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Klimaschutzgesetz: Die irreführende Behauptung der 200 Wissenschaftler

Knutti

Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 74“ im Online-Nebelspalter vom 12. Juni 2023 zu lesen.

Nehmen die Schäden wegen klimabedingter Naturkatastrophen zu? Dies behaupten über 200 besorgte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um den ETH-Klimaforscher Reto Knutti. Sie werben für das Klimaschutzgesetz, über das wir am nächsten Wochenende abstimmen. Ihre zentrale Aussage ist: «Wir sind heute schon von den Klimaschäden betroffen, und diese werden sich verstärken.» (siehe hier). Ich gehe hier nur auf den ersten Teil dieser Aussage ein: Wie stark haben wir bisher in der Schweiz unter Klimaschäden gelitten?

Was wichtig ist:

– Die Zahl der Todesfälle wegen Naturkatastrophen in der Schweiz ist in den letzten 75 Jahren signifikant zurückgegangen. Dieses Risiko ist heute fast vernachlässigbar.
– Die durchschnittliche Sterblichkeit bei Frauen und Männern (inklusive Hitzewellen) ist in den letzten 50 Jahren stark gesunken.
– Die materiellen Pro-Kopf-Schäden wegen Naturkatastrophen haben abgenommen.

Natürlich sind auch wir in der Schweiz vom Klimawandel betroffen: Etwa weil es wegen schwindendem Permafrost mehr Felsstürze und Murgänge oder wegen Starkregen mehr Überschwemmungen geben könnte. Wir müssen uns deshalb mit den sogenannten «Naturgefahrenprozessen» beschäftigen. Dabei stellt sich die Frage: Wie misst man überhaupt das Ausmass der Schäden, die von solchen Naturkatastrophen ausgehen?

Todesfälle wegen Unwetter haben signifikant abgenommen

Zuallererst misst man sie – wie bei allen Unfällen – durch die Anzahl Todesfälle, die dadurch verursacht werden. Genau das wurde im Rahmen einer detaillierte Langzeit-Studie der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) von 2017 gemacht. Dabei haben die Forscher die Opferzahlen in der Schweiz wegen Hochwasser, Rutschungen, Murgängen, Felsstürzen, Windstürmen und Blitzschlägen in der Zeit von 1946 bis 2015 gesammelt und untersucht.

Fazit der Forscher: Die Zahl der (nicht selbst verschuldeten) Todesfälle hat in dieser Zeit signifikant abgenommen. In der Zwischenzeit stehen die Daten dieser Studie auf dem Portal «EnviDat» öffentlich zur Verfügung und werden laufend aktualisiert (siehe hier). Daraus habe ich folgende Grafik erstellt:

Quelle: WSL / Schlumpf

Die Grafik zeigt die Zahl der Todesfälle pro Jahr, die durch Hochwasser, Rutschungen, Murgänge, Felsstürze, Stürme und Blitzschläge seit 1946 verursacht wurden. Die fein gestrichelte Linie zeigt den zehnjährigen rollenden Durchschnitt. Mit der dick gestrichelten Linie wird der Trend verdeutlicht, den die Forscher gefunden haben: Die durchschnittliche Zahl der jährlichen Todesopfer wegen Naturgefahren ist von zwölf in den 1940er Jahren auf heute noch drei gesunken.

Ein solches Risiko ist aber neben den etwa 70’000 Todesfällen, die wir in der Schweiz insgesamt pro Jahr zu beklagen haben, völlig vernachlässigbar. Wir ziehen also einen ersten Schluss: Die Gefahr, in der Schweiz wegen Unwetterkatastrophen zu sterben, hat in den letzten 75 Jahren signifikant abgenommen und sie ist praktisch vernachlässigbar.

Im stärksten Hitzesommer 2003 starben zusätzlich 975 Menschen

Aber wie steht es mit den Todesfällen wegen Hitzewellen, die hier nicht erfasst sind? Dazu gibt es einen Bericht aus dem Jahr 2020 des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts über hitzebedingte Todesfälle (siehe hier). Darin werden die zusätzlichen Todesfälle in den vier wärmsten Sommern 2003, 2015, 2018 und 2019 seit Messbeginn 1864 analysiert.

Der Bericht arbeitet mit der sogenannten hitzebedingten Übersterblichkeit. Diese gibt an, wie viele zusätzliche Todesfälle in einem bestimmten Sommer aufgetreten sind, verglichen mit dem Durchschnitt der vorangegangenen zehn Jahren. Im Rekordsommer von 2003 starben zusätzliche 975 Menschen, am wenigsten waren es im Sommer 2018 mit 185 zusätzlichen Todesfällen. Weil diese Zahlen viel höher sind, als die in der ersten Grafik gezeigten, müssen wir genauer darauf eingehen.

