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Neue AKW lassen sich in nur sieben Jahren bauen

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Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 65“ im Online-Nebelspalter vom 6. Februar 2023 zu lesen.

Im Januar 2022 hat die Aargauer SP-Nationalrätin Gabriela Suter in den CH-Media-Zeitungen behauptet, Planung und Bau eines neuen Kernkraftwerks in der Schweiz würde mindestens zwanzig Jahre dauern (siehe hier). Die Vizepräsidentin des Lobbyverbands Swissolar ist mit dieser Aussage nicht allein: Atomgegner wiederholen ständig, dass es bis zur Inbetriebnahme eines neuen Kernreaktors viel zu lange dauern würde, um gegen die drohende Stromlücke im Winter gewappnet zu sein. Damit versuchen sie, die Diskussion über die zukünftige Nutzung der Kernenergie abzuwürgen.

Was wichtig ist:

– In den letzten zehn Jahren sind weltweit 59 neue Kernkraftwerke ans Netz gegangen.
– Ihre durchschnittliche Bauzeit betrug 6,9 Jahre.
– Die Atomgegner reden aber vor allem vom finnischen Reaktor Olkiluoto-3, dessen Bau knapp 17 Jahre gedauert hat.

Wie lange dauert aber die Bauzeit – vom ersten gegossenen Beton bis zur Stromabgabe – wirklich? Wir ziehen dazu alle neu gebauten Kernkraftwerke der letzten Jahre auf der ganzen Welt bei.

Spezialisten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA, siehe hier) sammeln solche Daten und veröffentlichen sie auf ihrer Webseite – periodisch auf den neuesten Stand gebracht. Bei uns werden diese Zahlen vom Nuklearforum Schweiz übernommen und publiziert (siehe hier).

Sieben Jahre im Schnitt

Auf der Basis einer Zusammenstellung des Nuklearforums, die sich auf Informationen der IAEA stützt, habe ich die folgende Grafik erstellt, in der die Bauzeiten der 59 Kernkraftwerke, die in den letzten zehn Jahren ans Netz gegangen sind, in chronologischer Reihenfolge zu sehen sind.

Die blauen Balken stellen die Bauzeiten der entsprechenden Werke in Jahren dar. Die chronologische Reihenfolge mit Jahreszahlen bezieht sich auf die erste Stromeinspeisung. Mit der rot gestrichelten Linie ist der Durchschnittswert der Bauzeiten markiert, der bei 6,9 Jahren liegt. Gabriela Suter liegt mit einer mindestens 20-jährigen Erstellungszeit also weit neben der Realität – in den meisten Fällen auch dann, wenn zur hier dargestellten Bauzeit die Planungszeit hinzugerechnet wird.

17 Jahre Bauzeit in Finnland

Mit 38 Werken sind fast zwei Drittel der neuen Reaktoren der letzten zehn Jahre in China gebaut worden. Danach folgen Russland mit 8 Werken, Pakistan mit 4, Südkorea und die Vereinigten Arabischen Emirate mit je 3, sowie Indien, Weissrussland und Finnland mit je 1 Werk. Dieser Länderspiegel zeigt, dass fast nur aufstrebende Schwellenländer in Asien und im Nahen und Mittleren Osten auf neue Kernkraftwerke gesetzt haben, nicht aber etablierte Industriestaaten in Europa und in Nordamerika. 

Die grosse Ausnahme ist Finnland, wo im März 2022 das neue Werk Olkiluoto-3 nach einer Bauzeit von sage und schreibe fast 17 Jahren in Betrieb gegangen ist (siehe Grafik). Auf der Insel Olkiluoto im Südwesten Finnlands begann der Bau des ersten sogenannten EPR-Reaktors im August 2005. Das Design dieses Reaktors ist von der französischen Firma Framatome und der Nuklearsparte des deutschen Unternehmens Siemens entwickelt worden. Dieser Reaktor gehört zur Generation III+, die sich unter anderem durch eine erhöhte Sicherheit gegenüber der Generation II auszeichnet.

