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Noch ein weiter Weg bis zur Wasserstoff-Wirtschaft

Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 91“ im Online-Nebelspalter vom 27. November 2023 zu lesen.

Am 15. November dieses Jahres hat der Bundesrat den Bericht «Wasserstoff. Auslegeordnung und Handlungsoptionen für die Schweiz» verabschiedet (siehe hier). In der Medienmitteilung dazu heisst es, dass dieser Bericht die Grundlage liefert für eine nationale Wasserstoffstrategie, die der Bundesrat 2024 vorlegen wird (siehe hier).

Was wichtig ist:

– Wasserstoff soll einen wichtigen Beitrag leisten, die Treibhausgasemissionen der Schweiz bis 2050 auf Netto-Null zu bringen.
– Die wichtigsten Anwendungen werden bei der Hochtemperatur-Prozesswärme sowie beim Langstrecken- und Schwerverkehr erwartet.
– Bis 2035 muss die Schweiz ihren Wasserstoff selber produzieren. Danach könnte der Import kostengünstiger werden als die inländische Produktion.
– Eine Studie der ETH Lausanne weist auf nicht gelöste Probleme bei der Speicherung und den daraus entstehenden hohen Kosten hin.

Wasserstoff ist ein echter Allrounder im Energiebetrieb: In der Industrie und im Verkehr können damit fossile Energien ersetzt werden. Mit einer Brennstoffzelle lässt sich Wasserstoff in Strom verwandeln. Und er kann als Gas oder in flüssiger Form gespeichert und auch über sehr lange Strecken transportiert werden. Es fragt sich deshalb, warum die Verwendung von Wasserstoff als Energieträger heute noch immer so selten ist.

Erste Wasserstoff-Blase platzte zu Beginn unseres Jahrhunderts

Eine Antwort auf diese Frage erhält man, wenn man sich an einen ersten Wasserstoff-Boom im Jahr 2000 erinnert: Damals stieg der Börsenindex für die Unternehmen dieses Sektors um das Sechsfache. Doch weil die Technologie damals zu teuer und nicht ausgereift war, platzte die Blase, und die Investoren verloren viel Geld.

Ist das heute anders? Seit die deutsche Bundesregierung im Juni 2020 angekündigt hat, mit einem neun Milliarden Euro schweren Konjunkturpaket, den Aufbau ihrer Wasserstoffindustrie aufzugleisen, häufen sich die Meldungen über Massnahmen, die in die gleiche Richtung zielen. Besonders wichtig war die Ankündigung der EU-Kommission im Juli 2020, ein Wasserstoff-Programm zu lancieren, das bis ins Jahr 2050 gegen 500 Milliarden Euro Investitionen vorsieht. Und tatsächlich beteiligen sich seither auch alle grossen Öl- und Gas-Konzerne wie BP, Total oder Shell an der Forschung und Entwicklung neuer Wasserstoff-Anwendungen.

Wasserstoff ist aber nicht gleich Wasserstoff: Denn weil dieser Rohstoff auf natürliche Weise kaum erschlossen werden kann, ist es entscheidend, aus welche Weise er hergestellt wird. Für die Unterscheidung der verschiedenen Herstellungsverfahren hat sich eine Klassifizierung nach Farben eingebürgert. Der bisher in der Schweiz weitaus am häufigsten verwendete Wasserstoff ist sogenannt grauer Wasserstoff, der aus Erdgas durch eine chemische Reaktion namens Dampfreformierung gewonnen wird. Dabei werden grosse Mengen an CO2 emittiert.

Grüner Wasserstoff ist dreimal teurer als grauer Wasserstoff

Für die Erreichung unseres Klimaziels von Netto-Null Treibhausgasemissionen bis 2050 soll vermehrt sogenannt grüner Wasserstoff zum Einsatz kommen. Dabei wird Wasser mit Ökostrom mittels Elektrolyse in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff aufgespalten. Dieser Prozess ist aber sehr energieintensiv. Darum kostet grüner Wasserstoff heute noch zwei- bis dreimal mehr als grauer Wasserstoff – womit er wirtschaftlich noch nicht konkurrenzfähig ist. Zusätzlich bedingt er einen starken Ausbau der Stromproduktion aus Fotovoltaik.

Die nächste Grafik aus dem erwähnten Bericht zeigt, wo der Bundesrat in Zukunft die wichtigsten Anwendungsbereiche von Wasserstoff in der Schweiz sieht:

Quelle: IRENA 2022

Anhand dieser Grafik der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA, siehe hier) zeigt der Bundesrat, dass Wasserstoff prioritär in Raffinerien, in der Stahlproduktion, im internationalen Schiffs- sowie im Langstreckenflugverkehr, im Schwerlastverkehr, als saisonaler Energiespeicher und zur Erzeugung von Hochtemperaturprozesswärme zum Einsatz kommen soll (grüner Kasten rechts-oben). In allen anderen Bereich ist eine direkte Elektrifizierung sinnvoller (blauer Kasten links-unten).

