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Kernreaktor der Generation IV: Kopenhagen mischt vorne mit

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Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 89“ im Online-Nebelspalter vom 13. November 2023 zu lesen.

Im Mai dieses Jahres habe ich hier in einer zweiteiligen Serie über die Zukunft der Kernenergie geschrieben (siehe hier und hier). Mein Fazit war dort, dass wir in näherer Zukunft den Bau von grossen Kernkraftwerken der Generation III und III+ erleben werden, insbesondere in Schwellenländern. Und dass etwa um 2035 die ersten Reaktoren der Generation IV auf den Markt drängen, die in kleinen modularen Einheiten einen geschlossenen Brennstoffkreislauf ermöglichen können. Nun stelle ich ein konkretes Projekt dieser Generation IV vor, das hoffentlich in einigen Jahren realisiert werden kann.

Was wichtig ist:

– Copenhagen Atomics plant einen kleinen modularen Salzschmelze-Reaktor, der flexibel zusammengebaut werden kann.
– Als Brennstoff soll neben Uran und Thorium auch radioaktiver Abfall verwendet werden können.
– Mit hohen Betriebstemperaturen soll der Reaktor für Stromerzeugung, für industrielle Prozesswärme oder für Wasserstoff-Produktion in Frage kommen.

Copenhagen Atomics (siehe hier) ist eine in Kopenhagen angesiedelte Firma. Seit 2015 arbeiten 75 Angestellte dort an einem neuen Reaktordesign der Generation IV. Sie nennen ihren Reaktor «Waste Burner» (Abfall-Verbrenner). Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass in diesem Reaktor Bestandteile von konventionellem radioaktivem Abfall als Brennstoff eingesetzt werden können.

Vom Typus her ist dieser Waste Burner als Salzschmelze-Reaktor aufgebaut. Das bedeutet, dass sich im Reaktorkern eine Salzschmelze mit Temperaturen bis 700 Grad befindet, in der der Kernbrennstoff aufgelöst ist. Dies ermöglicht eine sehr flexible Palette an Brennstoffen, insbesondere auch die Verwendung von Thorium. Allerdings verfolgen auch andere Entwickler ähnliche Ansätze. Am fortgeschrittensten ist ein kleiner Testreaktor in China, der kurz vor der Inbetriebnahme steht.

Copenhagen Atomics hat ein besonders kompaktes Verfahren entwickelt

Ein weiterer Vorzug der Salzschmelze-Reaktoren ist, dass sich bei diesem Konzept nur wenig radioaktive Schadstoffe im Reaktorkern befinden. Dies gelingt, indem flüchtige Spaltprodukte kontinuierlich von der Schmelze abgetrennt und separat gelagert werden. Bei einem allfälligen Störfall kann so die Freisetzung von radioaktiven Stoffen um Grössenordnungen niedriger gehalten werden, als bei einem Versagen der Barrieren in einem konventionellen Reaktor. Copenhagen Atomics hat gerade für diese Abtrennung ein besonders kompaktes Verfahren erfunden.

Der geplante Reaktor von Copenhagen Atomics hat eine thermische Leistung von 100 Megawatt, gehört also zu den Small Modular Reactors (SMR). Er wird aus Serienfertigung per Lastwagen in grossen Transport-Containern angeliefert. Die nächste Grafik zeigt, wie viele dieser Container nötig wären, um die elektrische Leistung von tausend Megawatt zu erreichen – das entspricht der Leistung eines Kernkraftwerks von der Grösse Gösgens.

Quelle: Copenhagen Atomics

Diese Projekt-Visualisierung von Copenhagen Atomics zeigt eine grosse Reaktorhalle, in der 25 solche Waste Burners stehen müssen (numerierte Metallgefässe in der Grafik), damit sie zusammen tausend Megawatt elektrische Leistung haben. Jeder von diesen Reaktoren soll vollautomatisch ohne Wartung und externe Hilfe betrieben werden. Copenhagen Atomics will die bekannten Materialprobleme, die wegen Korrosion von Salzschmelzen auftreten, dadurch umgehen, dass der Reaktor nur fünf Jahre betrieben wird: Danach wird er mit einem vollautomatischen Kran (gelb) durch einen neuen Reaktor ersetzt.

Die Salzschmelze und das schwere Wasser, das zur Abbremsung der Neutronen im Reaktor dient, werden vor dem Wechsel in einen dahinter gelagerten gleich grossen Container gepumpt (bei Nr. 25 sichtbar). Der gebrauchte Reaktor wird zuerst gekühlt (Cooling vorne) und anschliessend in ein Lager (Storage links hinten) gebracht. Sobald der neue Reaktor eingesetzt ist, wird die Salzschmelze und das schwere Wasser wieder zurückgepumpt. Alle Arbeiten in der Halle müssen automatisch erfolgen, weil dort die Strahlendosis für den Einsatz von Personal zu hoch sein wird.