In der Schweiz sterben heute viel weniger Menschen als früher

Im Unterschied zur ersten Grafik, wo alle Fälle kausal einer Naturgefahr zugeordnet sind, handelt es sich bei der Übersterblichkeit um eine statistische Vergleichszahl, die keinen ursächlichen Zusammenhang mit bestimmten Todesursachen zeigt. Und es wird nur das Sommerhalbjahr betrachtet, in dem in der Schweiz schon immer weniger Menschen gestorben sind als im Winter. Für eine umfassende Sicht müssen wir deshalb einen Blick auf die ganze Dauer eines Jahres werfen. Und wir müssen die Entwicklung der allgemeinen Sterblichkeit über eine längere Zeitperiode betrachten.

Dies ist mit der folgenden Grafik des Bundesamtes für Statistik (BFS, siehe hier) möglich, in der die Anzahl Todesfälle pro 100’000 Einwohner seit 1969 gezeigt wird, aufgeteilt nach Männern und Frauen.

Quelle: BFS

Mit der hier gezeigten Entwicklung der Sterbeziffern (Todesfälle pro 100’000 Einwohner) haben wir das entscheidende Kriterium, das die Frage beantwortet: Gibt es heute (unabhängig vom Bevölkerungswachstum) allgemein mehr Todesfälle als früher? Die Antwort ist eindeutig: Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen sterben heute pro 100’000 Einwohner jährlich viel weniger Menschen als früher. Der Rückgang bei den Männern von 1271 im Jahr 1969 auf 502 im Jahr 2021 entspricht einem Minus von 61 Prozent. Bei den Frauen ist die Sterblichkeit in der gleichen Zeit um 59 Prozent zurückgegangen.

Schäden wegen Naturgefahren zeigen keinen Trend

Und welchen Einfluss haben nun die Hitzesommer? Ich habe das Rekordsommerjahr von 2003 in der BFS-Grafik schwarz markiert: Tatsächlich sieht man hier eine kurzzeitige Verzögerung beim generellen Absinken der Sterblichkeit. Aber der Gesamttrend bleibt ungebrochen: Es sterben immer weniger Menschen pro 100’000 Einwohner, trotz aller Beeinträchtigungen, die von Naturgefahren (wozu auch Extremtemperaturen gehören) ausgehen. Diese Tatsache sucht nach einer Erklärung: Könnte es sein, dass die Klimaerwärmung bei uns insgesamt sogar positive Auswirkungen hat, entgegen dem, was die eingangs erwähnten Wissenschaftler suggerieren?

Werfen wir nun noch einen Blick auf die materiellen Schäden von Unwettern in der Schweiz. Dazu gibt die sogenannte «Unwetterschadens-Datenbank» des WSL Auskunft (siehe hier). Die nächste Grafik zeigt, was hier unter «Jährliche Verteilung der Schäden 1972 – 2022» abgebildet ist.

Quelle: WSL

Die Schadenssummen werden einerseits nominal (blau) und andrerseits normalisiert (braun) dargestellt. Nominal heisst nach dem Geldwert des jeweiligen Jahres. Damit die Werte aber vergleichbar werden, sind sie hier teuerungsbereinigt auf der Basis von 2022 zu normalisierten Werten umgerechnet worden.

Rückgang der Schäden unter Berücksichtigung von Bevölkerungswachstums und BIP

Da die einzelnen Daten auf der Website nicht verfügbar sind, kann man keinen Trend eruieren. Dies ist aber wegen den extrem unterschiedlichen Werten auch problematisch. Mit Sicherheit aber lässt sich sagen, dass es keinen Trend zu mehr Schäden sichtbar gibt. Aufgrund der längeren «Ruheperiode» seit 2008 ist sogar eher das Gegenteil der Fall.

Angesichts des Wachstums der Bevölkerung und des Bruttoinlandprodukts mutet es wie ein Wunder an, dass die monetären Schäden aus Unwetterkatastrophen in der Schweiz nicht deutlich gestiegen sind.

Dazu kommt, dass in der Zeit von 1972 bis 2022 die Schweizer Bevölkerung um gut 40 Prozent gewachsen ist. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) als Gradmesser der Wirtschaftsentwicklung ist gleichzeitig um mehr als das Vierfache gestiegen. Angesichts dessen mutet es wie ein Wunder an, dass die monetären Schäden aus Unwetterkatastrophen in der Schweiz nicht deutlich gestiegen sind.

