Die Gründe dafür findet man in einer kürzlich veröffentlichten Empa-Studie: Nur mit stundenbasierten Daten lassen sich verlässliche Aussagen über die Stromproduktion von Solaranlagen machen.
«Elektromobilität, Gebäudesanierung und Ausstieg aus der Atomenergie? Der Ausbau der Photovoltaik (PV) von 2 auf 50 GW macht es möglich. Auch im Winter!» Dieses Versprechen auf der Hülle des 2019 von Roger Nordmann veröffentlichten Buches «Sonne für den Klimaschutz» lässt sich bei genauerem Hinsehen nicht einlösen. Auch nicht mit einem so gewaltigen PV-Ausbau, wie ihn Nordmann fordert.
Um einige Probleme des Nordmann-Buches zu verstehen, bietet sich als Referenz eine Studie an, die praktisch zeitgleich erschienen ist: Martin Rüdisüli und Kollegen von der Empa haben ihre Arbeit im Juni 2019 in der Zeitschrift «Energies» publiziert. Sie gehen darin – wie Nordmann auch – der Frage nach, was es für unser Stromsystem bedeutet, wenn auf der Angebotsseite alle AKW mit PV-Anlagen ersetzt, und auf der Verbrauchsseite die Gebäude mit Wärmepumpen und der Verkehr mit E-Autos elektrifiziert werden. Die Autoren beider Studien sind sich darin einig, dass in Zukunft neben PV kein anderer Energieträger ein grösseres Ausbaupotenzial hat.
Die Empa-Studie geht davon aus, dass der Stromertrag unserer bisherigen AKW durch Solaranlagen in der Jahressumme ersetzt wird. Um dies zu erreichen muss die Leistung der heutigen PV-Anlagen um den Faktor 13 ausgebaut werden. Das ist bereits sehr ambitioniert, denn es ist deutlich mehr, als die Energiestrategie 2050 vorsieht. Nordmann geht aber noch viel weiter: Er fordert einen fast doppelt so grossen Ausbau auf 50 GW, was der Leistung von 50 AKW vom Typ Gösgen entspricht. 50 solche AKW würden aber pro Jahr 400 Terawattstunden (TWh) Strom produzieren, während Nordmann – durchaus realistisch – mit einer Jahreseinspeisung von 44 TWh rechnet: die PV-Anlagen produzieren neunmal weniger.
Bei der Substitution von AKW durch PV ist die unterschiedliche Stromeinspeisung dieser beiden Energieträger von zentraler Bedeutung: Hier Tag und Nacht, das ganze Jahr über gleichmässig kalkulierbarer Bandstrom, dort systematisch aussetzender, volatiler und saisonal stark differierender Flatterstrom. Um alle Fluktuationen der PV-Einspeisung erfassen zu können, müssen diese in kurzen Zeitintervallen aufgezeichnet werden. Die Empa-Studie hat dies anhand von stündlich gemessenen Satellitendaten der Sonneneinstrahlung pro Fläche gemacht. Nicht so Nordmann. Zwar zeigt er zuerst die grossen Schwankungen der Solarproduktion und erkennt richtig, dass die jahreszeitliche Variabilität das Hauptproblem ist. Bei der Berechnung seines zentralen Modells aber «vergisst» er diese Darstellung und verwendet Monatswerte für die PV-Einspeisung. Damit werden alle Nachtausfälle und Tagesschwankungen eliminiert und in einen Durchschnittswert verwandelt, der so verwendet wird, wie wenn aus solarem Flatterstrom für einen Monat vorhersehbarer Bandstrom geworden wäre. Diese unzulässige Glättung des Systems führt zwangsläufig zur Falscheinschätzung der Überschuss- und Defizitwerte.
Zu welchen Resultaten kommen nun die beiden Papiere? Wie erwähnt, rechnet Nordmann mit fast doppelt soviel Solarstrom wie die Empa. Zudem nimmt er an, dass die Elektrifizierung der Gebäude und des Verkehrs zu 100 Prozent durchgeführt ist – bei der Empa sind es nur 75 Prozent der Gebäude und 20 Prozent des Verkehrs. Betrachtet man zuerst nur die Stromdefizite, summieren sich diese im Empa-Szenario auf auf gut 28 TWh im Jahr. Bezeichnenderweise sucht man diesen Wert in Nordmanns Buch vergeblich, aus Teilangaben lässt er sich aber mit 15 TWh selber errechnen. Bei so unterschiedlichen Prämissen ist das allerdings kaum zu vergleichen. Der Sache näher kommt man mit einer Variant-Rechnung Nordmanns, in der er annimmt, der PV-Ausbau finde nur zur Hälfte statt, also etwa im gleichen Ausmass wie in der Empa-Studie. Hier gibt er ohne Detailangaben ein Defizit von fast 26 TWh an.
Versteckt bestätigt Nordmann somit das wissenschaftlich detailliert herausgearbeitete Fazit der Empa-Studie, dass eine Elektrifizierung der Schweiz mit PV-Strom anstelle der AKW zu einem gewaltigen Jahresdefizit führt. Wobei dies ausschliesslich im Winter ein Problem ist, wo der magere PV-Ertrag den Bandstrom der AKW in keiner Weise ersetzen kann. Die Berechnungen der Empa-Studie ergeben, dass das zu einer Aufblähung unserer heutigen Winterstromlücke von 4 TWh auf 23 TWh führen würde. Wollte man diese Strommenge mit einem Pumpspeicherwerk aus Sommerüberschüssen in den Winter umlagern, kann man sich unser grösstes und modernstes Werk in Limmern vorstellen, das vor kurzem für 2.1 Milliarden Franken in Betrieb genommen wurde und maximal 0.033 TWh Strom speichern kann: Es wären also knapp 700 solche Anlagen notwendig! Natürlich ist das nur ein Gedankenexperiment, denn ein Pumpspeicherwerk ist nicht für die saisonale Speicherung ausgelegt.
Dass aber nicht nur die Defizite kritisch sind, zeigt eine besonders absurde Massnahme, die mit Nordmanns Solarplan realisiert werden müsste. Je mehr PV-Anlagen installiert werden, desto grösser wird im Sommer die Gefahr, dass deren Einspeisung so rasch und stark ansteigt, dass der Strom das Netz überfordert, und von den Verbrauchern gar nicht mehr benötigt wird. Um eine teure Netzstabilisierung und die unsinnige Marktsituation von nicht gefragtem Strom zu vermeiden, schlägt Nordmann vor, mit sogenanntem «Peak Shaving» die Anlagen einfach abzuregulieren. Die Betreiber müssten sich verpflichten, dass ihre Stromproduktion in solchen Situationen teilweise massiv unterbunden würde. Was als hocheffizientes System angepriesen wird, entpuppt sich als Verschwendungsmaschinerie.
Und schliesslich interessiert in einer solchen solarbasierten Energiewende auch die CO2-Bilanz. Nordmann behauptet, dass mit seinem Plan 86 Prozent CO2 eingespart werden könnte. Dabei geht er aber nicht vom Ist-Zustand mit den bisherigen AKW aus, was unumgänglich ist, und zudem setzt er für PV-Anlagen und E-Autos einfach Null CO2 ein – mit der Bemerkung «ohne graue Energie». Das ist wie ein schlechter Witz. Auch hier zeigen die Empa-Forscher wie es gemacht werden muss. Dazu haben sie auf die neuste Version der Datenbank Ecoinvent zurückgegriffen, wo aus vollständigen Lebenszyklus-Analysen verschiedener Materialien deren CO2-Intensität in Gramm CO2 pro Kilowattstunde angegeben wird. Diese sind für AKW 12g, bei PV-Anlagen 50g und für Importstrom 443g. Bei PV und Importstrom sind geschätzte Optimierungspotenziale der Zukunft bereits mitgerechnet. Das Fazit ist klar: Jeder Ersatz unserer AKW führt zu mehr CO2-Emissionen! Kommen Solaranlagen zum Zug, vergrössern sich diese um den Faktor vier. Muss man auf Importstrom zurückgreifen, sogar um den Faktor 36.
Roger Nordmanns Solarplan für die Schweiz geht nicht auf: Erstens müsste die jährliche Zuwachsrate neuer PV-Anlagen im Vergleich zu heute um mehr als das Fünffache gesteigert werden. Und zweitens würde das Stromdefizit im Winter, das wir nach heutigem Stand der Technik praktisch nur mit Importstrom decken können, zu einer massiv gesteigerten Abhängigkeit vom Ausland und einem deutlichen Anstieg der CO2-Emissionen führen. Zudem scheint fraglich, ob sich die PV-Eigentümer mit einer Strategie des «Spitzenabrasierens» ihrer Sommerproduktion abfinden würden.
Was wäre in also zu tun? Erstens müssen wir den laufenden AKW möglichst Sorge tragen, damit sie so lange wie möglich am Netz bleiben. Zweitens soll die Subventionierung von PV-Anlagen auslaufen. Drittens sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Wasserkraft zu verbessern, sodass es sich wieder lohnt, in neue Anlagen zu investieren. Und viertens muss die dringend notwendige Planung neuer Kraftwerke in Angriff genommen werden, die imstande sind, vor allem im Winter zuverlässigen Bandstrom zu produzieren. Aus energietechnischer und klimarelevanter Sicht heisst das Planung der neusten Generation von AKW, die physikalisch inhärent sicher sind, auch in kleineren Einheiten gebaut werden können und das Abfallproblem weitgehend gelöst haben. Die Atomenergie zu tabuisieren ist für ein technisch hochentwickeltes Land ein Schuss in den eigenen Fuss.
Dieser Beitrag ist auch im Blog des Carnot-Cournot-Netzwerks erschienen.
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