Aufschlussreiche Studie der ETH

Von besonderer Bedeutung ist die saisonale Speicherung: Hier geht der Bundesrat nicht davon aus, dass das zentrale Problem der Speicherung von Sommer-Überschussstrom in den Winter mit einer Wasserstoff-Strategie im grossen Massstab gelöst werden kann. Dafür fehlen nicht nur die Lagerungsmöglichkeiten, sondern der notwendige Rückverstromungsprozess ist enorm teuer und auch noch sehr ineffizient: Vom Sommerstrom würde im Winter nur noch rund ein Viertel der Energie zur Verfügung stehen.

Zu diesem wichtigen Punkt gibt es eine aufschlussreiche Studie, die 2022 an der ETH Lausanne publiziert wurde: «Future Swiss Energy Economy» von Andreas Züttel et al. (siehe hier). Die Autoren haben darin untersucht, wie ein Schweizer Energiesystem aussehen könnte, wenn alle Kernkraftwerke abgestellt und alle fossilen Energien durch CO2-freie Energieträger ersetzt würden.

Für die Herstellung braucht es neunmal die verfügbare Fotovoltaik-Fläche

Die nächste Grafik aus dieser Studie zeigt ein CO2-freies Schweizer Gesamtenergie-System, das neben der geplanten Elektrifizierung schwergewichtig auf dem Ersatz fossiler Energie durch Wasserstoff beruht: 

Quelle: Future Swiss Energy Economy

Zusätzlich zur heute schon bestehenden erneuerbaren Stromerzeugung aus Biomasse und Wasserkraftwerken (ganz oben grau) besteht das von Züttel et al. gerechnete Wasserstoff-Energiesystem der Schweiz aus drei Teilen, die in der Grafik auf drei Zeilen dargestellt sind. Die oberste Zeile zeigt den Ersatz des Stroms aus den Kernkraftwerken durch Solar- und Windanlagen. Auf der untersten Zeile sieht man die Produktionskette, die notwendig ist, um den fossilen Flugtreibstoff durch synthetisches Kerosin zu ersetzen.

25-mal der Gotthard-Basistunnel für die Speicherung

Diese zwei Zeilen zeigen also diejenigen Teile des Systems, die nicht mit Wasserstoff operieren. Die angegebenen Prozentzahlen sind allerdings missverständlich: Denn das gesamte in der Studie dargestellte Energiesystem besteht aus den heute vorhandenen erneuerbaren Energien, plus 100 Prozent Wasserstoff, plus 33 Prozent Elektrizität, plus 15 Prozent Synfuel.

Die einzelnen Schritte der notwendigen Wasserstoff-Wirtschaft werden auf der mittleren Zeile rot erläutert: Durch Elektrolyse wird aus Wasser mit erneuerbarem Strom Wasserstoff (H2) hergestellt. Dieser wird in Tanks unterirdisch gelagert. Danach wird er wieder verstromt oder zu Treibstoffen weiterverarbeitet, die im Verkehr zur Anwendung kommen.

Kurz zusammengefasst kommt die Züttel-Studie bei diesem Wasserstoff-Energiesystem zu folgenden Ergebnissen:

1. Die gesamte zusätzlich benötigte Fläche für Solaranlagen beträgt 165 Quadratmeter pro Kopf (alle Zahlen in der Grafik geben Pro-Kopf-Verhältnisse an): Das ist neunmal mehr, als die in der Schweiz für Fotovoltaik wirtschaftlich sinnvoll nutzbare Fläche.

2. Für die saisonale Speicherung des benötigten Sommerstroms in den Winter wären pro Person 6,5 Kubikmeter nötig: Das entspricht total 25-mal dem Volumen eines Gotthard-Basistunnels – eine reine Fantasie-Zahl.

3. Die geschätzten Jahres-Durchschnittskosten pro Kilowattstunde wären zwei- bis dreimal höher, als bei einem rein elektrischen System – das aber wegen fehlender Saisonspeicherung gar nicht realisierbar ist.

Diese Zahlen zeigen, dass es bis zur Realisierung eines wirtschaftlich rentabel betreibbaren Wasserstoff- Energiesystems noch ein weiter Weg ist, was Grundlagenforschung und technische Anwendung anbelangt. Und ob ein solcher Weg für die Schweiz in Eigenproduktion überhaupt je sinnvoll sein wird, oder ob wir auf Wasserstoff-Importe hinarbeiten sollten, ist völlig offen.  