Ich habe in diesem Beitrag nicht untersucht, ob die durch den Klimawandel beeinflussten Naturgefahren in der Schweiz häufiger oder stärker geworden sind. Vielmehr habe ich mich darauf konzentriert herauszufinden, ob Wetterveränderungen direkt messbare Folgen für uns Menschen haben – egal, ob diese durch den Klimawandel verursacht sind oder nicht.

Die Argumente der 200 Wissenschaftler erweisen sich als unzutreffend

Das Fazit ist eindeutig: Langfristig gesehen ist das generelle Sterberisiko in der Schweiz kontinuierlich gesunken ist. Auf diesen Trend haben auch die sommerlichen Hitzewellen, die bisher die grösste klimabedingte Übersterblichkeit verursacht haben, keinen namhaften Einfluss. Bei allen anderen Naturgefahren gehen die Todesfälle signifikant zurück. Und auch bei den materiellen Schäden ergibt sich, trotz der bisherigen Klimaveränderungen, keinen Trend zu mehr Schäden. Unter Berücksichtigung aller wichtigen Faktoren ist sogar eher das Gegenteil der Fall.

Damit bricht das argumentative Fundament der erwähnten Wissenschaftler, die für ein Ja zum Klimaschutzgesetz werben, in sich zusammen: Der Klimawandel beeinflusst zwar auch die Schweiz. Aber davon, dass wir heute schon von steigenden Klimaschäden betroffen seien, wie die 200 Wissenschaftler suggerieren, kann keine Rede sein.

4 Kommentare zu “Klimaschutzgesetz: Die irreführende Behauptung der 200 Wissenschaftler

  1. Torsten Gürges
    Torsten Gürges

    Es gibt, gerade im akademischen Bereich, ein Problem. Und das ist nicht nur auf das Thema „Klima“ bezogen, sondern auf alle Bereiche, sobald sie „politisch interessant“ werden.
    Einerseits gibt es Leute, ich nenne absichtlich keine Namen und beziehe das ausdrücklich nicht (nur) auf die Schweiz, die ideologisch derart „verbohrt“ sind, dass sie – trotz an sich vorhandener Qualifikation – nicht mehr wissenschaftlich im eigentlichen Sinne agieren können, sondern nur noch „aktivistisch“. Oft haben diese Personen sich auch so in eine bestimmte Sichtweise verbissen, dass sie nicht wieder herauskommen. Das ist menschlich nachvollziehbar – wer will schon Jahre oder gar Jahrzehnte der eigenen Arbeit in Frage stellen? Wissenschaftlich hingegen ist es verheerend!
    Dann gibt es eine zweite akademische Gruppe, die mit Thema xy schlichtweg Geld bzw. Vorteile „erwirtschaftet“. Entweder für sich persönlich und/oder in Form von Anerkennung für ihr Fachgebiet. Natürlich nur solange sie bestimmte, von Geldgebern erwünschte Thesen, vertreten.
    Drittens, und das ist ein relativ neues Problem: Die fehlende Qualifikation von manchen Akademikern! Zwar hat es schon immer Leute gegeben, bei denen man sich gefragt hat, wie sie promoviert, habilitiert oder auch nur einen Abschluss gemacht haben. In den letzten zehn bis zwanzig Jahren hat das aber stark zugenommen (zeitlich korreliert mit dem Bologna – Prozess, wobei Korrelation keine Kausalität bedeuten muss). Natürlich betrifft das längst nicht jeden und ich kenne selbst junge Wissenschaftler, die nach wie vor „top“ sind. Dennoch fällt es auf. Es gibt da Leute, leider auch in den Naturwissenschaften, die zwar formal einen Abschluss haben, aber schlicht kaum etwas können. Haben sie aber die richtige „Haltung“, können sie trotzdem schnell „aufsteigen“. Lösung: Selbst denken und Autoritäten nicht blind glauben! Das war an sich schon immer kein schlechter Ratschlag!