Der Flächenbedarf ist 600-mal kleiner als mit Fotovoltaik

Hinter der dargestellten Lagerhalle gibt es weitere Gebäude, in den die Turbinen zur Stromproduktion, Speichertanks zur Lagerung von Brennstoffen sowie weitere technische und administrative Einrichtungen untergebracht sind. Insgesamt würde ein solches Kernkraftwerk eine Gesamtfläche von rund 70’000 Quadratmetern beanspruchen: Das ist die Hälfte von dem, was Gösgen braucht. Und im Vergleich mit Schweizer Fotovoltaik-Anlagen könnte mit einer  solchen Anlage die gleiche Menge Strom auf einer rund 600-mal kleineren Fläche erzeugt werden.

Die Schweiz als eines der Länder, die im High-Tech-Bereich führend sind und über viel wissenschaftliches Know-how punkto Betrieb von Kernanlagen verfügen, nimmt an der Entwicklung von Generation-IV-Reaktoren nicht teil.

Mit wenig Platzbedarf und damit auch wenig Materialbedarf, mit inhärent sicherer Technologie ohne viel Wartung, mit der Wiederverwendung des «Abfalls» sowie einem breiten Anwendungsspektrum stellt dieses Konzept eine fast ideale Energiequelle dar. Da stellt sich die Frage: In welchem Entwicklungsstadium befindet sich dieses Projekt heute?

Schon 2028 ein marktreifer Waste Burner?

Nach eigenen Angaben hat Copenhagen Atomics bisher zwei Test-Reaktoren gebaut, die aber noch nicht nuklear betrieben werden. Damit konnten ihre Techniker im Bereich der Salzschmelze-Anwendung und beim Testen von Komponenten aber bereits sehr viele Erfahrungen sammeln. Den nächsten wichtigen Schritt, nämlich die Erprobung eines kritischen, also mit nuklearer Spaltung arbeitenden Reaktors, ist für 2025 geplant. Und bereits 2028 möchten sie den entscheidenden Schritt zu einem marktreifen Produkt vollzogen haben.  

Das ist ohne Zweifel ein äusserst ambitionierter Plan. Und insbesondere der Schritt in den «kritischen» Bereich der Kernspaltung könnte noch Überraschungen bereit halten, denn da hat Copenhagen Atomics bisher keine eigene Erfahrung.

Der Waste Burner ist im vorderen Mittelfeld der Entwicklung

Über die Internationale Atomenergie-Agentur IAEA (siehe hier), lässt sich der Entwicklungsstand des Waste Burner im Vergleich zu anderen Projekten aber objektivieren. In der neuesten Ausgabe des IAEA-Berichts über die Fortschritte der technologischen Entwicklung der SMR von 2022 (siehe hier) gibt es eine zusammenfassende Grafik über den Entwicklungsstand aller global laufenden SMR-Projekte:

Quelle: IAEA ARIS

Mit jedem Kasten wird in dieser Grafik eines der 83 SMR-Projekte, an denen weltweit geforscht wird, dargestellt. Die Farben der Kasten repräsentieren die verschiedenen Reaktortypen. Der Salzschmelze-Reaktor (Molten Salt Reactor MSR), um den es bei Copenhagen Atomics geht, wird grau dargestellt. Der Kasten für den Copenhagen Atomics Waste Burner (CA WB) habe ich schwarz eingerahmt.

Kopenhagen liegt bei den Salzschmelze-Projekten an der Spitze

Mit der vertikalen Skala wird die elektrische Leistung pro Reaktor angegeben. Der Waste Burner liegt mit 40 Megawatt elektrisch bei den eher klein dimensionierten Projekten. Den Entwicklungsstand der Projekte liest man auf der horizontalen Achse von links nach rechts ab: Je weiter rechts, desto detaillierte die Planung – bis hin zu «im Bau» oder sogar schon «in Operation». Auffällig ist, dass von allen Salzschmelze-Projekten, dasjenige von Copenhagen Atomics am weitesten fortgeschritten ist. Es ist diesem Projekt also zu wünschen, dass es genügend finanzielle Mittel requirieren kann, um die nächsten schwierigen Entwicklungsschritte möglichst erfolgreich meistern zu können.

Die Schweiz steht abseits

Die Schweiz als eines der Länder, die im High-Tech-Bereich führend sind und über viel wissenschaftliches Know-how punkto Betrieb von Kernanlagen verfügen, nimmt an solchen Prozessen nicht teil. Warum eigentlich nicht? Es wäre wohl zweckmässig, die Forschung am Paul Scherrer Institut und an den Eidgenössischen Hochschulen stärker finanziell zu unterstützen. Damit könnte die Schweiz die Kooperation mit Entwicklern neuer Reaktorkonzepte, wie dem von Copenhagen Atomics, verstärken.

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