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Neue Zahlen zum Debakel der deutschen Stromwende

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Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 112“ im Online-Nebelspalter vom 13. Mai 2024 zu lesen.

Für die meisten Schweizer Links-Grünen verhält sich Deutschland beim Ausbau von Wind- und Solarenergie vorbildlich und ist damit Vorreiter auf dem Weg zur Dekarbonisierung. Eine Analyse des deutschen Stromsystems vom vergangenen April mit nahezu Echtzeitdaten zeigt aber, wie naiv und absurd diese Einstellung ist: Deutschland kämpft mit extremen Schwankungen bei der Stromerzeugung aus Wind und Sonne, die das ganze System instabil machen, die Kosten in die Höhe treiben und die Importabhängigkeit vergrössern.

Was wichtig ist:

– Die installierte Leistung der deutschen Wind- und Solaranlagen beträgt heute gut das Dreifache des durchschnittlichen Stromverbrauchs.
– Trotzdem konnte damit im letzten April nur die Hälfte des Verbrauchs gedeckt werden. Zum Teil betrug die Abdeckung sogar nur wenige Prozente.
– Je mehr grüner Strom erzeugt wird, desto stärker fallen die Börsenpreise – bis ins Negative.
– Solar- und Windlücken werden zunehmend mit Importen kompensiert.

Rolf Schuster vom deutschen Verein «Vernunftkraft» (siehe hier) erstellt jeden Monat eine umfassende Übersicht über die Erzeugung und den Verbrauch von Strom, die Kosten und die Import/Export-Bilanz Deutschlands. Dabei visualisiert er Daten von der Plattform der europäischen Elektrizitätsnetz-Betreiber «Entso-e» (siehe hier) mittels Grafiken. Im Folgenden zeige ich einige dieser Schuster-Grafiken.

Als erstes schauen wir uns an, wie sich der Stromverbrauch (Load) und der Input aus Solar und Wind während den 30 Tagen des April 2024 in Viertelstundenwerten entwickelt hat:

Quellen: Entso-e / Rolf Schuster

Die vertikale Achse dieser Grafik zeigt die elektrische Leistung in Megawatt (MW). Weil man in dieser Auflösung mit hohen Zahlen rechnen muss, vereinfache ich das Ganze, indem ich alles durch Tausend teile und damit alle Zahlen in Gigawatt (GW) angebe: Die y-Achse zeigt demnach Leistungswerte in Zehnerschritten von Null bis 160 GW. 1 GW entspricht dabei der Leistung des Kernkraftwerks Gösgen. Auf der x-Achse werden die 30 Tage des Monats in Viertelstunden-Portionen dargestellt.

Das Leistungspotenzial von Wind und Sonne wird nur zu 16 Prozent genutzt

Die Grafik zeigt zuerst im Hintergrund mit der oben rot begrenzten hellgrünen Fläche, wie die gesamte installierte Leistung aller Solar- und Windanlagen bis Ende April 2024 auf 157,8 GW leicht gestiegen ist. Der Anteil der Windanlagen beträgt dabei 70 GW, derjenige der Solaranlagen 88 GW. Der gesamte Stromertrag aus diesen beiden grünen Erzeugern ist in der Grafik kumuliert dargestellt: unten (blaue Fläche) sieht man die Erzeugung aus den Windanlagen, darüber gestapelt (gelbe Spitzen) ist der Ertrag aus den Solaranlagen zu sehen. Insgesamt beläuft sich die Produktion aus Wind auf 12’000 Gigawattstunden, der Solarertrag ist 6’450 Gigawattstunden.

Die Solaranlagen kommen damit auf eine Arbeitsauslastung von mageren zehn Prozent, während die Windanlagen ihr Leistungspotenzial immerhin zu 24 Prozent nutzen konnten. In der Summe wurde die installierte Leistung von Wind und Sonne, die dem Potenzial von 158 Kernkraftwerken der Grösse Gösgens entspricht, nur zu 16 Prozent genutzt. 158 Gösgener Kernkraftwerke hätten dagegen bei normaler Vollauslastung einen sechsmal höheren Ertrag erzielt.

