Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 76“ im Online-Nebelspalter vom 10. Juli 2023 zu lesen.
Noch nie hat die Welt mehr Kohle verbraucht als im Jahr 2022. Und weil die Kohle Haupttreiberin für die CO2-Emissionen ist, erstaunt es nicht, dass auch die Treibhausgas-Emissionen im letzten Jahr auf ein Rekordhoch gestiegen sind. Eine solche Entwicklung liegt aber völlig quer zu den Versprechungen vieler Länder, ihren CO2-Ausstoss bis 2050 auf netto null zu bringen.
Was wichtig ist:
– Die Internationale Energieagentur erwartet für 2022 den höchsten je gemessenen globalen Kohleverbrauch.
– Gut drei Viertel der Kohle wird in Asien verbraucht, in China allein sind es 53 Prozent.
– In den nächsten Jahren wird Indien den grössten Zuwachs beim Kohlebedarf verzeichnen.
– Auch die globalen Treibhausgas-Emissionen sind 2022 auf ein Rekordhoch gestiegen.
Jedes Jahr veröffentlich die Internationale Energieagentur (International Energy Agency, IEA) einen Spezialbericht über die Entwicklung des Energieträgers Kohle. Der neueste Bericht «Coal 2022», der im letzten Dezember erschienen ist, analysiert die aktuellsten Entwicklungen im Bereich Verbrauch, Produktion, Handel, Preise und Bergbau und erstellt eine Prognose bis 2025 (siehe hier). In diesem Beitrag konzentriere ich mich auf das Thema Verbrauch und gehe am Schluss auf die Konsequenzen dieser Entwicklung auf das Ziel Netto-Null-Emissionen ein.
Seit 2013 stagniert der Kohleverbrauch auf höchstem Niveau
Die folgende Grafik, die aus «Coal 2022» stammt, zeigt den globalen Kohleverbrauch pro Jahr von 2000 bis 2022, aufgeteilt nach den wichtigsten Verbrauchergruppen. Darüber hinaus zeigt sie die Prognosen der IEA bis ins Jahr 2025.
Der Verbrauch wird in Millionen Tonnen (Megatonnen, Mt) Kohle angegeben. Die gesamte globale Verbrauchskurve zeigt einen praktisch ausschliesslich durch China verursachten massiven Anstieg von 2000 bis 2013, wo mit 7997 Mt ein erster Höhepunkt erreicht wird. Danach fluktuiert der Verbrauch und sinkt 2020 mit der Corona-Pandemie relativ stark ab. In den zwei darauffolgenden Jahren erfolgt ein starker Rückschlag, der zum aktuellen Rekordhoch von 8025 Mt im Jahr 2022 führt (eingezeichneter Strich). Nach den Prognosen der IEA (leicht verdunkelt, rechts der Linie) soll dieser Höchstwert als Plateau praktisch unverändert bis 2025 andauern.
China verbraucht mehr als die Hälfte der Kohle
Diese Geschichte eines mehr oder weniger stagnierenden Weltverbrauchs der letzten zehn Jahre, hat viele Beobachter bei uns überrascht: Sie hatten damit gerechnet, dass der Kohleverbrauch nach 2013 (oder nach 2018) sukzessive zurückgeht – so wie es nach den Klimapolitiken vieler Länder hätte kommen sollen. Warum das nicht eingetreten ist, versteht man, wenn man die Entwicklung der einzelnen Verbrauchergruppen gesondert betrachtet.
Von unten nach oben sind das in der Grafik China (hellblau), Indien (dunkelblau), der Rest von Asien (rot), die USA (orange), die EU (violett) und der Rest der Welt (grau).
In Asien steigt der Kohleverbrauch noch immer
Zuerst fällt auf wie stark der Kohleverbrauch von China dominiert wird: Die 4250 Mt im Jahr 2022 entsprechen 53 Prozent des Weltverbrauchs – im Jahr 2000 lag der Anteil Chinas erst bei 30 Prozent. Bei allen Aussagen über den globalen Kohlebedarf, muss man also immer bedenken, dass China den Rest der Welt mehr als ausbalanciert. Hinter China folgen Indien und die übrigen Länder Asiens, die zusammen mit China 78 Prozent des Weltverbrauchs abdecken: Gut drei Viertel der Kohle wird in Asien verbraucht.
Und dort steigt der Verbrauch auch seit 2013 bis heute weiter an – wenn auch deutlich langsamer als zuvor. Weil wir aber gesehen haben, dass der Gesamtverbrauch der Welt von 2013 bis 2022 praktisch unverändert geblieben ist, bedeutet das, dass der Mehrverbrauch in Asien von rund 500 Mt andernorts eingespart worden ist. Wie die Grafik zeigt, war das vor allem in den USA der Fall, und in abgeschwächter Form auch in der EU. Im Rest der Welt gibt es kaum Veränderungen.
Die USA und Europa neutralisieren den asiatischen Anstieg
Wir sehen also zwei sich widersprechende Entwicklungen: Einerseits hochentwickelte Industriestaaten wir die USA und die EU, wo der Kohleverbrauch langsam zurückgeht, weil entsprechende Klimapolitiken erste Früchte tragen. In den USA ist dafür in erster Linie die Substitution der Kohle durch Gas aus Fracking verantwortlich. Und andrerseits sehen wir Schwellenländer in Asien, wo der Kohleverbrauch noch immer steigt, weil dieser einheimische Energieträger oft die einzige zuverlässige und kostengünstige Alternative ist, um die Menschen aus der Armut zu befreien.
