Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 64“ im Online-Nebelspalter vom 23. Januar 2023 zu lesen.
In einer Medienmitteilung vom 12. Januar 2023 gab das Kernkraftwerk Leibstadt bekannt, mit seiner Stromproduktion im Betriebsjahr 2022 eine neue Rekordmarke erreicht zu haben: Mit 9’753 Gigawattstunden (GWh) wurde der bisherige Höchststand von 2013 um 62 GWh übertroffen. Dieses Plus gegenüber dem früheren Rekord entspricht zwei Mal der gesamten Jahresstromproduktion aus Gondosolar – der im Wallis geplanten hochalpinen Solaranlage, die eine Fläche von 100’000 Quadratmetern benötigt.
Was wichtig ist:
– Die Schweizer Kernkraftwerk-Betreiber optimieren die Betriebssicherheit ihrer Anlagen ständig.
– Dabei konnten sie auch die Leistung ihrer Werke erhöhen.
– Die Leistungssteigerungen aller Schweizer Kernkraftwerke entsprechen mehr als der Kapazität des Kernkraftwerks Beznau 1.
Wie ist es zu diesem Rekord bei der Stromerzeugung im Kernkraftwerk Leibstadt gekommen? Zwei Faktoren haben dazu beigetragen: Einerseits eine weitere Leistungserhöhung. Andererseits eine optimale Arbeitsauslastung.
Die nächste Grafik, die mir vom Kernkraftwerk Leibstadt zur Verfügung gestellt wurde (siehe hier), zeigt die Entwicklung der Leistung dieser Anlage seit der Inbetriebnahme im Jahr 1984.
Ein Kernkraftwerk erzeugt durch Kernspaltung Wärme, die als thermische Leistung gemessen wird. In Leibstadt wurde die volle thermische Leistungsfähigkeit, für die das Werk ausgelegt wurde, 2002 nach zwei Schritten erreicht (Thermische Leistungserhöhung, siehe Grafik). Diese Steigerungen wurden vor allem durch Verbesserungen beim eingesetzten nuklearen Brennstoff und im Design der Brennelemente erzielt.
Bruttoleistung in Leibstadt um 285 Megawatt gestiegen
Die Wärme, die in einem Kernkraftwerk erzeugt wird, kann aber nur zu etwa einem Drittel in Strom umgesetzt werden – der Rest verpufft als Abwärme im Kühlturm. Was als Strom umgesetzt werden kann, wird als elektrische Leistung einer Anlage bezeichnet. Die Grafik zeigt den Verlauf dieser elektrischen Leistung in Leibstadt, beginnend mit 1’000 Megawatt beim Start 1984 bis zu 1’285 Megawatt heute. Dabei ist mit Bruttoleistung die Stromproduktion ohne Abzug des Eigenverbrauchs der Anlage gemeint.
Wie die Grafik ausserdem zeigt, gab es neben den zwei thermischen Leistungssteigerungen noch verschiedene nicht-nukleare Verbesserungen ausserhalb des Reaktors, die den Wirkungsgrad der Anlage – das Verhältnis der elektrischen zur thermischen Leistung – von anfänglich 33 Prozent auf heute 35,7 Prozent erhöht haben. Am wichtigsten war dabei die Erneuerung der Hochdruck- und Niederdruckturbinen 1994.
Optimierung der Anlage führt zu langem Betriebsunterbruch
Aber auch der Einbau eines neuen Kondensators im vorletzten Jahr hat zu einer weiteren Erhöhung der elektrischen Leistung um 10 Megawatt geführt (letzter Schritt in der Grafik). Der Austausch dieses Kondensators zusammen mit der Erneuerung des Umwälzsystems und den üblichen Revisionsarbeiten hat 2021 unter erschwerten Corona-Bedingungen zu einem aussergewöhnlich langen Betriebsunterbruch geführt: Die Folge war ein rekordtiefer Stromertrag von 4’852 GWh in diesem Jahr.
Das Kernkraftwerk Leibstadt war 2022 ausser einer planmässigen vierwöchigen Revision praktisch ununterbrochen im Volllasteinsatz.
Dies allerdings nicht, weil Leibstadt eine grössere Panne gehabt hätte, sondern ganz im Gegenteil, weil deren Betreiber die Anlage für eine mindestens 60-jährige Laufzeit optimieren wollten: Der lange Betriebsunterbruch stand ganz im Dienst dieser Optimierungsstrategie. Und die Früchte daraus konnten im Folgejahr 2022 mit dem Rekord-Stromertrag geerntet werden: Das Kernkraftwerk war ausser einer planmässigen vierwöchigen Revision praktisch ununterbrochen im Volllasteinsatz.
Kernkraftwerke laufen im Winter permanent unter Volllast
Damit sind wir beim zweiten Grund für den Stromertrags-Rekord von 2022: der Arbeitsauslastung. Mit dieser wird angegeben, wie viele Prozent einer bestimmten Zeitspanne ein Kraftwerk seine volle Leistung erbringt. In Leibstadt war dies im Jahresschnitt 2022 zu gut 90 Prozent der Fall.