Weiterführende Kolumnen zur Studie von Andreas Züttel:
Platzt unser Traum einer CO2-neutralen Gesellschaft? siehe hier
Unsere Energiewende wird teuer: siehe hier

3 Kommentare zu “Noch ein weiter Weg bis zur Wasserstoff-Wirtschaft

  1. Torsten Gürges

    Ich halte die Wasserstoffpläne auch für unrealisierbar. Der Artikel nennt diesbezüglich gute Argumente.
    Speziell was die Kosten für den Import betrifft, möchte ich aber noch auf eines hinweisen:
    Der „Energy – Outlook Africa“ der IAE – unter diesem Link verfügbar:

    https://iea.blob.core.windows.net/assets/220b2862-33a6-47bd-81e9-00e586f4d384/AfricaEnergyOutlook2022.pdf

    geht von Kosten zwischen 2 und 5 US – Dollar für die Produktion von 1 kg Wasserstoff aus – je nach Region und Methode, s. pdf Seite 152. Ob diese Werte tatsächlich erreichbar sind, wäre eine andere Frage. Ich halte sie für einen „best case“. Die höheren Werte gelten dabei für die Produktion mit Erneuerbaren, die niedrigsten für die Produktion aus Erdgas und nachfolgender Kohlendioxidabscheidung (CCS). Wobei man sich fragt, warum man dann die CCS nicht gleich auf Gaskraftwerke (oder auch Kohlekraftwerke) anwendet.
    Was bedeuten diese Kosten? Der Brennwert von Wasserstoff liegt bei ca. 39 kWh/kg, der Heizwert nur bei knapp 34 kWh/kg. Rechnet man die Kosten um, ergibt das im ABSOLUTEN MINIMUM (Herstellung aus Erdgas und CCS sowie Brennwert als Bezugsgrösse): 5,12 Cent/kWh
    Im Maximum (Erneuerbare und Heizwert als Bezugsgrösse): 14,7 Cent/kWh.

    Was bedeutet das? Es bedeutet, dass selbst im allergünstigsten Fall und wenn die Prognosen der IAE richtig sind, die Kosten für Wasserstoff auf dem Bereich des Panikpreisniveaus für LNG(!) aus den USA vom September 2022 liegen würden! Beachten Sie, dass die Kosten für Erdgas (nicht zwingend LNG) derzeit nur knapp 0,9 Cent pro kWh betragen:

    https://www.finanzen.ch/rohstoffe/erdgas-preis-natural-gas

    Die Preise sind hier in USD pro MMBTU. Die Umrechnung: 1 MMBTU sind ca. 293 kWh)

    Bedeutet: Mindestens Panikpreisniveau von 2022 für LNG
    Höchstens: Das ca. 3 – fache davon (falls die Prognosen der IAE stimmen).

    Und im schlimmsten Fall mehr als das 15 – FACHE(!) des derzeitigen Preises.

  2. Walter Utiger

    Ich bin erstaunt, welch guten Ruf Wasserstoff in den „Träumen der Erneuerbaren“ geniesst. Ist es doch verglichen mit Erdgas schwer handhabbar: Es hat eine geringe Dichte, ist korrosiv und wird erst bei minus 253 Grad flüssig. Zudem kann es zu einem Klimakiller werden: Verpuffter Wasserstoff hat eine 33 mal stärkere Wirkung auf das Klima als CO2. Da Wasserstoff selber kein Treibhausgas ist, wird es in den aktuellen Klimadiskussionen ausgeblendet. Seine extrem starke Wirkung erzeugt es leider indirekt via Hydroxid-Reaktion, welche den natürlichen Abbau von Methan ausbremst. Wieviel heute schon unkontrolliert verpufft, wissen die Götter. Die boomende Wasserstoffwirtschaft wüsste es vermutlich auch …
    https://www.basicthinking.de/blog/2023/01/05/wasserstoff-klimakiller

  3. Arturo Romer

    Herr Prof. Martin Schlumpf informiert mit seinem Artikel sehr gut über die heutige Situation der Wasserstoffproduktion. Der Weg zu einer wirtschaftlichen und nachhaltigen Wasserstoffpruktion ist noch sehr lange. Eine nachhaltige Wasserstoffproduktion ist bis heute und in weite Zukunft noch extrem teuer und physikalisch komplett ineffizient. Sehr viele Probleme sind überhaupt nicht gelöst (vor allem die Speicherung)! Der Bundesrat wird nach meiner Ansicht heute von sehr unkompetenten Leuten informiert und beraten (von “Lehrlingen” und Ideologen). Prof. Andreas Züttel stellt in Sachen H2-Kompetenz eine absolute Ausnahme dar. Er verdient sehr viel mehr Gehör! Eine schweizerische “grüne” Wasserstoff-Strategie für das Jahr 2024 hat überhaupt keine Priorität! Es gibt andere viel effizientere Prioritäten im Rahmen der CO2-Netto-Null-Ziele. Stopp der unsinnigen und unverantwortlichen Geldverschwendung!

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