Immer wieder hört man von neuen Möglichkeiten, mehr Solarstrom während der kalten Jahreszeit zu erzeugen. Eine im Auftrag des Bundes erstellte Studie kommt jedoch zu einem ernüchternden Schluss: Der mögliche Mehrertrag ist höchstens ein Tropfen auf den heissen Stein.
Originalbeitrag «Schlumpfs Grafik, Folge 11» im Nebelspalter vom 13. September 2021.
Das Problem ist bekannt: Mit der Energiestrategie 2050 wollen wir die Kernenergie mit erneuerbarer Energie – sprich vor allem Photovoltaik (PV) – ersetzen. Dies führt zu einer immer grösser werdenden Stromlücke im Winter, wie ich in einem früheren Beitrag gezeigt habe (mehr dazu hier).
Der wichtigste Grund für diese Mangellage ist, dass der Ertrag aus Photovoltaikanlagen im Winter naturgegeben viel geringer ist. Kann man das korrigieren? Alex Reichmuth hat in seinem Artikel im Nebelspalter «Solarstrom aus den Alpen: Ineffizient und teuer» bereits auf Probleme von Alternativen hingewiesen (mehr dazu hier). Mit wissenschaftlicher Gründlichkeit wird die Frage in der Studie «Winterstrom Schweiz – Was kann die heimische Photovoltaik beitragen?» behandelt, die im Auftrag von EnergieSchweiz (Bundesamt für Energie) erstellt wurde.
Ausbau um das Zwölffache
In der im September 2020 erschienenen Studie wird angenommen, dass die PV-Anlagen gegenüber heute um das 12-Fache ausgebaut werden, sodass sie pro Jahr 30 Terawattstunden (TWh) Strom liefern – das ist mehr als der heutige Kernkraftanteil von 23 TWh. In drei Szenarien werden verschiedene Ausbaupfade durchgespielt: In einem ersten Szenario wird angenommen, dass dieser Ausbau so wie bisher geschieht, in einem zweiten Szenario soll das maximale Winterstrompotenzial ausgereizt werden, während sich das dritte Szenario am heutigen Ausbaupfad orientiert, jedoch verstärkt auf winteroptimierte Anlagen setzt.
In der folgenden Grafik sieht man die Monatsproduktion dieser drei Szenarien: 1 Zubau wie bisher = Basis (blau), 2 Maximales Winterstrompotenzial = Maximal (orange) und 3 Anreize Winterstrom = Mittel (grün).
(Klick auf Grafik vergrössert diese) Erstaunlicherweise erklären die Forscher aber schon in der Studienzusammenfassung, dass das Maximalszenario, in dem die 30 TWh ausschliesslich an den am besten für Winterstrom geeigneten Dach- und Fassadenflächen realisiert werden, lediglich ein theoretisches Potenzial darstelle, das wirtschaftlich und architektonisch nicht erstrebenswert sei. Der Hauptgrund dafür ist, dass eine solch extreme Winteroptimierung zulasten der Jahresproduktion geht, und dass deshalb gegenüber dem Basisszenario 25 Prozent mehr Leistung installiert werden müsste, um den gleichen Jahresertrag zu erhalten. Das würde die Kosten um 40 Prozent in die Höhe treiben: Die Forscher halten deshalb dieses Szenario nicht für realistisch.
Steigerung um lediglich drei Prozentpunkte
So bleibt neben dem Ausbau wie bisher noch das mittlere Szenario, das mit derselben Leistung auskommt, wie das Basisszenario. Dies wird erreicht, indem ein guter Mix zwischen dem heutigen Anlagenpark und winteroptimierten PV-Anlagen angenommen wird – zum Beispiel Anlagen in den Bergen und an Fassaden, sowie in aufgeständerter Form. Wie stark kann damit der Winterstromanteil erhöht werden? Um ganze drei Prozentpunkte! Während im Basisszenario im Durchschnitt 27 Prozent der Jahresproduktion im Winterhalbjahr eingespeist werden, sind es im mittleren Szenario 30 Prozent. Oder in absoluten Werten: Von den 30 TWh Jahresproduktion werden im Basisszenario 8 TWh und im mittleren Szenario 9 TWh im Winter erzeugt.
Das ergibt eine Verkleinerung der Winterstromlücke um 1 TWh. Dies ist angesichts der besten Schätzung eines kommenden Winterdefizits von 23 TWh (mehr dazu hier) aber fast nichts. Es kann also keine Rede von einer signifikanten Verbesserung sein, denn sie geht im «Rauschen» der jährlichen Schwankungen unter, die beim Solarstrom deutlich grösser sind.
Markante Differenzen zwischen Sommer und Winter
Die Grafik zeigt aber mehr, als nur die Sommer-Winter-Verhältnisse. Sie könnte all denjenigen zum Pflichtstudium erklärt werden, die abstreiten, dass eine durch Solarstrom verursachte Winterlücke existiert. Wie dies zum Beispiel am Eco Talk von SRF vom 30. August der Präsident von AEE Suisse (dem Wirtschaftsdachverband für erneuerbare Energien), Gianni Operto, getan hat. Zur Begründung hat er angeführt, dass es heute schon Anlagen gäbe, die gut die Hälfe des Stroms im Winter produzieren (siehe hier). Das ist aber ein Scheinargument, denn solche Anlagen sind in der Studie ja mitgerechnet: Und wie man in der Grafik sieht, zeigen alle Szenarien, auch das extreme, markante Differenzen zwischen Spitzen im Sommer und Tiefen im Winter.
Zum Schluss noch ein Blick auf die Monate Dezember, Januar und Februar – der Zeit, in der sich das Problem eines Strommangels in der Schweiz zuspitzt, weil dann die Reservoirs der Speicherseen langsam zur Neige gehen, und der Bedarf sehr hoch ist. In diesen Monaten liefern heutige Kernkraftwerke im Durchschnitt konstante 2,2 TWh pro Monat. Wie die Grafik zeigt, ist aber genau in diesen kritischsten Monaten des Jahres sogar eine Stromversorgung mit PV-Anlagen, die die Kernkraftwerke mehr als «ersetzen», nicht in der Lage, auch nur die Hälfte des Atomstroms zu produzieren.
Etwas näher an den tatsächlichen Bedarf herankommen
Sicher ist es trotzdem sinnvoll, das Wenige, was man optimieren kann – gemäss mittlerem Szenario – zu tun. Nicht nur, weil die grünen Balken in den Wintermonaten etwas mehr Ertrag liefern, sondern auch, weil sie im Sommer weniger abgeben: Beides hilft, ein bisschen näher an den tatsächlichen Bedarf heranzukommen.
Das Fazit der Bundesforscher ist trotzdem klar und ernüchternd: Wir können zwar PV-Anlagen so optimieren, dass sie im Winter mehr Strom erzeugen. Aber auch wenn wir in den Alpen zubauen, mehr Fassaden berücksichtigen und die Dachanlagen anders ausrichten, füllen wir die Winterstromlücke damit nicht: Der Mehrertrag von 1 TWh ist nicht mehr als ein Tropfen auf einen heissen Stein.
Für die Versorgungssicherheit mit Strom im Winter sollten wir die bestehenden Kernkraftwerke möglichst lange sicher laufen lassen, Projekte für Staumauererhöhungen realisieren und in die Forschung an saisonaler Stromspeicherung und Energieeffizienz investieren. Und längerfristig müssen wir uns entscheiden, ob wir neue Kernkraftwerke oder neue Gaskraftwerke bauen.
Martin Schlumpf gibt dem Leser eine sehr gute, ideologiefreie und objektive Information. Ein Strom-Blackout im Winter wird immer wahrscheinlicher. Ich teile auch seine nachhaltigen Lösungsvorschläge: mehrere Staumauern erhöhen; wo möglich und sinnvoll Speicherkraftwerke durch Pumpbetrieb ergänzen; neue Stauseen realisieren, wo Gletscher verscwinden oder schon verschwunden sind; den sicheren Betrieb unserer Kernkraftwerke zeitlich verlängern; intensive Forschung und Entwicklung im Rahmen von Kernkraftwerken der 3. und 4. Generation (siehe z.B. den vor wenigen Tagen von den Chinesen angekündigte sehr interessante Thoriumreaktor). Langfristig wird sicher auch die Fusionsenergie für die Menschheit von grosser Bedeutung sein. Die Zukunft wird “erneuerbar + nuklear” sein. Wir müssen in die Ausbildung, in die Forschung und in die Entwicklung investieren. Mit Optimismus und Verantwortung.