Im Minimum kamen von Sonne und Wind nur drei Gigawatt

Bis zu welchem Grad aber konnten Wind und Sonne den Verbrauch in diesem Monat abdecken? Die Entwicklung des Verbrauchs ist in der Grafik mit der braunen Fläche hinter Sonne und Wind dargestellt. Dem Monatsverbrauch von 36’700 Gigawattstunden im April 2024 entspricht eine mittlere Verbrauchsleistung von 51 GW. Und weil dieser Mittelwert für die Wind- und Sonnenproduktion bei 25,6 GW liegt, konnte der Verbrauch in diesem Monat genau zur Hälfte durch Wind und Sonne abgedeckt werden.

Aber Achtung, das gilt eben nur im Monatsmittel. In Wirklichkeit – das zeigt die Grafik eindrücklich – schwankt der Ertrag aus Sonne und Wind gewaltig. Zwar liegen die Solarspitzen synchron mit den Verbrauchsspitzen am Mittag, aber darum herum tun sich viele unterschiedlich grosse Lücken auf: Insgesamt schwankt der Input aus Solar und Wind in diesem Monat zwischen 3 und 64 GW. Und deshalb gibt es nur wenige Momente, in denen mit Wind- und Sonnenstrom der gesamte Verbrauch gedeckt werden konnte: Zum Beispiel war das über Mittag an den Wochenenden vom 13./14. April Und 27./28. April der Fall.

In der nächsten Grafik, die die Kosten von Wind- und Solarstrom zeigt, sieht man, was das zur Folge hat:

Quellen: Entso-e / Rolf Schuster

Auf der Ausgabenseite (oben hellgrün) stehen die Abgaben, die die Betreiber von Wind- und Solaranlagen gemäss dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG, siehe hier) von den Konsumenten und vom Staat bekommen. Einnahmen (oben dunkelblau) können generiert werden mit dem Verkauf des Stromes an der europäischen Strommarkt-Börse EEX (siehe hier). Alle Werte sind in Millionen Euro pro Viertelstunde angegeben.

Extreme Solarspitzen führen zu negativen Börsenpreisen

Für uns entscheidend ist die rote Fläche, mit der die Differenz zwischen diesen Ein- und Ausgaben darstellt wird. An den beiden oben erwähnten Wochenenden mit praktisch vollständiger Stromversorgung aus Wind und Sonne über die Mittagszeit zeigt sich, dass sowohl am 13./14. als auch am 27./28. die höchsten Defizite des Monats entstanden sind. Der Grund dafür ist, dass während den Solarspitzen über Mittag die laufende Stromerzeugung aus Biomasse und Wasser sowie aus Kohle und Gas nicht so rasch und vollständig ausgeschaltet werden konnte. Somit entstand zu dieser Zeit ein grösserer Stromüberschuss, der zu einem Preiszerfall führte. Und schlimmer noch: Am 13., 14. und 28. gab es sogar deutlich negative Strompreise an der Börse (blaue Zacken im Minusbereich).

Deutschland wir immer mehr zum Stromimporteur

Diese absurde Situation, dass Deutschland sogar dafür bezahlen muss, dass sein Überschussstrom von den Nachbarn überhaupt abgenommen wird, wird zukünftig aber wohl häufiger auftreten: Denn die Regierung plant, die Wind- und Solaranlagen noch massiv auszubauen. Und weil mit dem Solarstrom ausgerechnet der ertragsschwächste Strom am meisten subventioniert wird, geht diese Stromwende langsam ans Portemonnaie: Das ganze Stromkosten-Defizit wegen Solar und Wind betrug allein im April 2024 1,6 Milliarden Euro.

Aber auch die Importe nehmen immer allmählich zu: Deutschland wird mehr und mehr zu einem Nettostrom-Importeur. Dies ist vor allem dem unsäglichen Entscheid, alle Kernkraftwerke abzuschalten, geschuldet. Die Viertelstunden-Grafiken von Rolf Schuster zeigen, wie die Versorgungslücken, die der stark schwankende Wind- und Solarstrom hinterlässt, immer mehr auch durch Importe gedeckt werden müssen.

Im Zeitraum von Januar bis April 2024 hat Deutschland nach Angaben von Rolf Schuster netto 5 Terawattstunden exportiert und 9,2 Terawattstunden importiert. Dieser Importstrom bestand dabei zu zwei Dritteln ausgerechnet aus französischem Atomstrom.