Diese beiden Tendenzen haben sich in den letzten zehn Jahren offensichtlich gegenseitig neutralisiert. Und wenn man den Prognosen der IEA Glauben schenken darf, wird das auch bis 2025 so bleiben. Dies zeigt die nächste Grafik, die ebenfalls aus «Coal 2022» stammt.
Links wird hier der globale jährliche Gesamtverbrauch von Kohle für die letzten drei Jahre gezeigt (grüne Balken): also die starke Gegenentwicklung nach dem Corona-Einbruch von 2020. Zwischen den Balken der Jahre 2022 und 2025 wird dann das in den Prognosen bis 2025 vorausgesagte Plateau der Entwicklung nach den einzelnen Verursachern aufgeschlüsselt: Demnach sollen die EU 106 Mt, die USA 82 Mt und der Rest der Welt 39 Mt einsparen. Demgegenüber werden China 87 Mt, Indien 117 Mt und das übrige Asien 37 Mt mehr verbrauchen, was zu einem minimalen Gesamtanstieg von 13 Mt führt.
Indien wird zum Haupttreiber des Kohleverbrauchs
Obwohl die Gesamtbevölkerung Indiens im Jahr 2022 noch nicht ganz gleich gross war wie diejenige Chinas, hat Indien fast viermal weniger Kohle verbraucht als China: da besteht also ein riesiger Nachholbedarf. Und weil die Zahl der Menschen in Indien in den nächsten Jahrzehnten wachsen wird, während sie in China bereits rückläufig ist, versteht man, warum Indien zum bestimmenden Faktor des zukünftigen Mehrverbrauchs an Kohle wird.
Wie auch immer aber sich der Kohleverbrauch in den nächsten Jahren entwickeln wird, entscheidend ist, dass bis heute kein Abwärtstrend auszumachen ist. Und dies ist bedeutungsvoll, weil Kohle von allen fossilen Energieträgern der stärkste CO2-Treiber ist. Aber auch bei den übrigen fossilen Energieträgern Öl und Gas sieht es nicht besser aus: auch da nimmt der Verbrauch noch immer zu.
Globale Treibhausgas-Emissionen auf Rekordhoch
Nehmen wir als Referenz das Jahr 2015, in dem das Pariser Klimaabkommen lanciert wurde, mit dem der Treibhausgas-Ausstoss der Welt verringert werden sollte. Nach der neuesten Weltenergie-Gesamtstatistik des Energy Institutes (früher hiess das BP, siehe hier) ist der fossile Energieverbrauch von 2015 bis 2022 um sechs Prozent gestiegen. Kein Wunder also, dass sich die weltweiten Treibhausgas-Emissionen ebenfalls auf einem Allzeit-Rekordhoch befinden: Nach einem Plus von 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sind 2022 global 39,3 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent ausgestossen worden.
Ernüchterndes Fazit: So lange der Verbrauch fossiler Energien nicht zu sinken beginnt – und das tut er nach den IEA-Prognosen bis 2025 offenbar noch immer nicht – haben wir noch keinen einzigen Schritt Richtung Netto-Null-Emissionen gemacht. Und auch das Rekordhoch der im Jahr 2022 neu installierten Erneuerbaren ändert daran nichts, denn dieses wird mehr als aufgefressen vom höheren Energieverbrauch der Welt.
Die einzigen kurzen Schritte in Richtung Dekarbonisierung sind bisher ungeplant durch Wirtschaftskrisen ausgelöst worden – die letzte durch Corona. Wenn wir Menschen aber unseren gewaltigen Wohlstandsfortschritt weiter halten oder sogar vermehren wollen, werden wir versuchen, solchen Krisen aus dem Weg zu gehen oder sie möglichst kurz zu halten: Eine Energiewende zu Netto-Null-CO2 wird so aber erst nach Jahrzehnten möglich sein.
Pingback: Was andere Medien sagen
Ein sehr interessanter und gut dokumentierter Artikel. Prof. Martin Schlumpf informiert sehr sachlich. Die Menschheit ist noch weit entfernt von den “Netto-Null” CO2-Emissionen. Das ist auch sehr logisch: ganze Kontinente haben noch einen riesigen Nachholbedarf von Lebensqualität (Asien, Afrika, Südamerika, usw.). Und grosse Länder und Kontinente (z.B. Indien, Afrika, Südamerika, usw.) haben noch ein starkes Bevölkerungswachstum. Der Energiehunger wird die Menschheit leider noch für Jahrzehnte begleiten. Und der fossile Anteil des weltweiten Primärenergiebedarfs wird noch lange Zeit sehr hoch sein. Somit auch die CO2-Emissionen. Vergessen wir nicht: mindestens 80% des heutigen (2023) weltweiten Primärenergie-Verbrauchs sind immer noch fossiler Natur. Die Pariser Energie- und Klimaziele vom Jahre 2015 bleiben noch für lange Zeit eine pure Illusion. Ohne Zweifel muss die Menschheit mit Verantwortung reagieren und handeln. Doch das braucht noch viel Zeit, Geld, Entwicklung, Forschung, Anpassung, Wissen und Solidarität.