  2. Daniel Kammermann
    Daniel Kammermann

    Die Wissenschafter des IPCC der UNO sind dazu gewählt worden, um die unbestrittenen Klimaveränderungen zu untersuchen und vor allem den Regierungen Massnahmen dagegen vorzuschlagen, die politisch „einfach“ durchsetzbar sind. Diesbezüglich ist die Unabhängigkeit der 200 Wissenschafter nicht ganz lupenrein. Ich erinnere daran, dass am 27. Juni 2022 eine Erklärung von 1107 (!!) unabhängigen Wissenschaftern als World Climate Declaration veröffentlicht wurde. Diese bestreitet, dass es einen Klima“notstand“ gibt (siehe http://www.clintel.org). Es besteht also genug Anlass dafür, die Schreckensszenarien von Knutti und Co. zu relativieren oder zumindest zu hinterfragen bezgl. der angewandten prognostischen Rechenprogramme.

  3. Arturo Romer
    Arturo Romer

    Ein sehr guter Beitrag von Prof. Martin Schlumpf. Vielen herzlichen Dank. Die Information zum Klimaschutzgesetz seitens Prof. Knutti und Kollegen ist sehr ideologisch und extrem politisiert. Viele Tatsachen werden seitens Prof. Knutti und Kollegen dem Volk nicht offen und ehrlich mitgeteilt:
    – die Schweiz ist schon längstens klimapolitisch weltweit ein grosses Beispiel. Sie wird es auch in Zukunft bleiben, auch ohne dieses ineffiziente, wirkungslose und teure Subventions-Klimaschutzgesetz.
    – mehr als 80% des heutigen weltweiten Primärenergieverbrauchs sind noch fossiler Natur. Daran kann das schweizerische Klimaschutzgesetz mit Sicherheit nichts ändern.
    – dieses Klimaschutzgesetz kann kein Gramm Gletscherschwund retten, weder in der Schweiz, noch weltweit. Die Befürworter dieses ideologischen Gesetzes versprechen den Schweizerinnen und Schweizern mit einem “Ja” wieder wachsende Gletscher und niedrigere Temperaturen. Reine Illusionen und Lügen!
    – viele grosse Länder der Welt werden das Pariser Klimaabkommen vom Jahre 2015 leider nicht respektieren können.
    – viele grosse Länder und Kontinente (China, Indien, Afrika, Russland, Südamerika, usw.) haben noch einen gewaltigen Energiehunger. Sie werden zum Teil inskünftig sogar noch mehr fossile Primärenergie verbrauchen als heute. Entwicklung, Evolution, Lebensqualität und Fortschritt setzen genügend Energie voraus.
    – der Klimawandel muss weltweit (inkl. Schweiz) effizient, machbar und tragbar bekämpft werden. Das braucht viel Zeit.
    – den Klimawandel muss man mittels 2 Strategien bekämpfen: CO2-Reduktion und Klimawandelanpassung.
    – die Verteuflung der modernen Kernenergie (Generation IV) seitens der schweizerischen Klimawissenschaft schadet mittel- und langfristig der Schweiz. Moderne Kernenergie kann ein wichtiger Teil im Kampf gegen den Klimawandel sein.
    – der Klimawandel findet statt und wird noch lange aktiv bleiben. Das heisst jedoch nicht, dass die Menschheit wegen des Klimawandels verschwinden wird. Hier wurde zwecks “Ja-Stimmen” seitens der Befürworter sehr viel Angst, Terror, Bedrohung und Weltuntergangsstimmung geschürt.
    – subventionierte Arbeitsplätze entsprechen nicht einer echten Markwirtschaft. Dieses Subventions-Klimaschutzgesetz führt letztlich in die Armut.
    – auch die Schweiz muss den Klimawandel bekämpfen. Jedoch mit gesundem Menschenverstand, mit Forschung, mit Wissen, mit Verantwortung, mit Effizienz, mit Machbarkeit und mit Tragbarkeit. Es braucht ein besseres Gesetz!

  4. Johannis Nöggerath
    Johannis Nöggerath

    Guter Beitrag. Aus der Coronazeit lernten wir, dass Polymorbidität in Form von Vorerkrankungen eine risengrosse Rolle spielte. Bei der höheren Übersterblichkeit durch Hitzeeinwirkungen der besonders langen und heissen Sommer wird dies ebenso zutreffen. Die Zahl der nicht markant vorerkrankten Hitzetoten dieser Sommer wird nochmals wesentlich tiefer liegen.
    Aus dieser Perspektive fragt sich, zu welchem Ausmass die Hitze als (Primär-) ursache oder lediglich als eine sehr ungünstige Begleiterscheinung zum fragilen Gesundheitszustand sehr geschwächter und vorerkrankter Menschen wirkte. Menschen, mit vermutlich sehr begrenzter weiterer Lebenserwartung.

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