Die Chinesen brauchten nur halb so lange

Vier Jahre später, im November 2009 begannen die Chinesen mit dem Bau eines solchen EPR. Sie hatten das Prinzip dieses Reaktors in der Zwischenzeit «übernommen». Dieser wurde als Taishan-1 Ende Juni 2018 fertiggestellt (siehe Grafik), also praktisch in der halben Zeit verglichen mit Finnland. Worauf ist diese grosse Differenz bei der Bauzeit zurückzuführen?

In Finnland – und ganz generell in Europa – war zum Zeitpunkt des Baustarts 2005 das Wissen und die Erfahrung, wie ein solches nukleares Grossprojekt zu handhaben ist, weitgehend nicht mehr vorhanden. Denn es waren während Jahrzehnten keine neuen Werke mehr gebaut worden. Dies ist aber bei einem grossen Kernkraftwerk mit ganz spezifischen Materialanforderungen eine denkbar schlechte Ausgangslage. So mussten denn auch bereits erstellte Teile des Kernkraftwerks wieder abgerissen und neu gebaut werden.

Auch «Fukushima» verlängerte die Bauzeit

In Olkiluoto wurde ein solcher Reaktortyp weltweit zum ersten Mal gebaut. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass nicht vorhersehbare Probleme auftauchten – gerade auch, weil es sich beim EPR um den leistungsstärksten Reaktor handelt, der je gebaut wurde. Zudem wurden nach dem Reaktorunglück in Fukushima 2011 die regulatorischen Anforderung verändert und verschärft, was zu weiteren Verzögerungen führte.

Doch das Beispiel China zeigt, dass es auch anders geht – dann nämlich, wenn auf früheren Erfahrungen aufgebaut werden kann und eingespielte Lieferketten vorhanden sind. Ein besonderer Vorteil ist, wenn derselbe Reaktortyp mehrmals errichtet werden kann, was bei diesem EPR in China der Fall war: Im Juni 2019 ging ein zweiter EPR (Taishan-2) ans Netz, ebenfalls nach neun Jahren Bauzeit.

In China sind am meisten KKW im Bau

Die Vorteile, wenn denselben Reaktortyp an mehreren Standorten gebaut wird, zeigten sich in China auch beim Reaktor Hualong One (HPR1000): Der Bau als erster seiner Art (first-of-a-kind) in Fuqing-5 dauerte nur fünf Jahre und sechs Monate (siehe Grafik). Ein Jahr später, im Januar 2020, ging Fuqing-6 ans Netz, und im Moment wird an weiteren sechs Standorten ein solcher Reaktortyp errichtet.

Schauen wir noch auf den aktuellen Stand der Kernkraftwerke, die weltweit im Bau sind. Die folgende Grafik stammt von der Webseite der IAEA (siehe hier).

Die hellblauen Balken zeigen die Zahl der Reaktoren, die sich in den einzelnen Ländern im Bau befinden. Dunkelblau wird die elektrische Leistung dieser Reaktoren angegeben. Nicht überraschend ist auch hier China führend: 18 der insgesamt 57 Reaktoren, die sich momentan im Bau befinden, stehen dort. Zudem setzt auch Indien mit 8 Werken im Bau vermehrt auf Kernenergie. Und mit der Türkei, Äypten und Bangladesh gibt es drei Länder, die zum ersten Mal auf Atomstrom setzen.

Comeback der Kernenergie in Europa

Auch in Europa zeichnet sich ein Comeback der Kernenergie ab. Neben den schon erfahrenen Ländern Grossbritannien mit zwei EPR und Frankreich mit einem EPR im Bau, haben Polen drei und die Niederlande zwei neue Kernreaktoren bestellt. In Schweden ist eine Mehrheit der Bevölkerung für den Bau neuer Kernkraftwerke, und sogar Italien denkt über einen Einstieg in die Kernenergie nach.

Und die Schweiz? Um bei uns ein neues Werk bauen zu können, müsste zuerst die entsprechende Verbotsklausel im Energiegesetz gestrichen werden. Das müsste gemacht werden, wenn das Volk die sogenannte Blackout-Initiative annimmt, für die derzeit Unterschriften gesammelt werden (siehe hier). Denn die Initiative verlangt Technologie-Offenheit. Das Parlament könnte auch von sich aus das Verbot für neue KKW im Gesetz streichen.

