mageren 13 Prozent oder einem Achtel der installierten Leistung.

Zum andern verläuft der Strominput aus Wind äusserst schwankend oder eben flatterhaft: Zwischen einem Maximum von 32’400 MW und einem Minimum von 520 MW geht es ziemlich unberechenbar mal rauf und mal runter. Das ist aber «Gift» für jede Stromversorgung, denn all diese Schwankungen müssen immer korrigiert werden: Ständig muss genügend regelbare Backup-Leistung vorhanden sein, um all diese Lücken zu füllen.

Wie sehen demgegenüber die Verhältnisse in einem Wintermonat aus? Die nächste Grafik zeigt die Resultate für den Januar 2023:

Quellen: Energy-Charts / Martin Schlumpf

Zuerst fällt auf, dass die Verbrauchskurve im Januar 2023 rund 10’000 MW höher liegt als im August 2023. Trotzdem rückt die grüne Windfläche insgesamt näher an die Verbrauchskurve heran, weil der Windstromertrag im Januar zweieinhalb mal so gross war als im August. Das spiegelt sich auch in der besseren Auslastung im Januar: Bei einer installierten Leistung von 58’000 MW (violetter Strich) erbringt die Windkraft durchschnittlich 19’200 MW Leistung pro Viertelstunde (hellgrüner Strich) – das entspricht 33 Prozent oder einem Drittel der installierten Leistung.

In der zweiten Januarhälfte bricht der Ertrag fast ganz ein

Aber mit der grösseren Strommenge nimmt auch das Ausmass der Schwankungsausschläge zu: Denn die Spitzenwerte vom August von gut 30’000 MW sind im Januar auf über 44’000 MW angewachsen, die Minima (immer nahe bei Null) sind aber im gleichen Rahmen geblieben. Und doch ist die Mengenverteilung anders: Im Januar 2023 gibt es bis Mitte Monat eine zweiwöchige Phase, wo immerhin etwa 10’000 MW Windstrom relativ gesichert vorhanden sind. Das wäre im August nie möglich gewesen. In der Zeit danach – vom 18. bis 29. Januar – ist dann aber der Stromertrag aus den Windrädern wegen einer Windflaute wieder fast ganz eingebrochen.

Das Fazit ist klar: Auch wenn aus Windanlagen im Winter mehr Strom zu erwarten ist als im Sommer, kann man doch nie sicher auf ihn zählen – wie gesagt, das ist «Gift» für jedes Stromsystem. Und dafür sollen Naturlandschaften durch Riesenanlagen aus Beton, Stahl und Plastik verschandelt werden?

Viel höher als der Prime Tower von Zürich

Können Sie sich übrigens vorstellen, wie es aussieht, vor einem über 200 Meter hohen Windrad zu stehen? Ich bin dabei zuerst gescheitert, weil ich nicht wusste, wie hoch der Prime Tower in Zürich ist, den ich mir als Vergleich vorgestellt habe. Nun dieser Zürcher «Wolkenkratzer» hat eine Höhe von 126 Metern: Die geplanten Zürcher Windräder würden ihn also fast um 100 Meter überragen.

3 Kommentare zu “Flatterhafter Windstrom

  1. Peter Molinari
    Peter Molinari

    Diese Windstrom-Euphorie hat nun leider mit der Annahme des Stromgesetzes im Mai eine demokratische Basis erhalten!
    Es ist ein Irrsinn, dass jetzt die Schweizer Landschaften mit solchen Windmühlen-Ungeheuern verschandelt werden, wo doch eine bewährte, sichere und praktisch CO2-freie Technologie vorhanden ist, welche ständig genügend Strom für die ganze Schweiz liefern könnte, deren Produktionsanlagen an wenigen eh schon industrialisierten Standorten gebaut werden können und welche auch ständig verbessert wird. Kernreaktoren der 3. und 4. Generation, könnten gar die vorhandenen Nuklearabfälle verwerten! Fachleute schätzen dieses Potential auf ca. 1000 (tausend!) Jahre Stromproduktion für die ganze Schweiz!
    Wir (die Kernkraftbefürworter) haben offensichtlich bei der Information der Bevölkerung mit wissenschaftlichen Tatsachen versagt.

    • Walter Krähenmann
      Walter Krähenmann

      Die Bevölkerung kann in solchen Abstimmungen über Technik nur nach Gefühl stimmen. Das nötige Fachwissen ist längst nicht mehr vorhanden und die Mühe zum Studium der Sachlage nehmen sich die wenigsten. Die grosse Mehrheit folgt blind dem Narrativ in Presse, TV und Rundfunk, die wiederum die Steigbügelhalter für die Profiteure sind, die natürlich auf den grossen Geldsegen warten. Müssten alle Windräder (und Solarparks) OHNE staatliche Subventionen für Bau, Unterhalt usw. betrieben werden, würde kein Unternehmen einsteigen.
      Zum Thema „Rückbau“ nach 20 Jahren: In Deutschland wird der grösste Teil dieser Türme schlicht und einfach gesprengt (es gibt dafür bereits spezialisierte Firmen), weil ein eigentlicher Rückbau viel zu teuer ist.

  2. Arturo Romer
    Arturo Romer

    Herr Prof. Martin Schlumpf hat hier einen sehr gut dokumentierten und sachlichen Artikel geschrieben. Die Schweiz ist kein typisches Windland. Die Anzahl der jährlichen Volllaststunden einer Windkraft-Anlage ist daher recht bescheiden. In der unten stehenden Anwort auf die Interpellation von NR Thomas Burgherr erwähnt der BR eine mittlere jährliche Anzahl Volllaststunden von 1500-2500 h. In der Nordsee (offshore) sind es 3500-4500 h. Ein Jahr hat 8760 h. Herr Schlumpf sagt relativ wenig über die Kosten und über die Emissionen einer Windkraftanlage: Investionen, Subventionen, Speicherung, Gestehungskosten pro kWh, g CO2/kWh, Entsorgungskosten einer Anlage, Reduktion der Immobilienwerte durch Windkraftanlagen, Lärmemission, Rohmaterialien, usw.
    Eines ist sicher: die schweizerische Windenergie ist mehrheitlich eine Flatterenergie. Die schweizerischen Windkraftanlagen wären ohne staatliche Subventionen beinahe alle unrentabel. Ich empfehle dem Leser die unten stehende Interpellation von NR Thomas Burgherr und die entsprechende Antwort des Bundesrates.

    https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20233317

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert