Klima Politik

Keine Gletscherpanik, bitte!

Die Initianten der Gletscherinitiative gaukeln uns vor, mit einem Verzicht auf fossile Energie könnten wir die Gletscher retten. Das ist heuchlerisch – und in Anbetracht der Geschichte auch grundlos.

Originalbeitrag im Online-Nebelspalter vom 7. März 2022.

Vor 11’500 Jahren schlug das Klima plötzlich um: Innert tausend Jahren erwärmte sich die Welt um mehrere Grad Celsius, die Gletscher gingen massiv zurück. Diese klimatische Veränderung hat es den Menschen möglich gemacht, sesshaft zu werden, sowie Landwirtschaft und Viehzucht zu betreiben. Und damit beginnt ein langer Weg mit unzähligen Versuchen, unsere Lebensbedingungen zu verbessern, der schliesslich in der einmaligen Erfolgsgeschichte der letzten zweihundert Jahre kulminiert.

Aus der Gletscherentwicklung in diesen 10’500 Jahren der Nacheiszeit kann man wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die bei der Beurteilung der Zukunftsperspektiven unserer Gletscher hilfreich sind. Im wunderbar bebilderten Buch «Gletscher» (siehe hier) des österreichischen Geografen und Hochgebirgsforschers Gernot Patzelt ist der aktuelle Stand der Klimaforschung in Bezug auf die Gletscherentwicklung in den Alpen für diese Zeit zusammengefasst. Die folgende Grafik zeigt die Temperatur-, Waldgrenz- und Gletscherentwicklung von 8500 v.Chr. bis heute.

(Click auf Grafik vergrössert diese) Der Zeitstrahl läuft in dieser Grafik ungewohnt von rechts nach links, unsere heutige Situation findet man also am linken Rand. Erfasst sind Schritte in je tausend Jahren, nach der Skala ganz unten als «Jahre vor und nach Christi Geburt» (AD = n.Chr. und BC = v.Chr.): Vor 2000 Jahren, bei Christi Geburt, steht dort also eine Null. Diese Einteilung zeigt, wie «grob» der Massstab sein muss, damit die hier gewünschten langfristigen Bewegungen erfasst werden können.

Schauen wir uns zuerst die durchschnittlichen Sommertemperaturen in den Alpen von Mai bis September an, die und in der obersten Zeile dargestellt sind. Diese Temperaturen sind massgeblich für den sommerlichen Rückzug der Gletscher verantwortlich. Wie man sieht, schwanken die Werte zwischen plus 0,5 und minus 1 Grad Celsius. Diese relativen Abweichungen beziehen sich auf die Durchschnittstemperatur des 20. Jahrhunderts, die als Nulllinie erscheint.

Sommertemperaturen im Holozän mehrheitlich höher als heute

Hier zeigen sich zwei Trends: Einmal wechseln längere Warmphasen (schwarz) mit kürzeren Kaltphasen (grau) ab. Die Spitzenwerte der Warmphasen befinden sich zwischen 6000 bis 4000 v.Chr., danach sinken sie bis heute kontinuierlich ab. Dazu kommt, dass seit der Bronzezeit vor etwa 4000 Jahren die Kaltphasen immer länger und stärker werden. Diese Entwicklung gipfelt in einer 800 Jahre dauernden Kälteperiode mit schwankenden Spitzen, die gerade erst zu Ende gegangen ist.

In dieser gesamten zwölftausendjährigen Periode, die als Holozän bekannt ist, sind die Sommertemperaturen also zum grössten Teil höher als im 20. Jahrhundert. Und gerade erst sind wir aus der längsten und strengsten Kältephase herausgekommen, die es darin je gegeben hat.

Altersbestimmung von Baumstücken mit Radiokarbonmethode

Woher aber kommt unser Wissen über diese Temperaturentwicklungen? Es stammt aus der Analyse von Baumresten und Torfstücken, die man am Ende von Gletscherzungen in unseren Alpen in den letzten Jahrzehnten gefunden hat. All diese biologischen Fundstücke wurden mit der sogenannten Radiokarbonmethode datiert. Diese Methode benutzt den radioaktiven Zerfall bestimmter Kohlenstoffatome, um damit das Ursprungsalter der Objekte ungefähr abzuschätzen.

In den letzten 10’500 Jahren waren die Gletscher mehr als die Hälfte der Zeit kürzer als im ausgehenden 20. Jahrhundert.


Aus der Analyse 143 solcher Fundobjekte haben Forscher der Universität Bern zwölf Perioden errechnet, in denen die Gletscher kürzer gewesen sind als heute. Diese Perioden sind in der zweituntersten Zeile der Grafik mit schwarzen Balken eingetragen. Es sind die Resultate aus der Studie «Joerin et al.», die 2016 erschienen ist (siehe hier). Daran mitgearbeitet hat auch der emeritierte Berner Geologie-Professor Christian Schlüchter, der als erster solche Gletscherfundstücke gesammelt und auch das Vorwort zum Buch von Gernot Patzelt verfasst hat.

Aufgrund der Datierung dieser Baum- und Schuttresten, den Abschätzungen über wandernde Baumgrenzen (zweitoberste Zeile der Grafik) sowie von Moränenbewegungen ist die Synthesedarstellung der Gletscherausdehnung auf der untersten Zeile der Grafik entstanden: In den letzten 10’500 Jahren waren die Gletscher mehr als die Hälfte der Zeit kürzer als im ausgehenden 20. Jahrhundert. Im Gegensatz dazu waren sie aber in den letzten 900 Jahren deutlich länger als heute.

Das aktuelle Abschmelzen der Gletscher ist nicht beispiellos

Kommen wir nun zum Kern der heutigen Gletscherproblematik, von der auch die Gletscherinitiative bestimmt ist: Sind die heutigen Gletscherrückgänge wirklich aussergewöhnlich? Und durch was werden sie verursacht? Auf die erste Frage gibt die Grafik eine klare Antwort. Das Abschmelzen der Gletscher seit 1850 ist kein einmaliger Vorgang: 6 bis 10 Mal war das früher auf ähnliche Weise auch der Fall, am deutlichsten um 800 n.Chr.

Die Bewohnerinnen und Bewohner von Fiesch haben 1678 mit dem Segen des Papstes darum gebetet , dass der Aletschgletscher sein Wachstum einstellt.


Einzigartig ist aber, dass die Gletscher während mehreren Jahrhunderten, bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein, ihre grössten Ausdehnungen der ganzen Holozän-Zeit erreichten. Dass eine solche Vergletscherung aber lebensbedrohlich sein kann, dokumentieren die Bewohnerinnen und Bewohner von Fiesch, die schon 1678 mit dem Segen des Papstes darum gebetet haben, dass der Aletschgletscher sein Wachstum einstelle.

Referenz für Pariser 1,5-Grad Ziel ist unsinnig

Ausgerechnet diese maximale Gletscherausdehnung – und damit das tiefste Temperaturniveau – wird nun aber vom Weltklimarat als Referenzgrösse für die Klimaentwicklung genommen: Das Pariser 1,5-Grad Ziel bezieht sich darauf. Hier sieht man, wie wenig diese Referenz mit seriöser Wissenschaft zu tun hat. Wenn man bedrohliche Temperaturentwicklungen identifizieren möchte, muss man von einem Durchschnittsniveau ausgehen, nicht von einem absoluten Tiefpunkt.

Kann man aus der Grafik aber auch Schlüsse über die Ursachen der Gletscherentwicklungen ziehen? Auf jeden Fall, denn alle Vorstösse und Rückzüge der Gletscher in der gesamten betrachteten Zeitperiode haben nichts mit menschengemachtem CO2 zu tun. Die Ursachen können also nur naturgegeben sein, was in etwa gleichbedeutend ist mit in «irgendeiner Weise von der Sonne abhängig».  

Warum sind die Gletscher 1980 nochmals vorgestossen?

Das gilt ganz spezifisch auch für den Auslöser der Gletscherrückgänge seit 1850: Warum setzt diese Rückzugphase zu einem Zeitpunkt ein, wo die Treibhausgase aus menschlicher Produktion noch keine Rolle gespielt haben? Darauf hat die Wissenschaft bisher keine plausible Antwort. Und wenn man in diese Entwicklung seit 1850 hinein zoomt, fällt eine Gletschervorstossphase auf, die um 1980 ihren Höhepunkt hatte: Wie aber ist zu erklären, dass mehr als die Hälfte der Schweizer Gletscher zu einem Zeitpunkt, wo der CO2-Ausstoss schon sehr bedeutend war, nochmals vorgestossen sind? Es gibt zu viele ungeklärte Fragen im Zusammenhang mit den möglichen Ursachen für den momentanen Gletscherrückgang, als dass man die simple Formel der Gletscherinitiative übernehmen könnte, die behauptet, dass die Eliminierung der CO2-Emissionen bis 2050 unsere Gletscher retten würde.

3 Kommentare zu “Keine Gletscherpanik, bitte!

  1. Arturo Romer
    Arturo Romer

    Ein sehr interessanter und seriöser Artikel von Herrn Prof. Martin Schlumpf. Während der letzten 2 Millionen Jahre waren die Kalt- und Warmzeiten durch die sogenannten Milankovic Orbital Parameter verursacht. Ausschlaggebend waren dabei die sogenannten Rückkopplungseffekte. Die Korrelation zwischen der mittleren Erdtemperatur und und der CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist heute wissenschaftlich bewiesen. Herr Schlumpf beschreibt in seinem Artikel auch das Verhalten der Gletscher. In der Geschichte gab es auch Ausnahmen. Nicht immer hatte eine Temperaturzunahme oder eine Temperaturabnahme das Schmelzen oder das Wachsen der Gletscher zur Folge. Die mittlere Erdtemperatur ist nicht der einzige Parameter für die Beschreibung der Gletscherdimensionen. Oft führten z.B. starke sommerliche Niederschläge, die Neigung der Gletschergebiete und die Bodenbeschaffenheit zu Ausnahmen in der Zu- und Abnahme der Gletscher. Seit dem Jahre 1850 hat sich die CO2-Konzentration der Atmosphäre wesentlich verändert. Während den früheren Kalt- und Warmzeiten varierte die CO-Konzentration der Atmosphäre zwischen 180 ppmv und 280 ppmv. Seit dem Beginn des industriellen Zeitalters (zirka Jahr 1850) hat die CO2-Konzentration aufgrund der menschlichen (=anthropischen) Tätigkeiten wesentlich zugenommen. Wir befinden uns heute bei zirka 420 ppmv. Die Gletscher werden weltweit innert dem Jahre 2100 mehrheitlich geschmolzen sein. Das kann auch die masslos teure, fanatische und ideologische Gletscher Initiative nicht verhindern. Die Befürworter der Initiative behaupten, dass das Schmelzen unserer Gletscher dank der Initiative gestoppt werden kann und dass die Gletscher dank dieser teuren Initiative wir wachsen werden. Das ist nicht wahr. Falls sich die Befürworter nur auf die schweizerischen CO2-Reduktionen beziehen, ist die Behauptung doppelt falsch. Die Schweiz allein hat nicht den geringsten messbaren Einfluss auf das Schmelzen der eigenen Gleitscher. Das Schmelzen der Gletscher ist ein planetarisches Problem.

  2. Helmut Hostettler
    Helmut Hostettler

    Eine geniale und einleuchtende Analyse. Der Verdacht, dass, aus welchen Gründen auch immer, eine für die Bevölkerung Besorgnis erregende Klimahysterie lanciert worden ist, hat sich bestätigt. Mögliche Ursachen: Denkfehler, Geltungssucht, politische Motive, Subventionsjäger etc.?

  3. Wern Bechtel

    Die Aussage: „Entwicklung seit 1850 hinein zoomt, fällt eine Gletschervorstossphase auf, die um 1980 ihren Höhepunkt hatte“ stimme ich nicht zu. Gletscher Ostalpen darf nicht verglichen werden mit dem Schnitt auf der Erde, da diese weiter weg sind vom Meer. Natürlich sind wir seit 5000 Jahren in Abkühlungsphase, aber seit 1850 ist die Erwärmung schneller als früher üblich. Ich bin Überzeugt das 1.5 Grad Ziel ist Langfristig zu hoch. Kurzfristig aber ist keine Eile geboten, genug Zeit mit Kernenergie oder / und neueren Technologien ein ca. 0.5 Grad Ziel zu erreichen. Ich befasse mich seit 1975 damit. https://wernibechtel.wordpress.com/2015/12/04/klimaerwaermung/

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