Am wichtigsten aber ist, die regulatorischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingung so auszugestalten, dass die noch bestehenden Kernkraftwerke so lange wie möglich sicher weiter produzieren können: die beiden Beznau-Blöcke während insgesamt 70 Jahren und die Werke in Gösgen und Leibstadt während 80 Jahren.

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«Atomkraft – Das Tabu. Brauchen wir Kernkraftwerke?»

Mein Buch mit diesem Titel ist soeben im Buchhandel erschienen. Es enthält zwölf meiner früheren Nebelspalter-Grafik-Kolumnen, in denen alle wichtigen Argumente im Wettstreit «Kernenergie versus Solar» zur Sprache kommen – mit dem besseren Ende für die Atomtechnologie. Ergänzt werden diese Kapitel durch spezifische Fachbeiträge ausgewiesener Experten.

3 Kommentare zu “Neue AKW lassen sich in nur sieben Jahren bauen

  1. Guntram Rehsche
    Guntram Rehsche

    Die Aussagen in Schlumpf’s Grafik 65 bedürfen erheblicher Korrekturen:
    – Aufstellung misst die Zeit von «vom ersten gegossenen Beton bis zur Stromabgabe». (Immer nötige) politische Prozesse sowie Planungen und Umweltabklärungen werden vernachlässigt bei der «durchschnittlichen» Bauzeit von 6,9 Jahren.
    – Die Zeitspanne beruht im Wesentlichen auf Prozessen in dikatatorischen Regimes. Was wieder mal zeigt, wes Geistes Kind der Autor ist! Atomanlagen sind in den meisten Fällen nur in Diktaturen realisierbar – oder sie dauern eben bis zur Realisierung endlos lange, sind also nur schon für die Lösung der aktuellen Energieprobleme absolut ungeeignet.
    Verdankenswert ist immerhin die Gesamtübersicht von Schlumpf zu den realisierten AKW-Bauten der letzten zehn Jahre. Sie lässt den Schluss zu, dass angesichts der vielen Stilllegungen im Gesamtbestand über diesen Zeitraum rein gar nichts passiert ist . Mit anderen Worten: von einer Renaissance der Atomwirtschaft kann keine Rede sein. Und wie Atomstrom damit das Energiemanko der Zukunft lösen soll, bleibt das Geheimnis der Atom-Apologeten wie Schlumpf. Es bleibt dabei: Bis zur Realiserung eines AKW hierzulande oder in einem anderen demokratisch regierten Landes dauert es mindestens 15 bis 20 Jahre! Abgesehen davon, dass die Schweiz ja zuerst mal das Neubauverbot kippen müsste. – dann viel Vergnügen!

    • Johann Rentsch

      Die Gründe, weshalb es bei uns heutzutage 15 bis 20 Jahre dauert, um ein neues KKW in Betrieb zu nehmen, sind den fundamentalistischen Kernenergiegegnern vom Schlage des Herrn Rehsche durchaus bekannt. Es waren ja gerade sie, die genau darauf hingearbeitet haben.

  2. Arturo Romer
    Arturo Romer

    Ich bin seit immer Kernenergie Befürworter. Weltweit wird die Energiezukunft aus Kernenergie und erneuerbaren Energien bestehen. Herr Prof. Martin Schlumpf hat hier einen sachlichen, objektiven und informationsreichen Artikel über die heutige weltweite Situation der Kernenergie geschrieben. Tatsächlich gehören die jüngst gebauten und die sich heute im Bau befindenden Kernreaktoren zur Generation III und zur Geration III+. In wenigen Jahren werden sich jedoch Kernreaktoren der Geration IV auf dem Weltmarkt befinden. Die Schweiz sollte nach meiner Ansicht den Bau eines Kernreaktors der Generation IV anstreben. Zuerst müsste jedoch das Volk das Verbot für den Bau von Kernkraftwerken aufheben. Das wäre sinnvoll. Kernreaktoren der Generation IV werden sicher, effizient und nachhaltig sein. Kernreaktoren der Generation IV könnten auch einen wichtigen Beitrag im Rahmen der Entsorgung der radioaktiven Abfälle geben (wesentliche zeitliche Verkürzung der radioaktiven Abfälle durch Transmutation).

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