7 Kommentare zu “Neue Zahlen zum Debakel der deutschen Stromwende

  1. Prof. Dr. phil. Peter v. Dierkes
    Prof. Dr. phil. Peter v. Dierkes

    Sg. Hr. M. Schlumpf – ich lese Ihre Artikel und Kommentare immer sehr gerne! Haben Sie sich zufällig einmal mit dem Revelle Faktor befasst – ich finde niergends eine Berechnung!!! Mit Dank im voraus, Ihr Prof. Dierkes

  2. Walter Krähenmann
    Walter Krähenmann

    Kraftwerke mit solider Bandenergie abschalten und dafür Flatterstrom aus Sonne und WInd einsetzen ist ein technischer Blödsinn, umso mehr als für diesen Flatterstrom derart viel mehr installierte Leistung eingesetzt wird, weil der tatsächliche Wirkungsgrad so klein ist.
    Auf der anderen Seite kommt dazu, dass der Aufbau dieser Flatterstrom Anlagen extrem viel kostet. Dazu gehören auch zusätzliche Steuergeräte um die Frequenz stabil zu halten.
    Zum Schluss ist auch klar, dass diese neuen Stromquellen ca. 25 Jahre halten. Was passiert dann mit diesem Schrott? Wir sind auf dem besten Weg unseren Nachkommen gigantische neue Probleme zu hinterlassen.
    Darum ein Nein zu diesem Stromgesetz.

  3. Torsten Gürges
    Torsten Gürges

    Wenn die Schweiz wie geplant ihre Solar – Nennleistung ebenfalls massiv ausbaut, Deutschland und Italien dasselbe tun, Österreich ebenfalls… Was passiert dann in 10, 15 oder 20 Jahren, wenn in einem November-, Dezember-, Januar- oder Februarmonat wenig Solar (Nachts: gar keine!) und zudem wenig Wind da ist? «Zerren» dann alle an Frankreichs Kernkraftwerken? Wer glaubt das die dann reichen und die Franzosen sie eben nicht für sich selbst nutzen – selbst falls es Lieferverträge geben sollte? Und selbst in Sommermonaten – gibt es da keine windstillen Nächte?
    Pumpspeicher, um die Überschüsse zu speichern sind in der nötigen Grösse VÖLLIG(!) illusorisch. Man muss bei «schwankenden Energien» mindestens 7% bis 9% der gesamten, gelieferten Energie speichern, damit das Netz stabil bleibt. Will man nur(!) die drei Kernkraftwerke der Schweiz derzeit durch «Solar» ersetzen, entspräche das bei 23500 GWh, die die KKW in 2023 erbracht haben, eine zu speichernde Energiemenge von rund 2000 GWh: Das entspricht der Kapazität von 100 mal (in Worten: EINHUNDERT) Nant de Drance!
    Wo denn? Und mit welchem Geld? (Nant de Drance kostete vor einigen Jahren 2 Milliarden Franken!)
    Und mit Wasserstoff? Viel Vergnügen beim Aufbau von Elektrolyseuren, Speichern für den Wasserstoff (die Energiedichte in kWh/Kubikmeter ist viel geringer als bei Erdgas und die Schweiz hat kein Speichernetz dafür) und Rückverstromungsanlagen, die zudem nur „ab und zu“, je nach Wetter, laufen. Zudem erhält man nur 30% bis 40% (letzteres wenn es sehr gut(!) läuft) der eingespeicherten Energie zurück. Der Rest geht auf dem Weg: «Erneuerbarer Überschuss – Elektrolyse – Speicherung – Rückverstromung» als nicht nutzbare Wärme verloren. Selbst wenn man die Wärme zum Teil doch nutzen könnte (Kosten?): Wärme ist eben kein Strom!
    Die Schweiz braucht eine verlässliche, autarke Stromversorgung! Dann und nur dann ist sie in der Lage auch in Zukunft souverän zu agieren (und in Mangelzeiten, die z.B. in Deutschland sicher auftreten werden, zu helfen – und dabei Geld zu verdienen!).

  4. Pingback: Was andere Medien sagen

  5. Arturo Romer
    Arturo Romer

    Eine sehr gute, wichtige und warnende Information von Herrn Prof. Martin Schlumpf. Die deutsche Energiewende ist sicher nicht empfehlenswert. Ich kann mir vorstellen, dass die Stromrechnungen in Deutschland unerträglich geworden sind. Was mir am Herzen liegt: die Schweiz darf diese deutsche Energiewende nicht nachahmen. Mit dem vorliegenden extrem teuren und ineffizienten schweizerischen Stromgesetz/Mantelerlass gehen wir leider genau in diese Richtung. Es gibt nur eine Sofortmassnahme: am 9.6.2024 ein Nein zu diesem Stromgesetz!

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