Entscheidend für die Sicherheit unseres Stromsystems sind aber die kalten Wintermonate. Nehmen wir zum Vergleich den vergangenen Dezember. Am Ende meines letzten Beitrags (siehe hier) habe ich für diesen Monat eine Arbeitsauslastung der deutschen Solaranlagen von 1,3 Prozent errechnet. Unter den etwas besseren Schweizer Verhältnissen wären das vielleicht 2 Prozent gewesen.
Leibstadt versorgt fast die Hälfte der Schweizer Haushalte mit Strom
Dies ist zu vergleichen mit dem Input aus dem Kernkraftwerk Leibstadt mit seiner 100-Prozent-Arbeitsauslastung im Winter: Tag und Nacht wurde dort in jeder Stunde zuverlässig so viel Strom erzeugt, dass damit 45 Prozent der Schweizer Haushalte versorgt werden konnten. Die Arbeitsauslastung in der kritischen Winterzeit ist in den Kernkraftwerken also 50 mal besser als in den Solaranlagen. Und dazu kommt die Flattereinspeisung der Fotovoltaik: Jede Nacht fällt sie aus.
Unsere Kernkraftwerke können sechzig Jahre laufen
Fazit: Die Schweizer Kernkraftbetreiber investieren jedes Jahr, um ihre Anlagen sicherheitstechnisch und betriebswirtschaftlich auf dem besten Stand der Technik zu halten. Die Kernkraft Leibstadt AG (mit den Hauptaktionären Alpiq und Axpo) hat beispielsweise insgesamt rund 1,5 Milliarden Schweizer Franken in die Modernisierung und Instandhaltung ihrer Anlage investiert.
Das Ziel dieser Investitionen ist, die Werke während mindestens 60 Jahren zu betreiben. Dass dies für die Sicherheit unseres Stromsystem von eminenter Wichtigkeit ist, scheint nun auch an der Spitze des Umwelt- und Energiedepartements angekommen zu sein: Der neue Vorsteher, Bundesrat Albert Rösti, hat angedeutet, dass der Bund bei Investitionsproblemen der Betreiber allenfalls einspringen würde. Wie wichtig unsere Kernkraftwerke sind, ist aus der nächsten Grafik herauszulesen, die ich aus einer «Zeitreihe Kernkraftwerke der Schweiz» des Bundesamtes für Energie selber zusammengestellt habe. Sie zeigt den jährlichen Stromertrag der Schweizer Kernkraftwerke seit der Inbetriebnahme von Beznau 1 im Jahr 1969.
Klar zu sehen ist die steigende Stromerzeugung seit der Vervollständigung des Kraftwerkparks 1984, die auf die besprochenen Leistungserhöhungen zurückzuführen ist, die neben Leibstadt auch in den anderen Schweizer Kernkraftwerken stattgefunden haben – wenn auch in geringerem Ausmass.
Insgesamt sind in der Schweiz 443 MW hinzugekommen, das ist mehr als einer der beiden Beznau-Blöcke, die je 365 Megawatt ausweisen.
Ein Armutszeugnis für die Bundesrätinnen Leuthard und Sommaruga
Mit diesen 443 MW haben die Kernkraftwerke der Schweiz bei einer durchschnittlichen 88-Prozent-Arbeitsauslastung zusätzliche 3’400 GWh Strom pro Jahr erzeugt – das ist 145 mal mehr, als beim geplanten hochalpinen Gondosolar-Projekt versprochen wird.
Weil die Resultate der Stromerzeugung aus Beznau und Gösgen noch nicht vorliegen, ist in der Grafik das Leibstadt-Rekordjahr 2022 noch nicht eingetragen. Der Stromertrag 2022 wird aber voraussichtlich mindestens so hoch wie 2020 sein. In der Grafik ist auch der Rückgang der Stromproduktion seit der Netzabkoppelung des KKW Mühleberg (373 Megawatt) sichtbar. Dass die beiden Vorgängerinnen von Albert Rösti (die Bundesrätinnen Doris Leuthard und Simonetta Sommaruga) es zugelassen haben, dass Mühleberg 2019 wegen fehlender wirtschaftlicher Sicherheit vom Netz ging, ist ein erschreckender Ausdruck von energiepolitischer Inkompetenz.
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«Atomkraft – Das Tabu. Brauchen wir Kernkraftwerke?»
Wenn Sie das hier behandelte Thema «Atomenergie» in gut lesbarer Form aufbereitet weiter vertiefen möchten, empfehle ich Ihnen mein Buch «Atomkraft – Das Tabu. Brauchen wir Kernkraftwerke?». Darin sind zwölf meiner früheren Nebelspalter-Grafik-Kolumnen zusammen mit weiteren Fachbeiträgen ausgewiesener Experten gesammelt. Das Buch erscheint am 1. Februar 2023 (siehe hier).
Was Herr Dr. Schlumpf schreibt, ist sehr klar und verständlich dargestellt.
Dass sich Linke und Grüne gegen KKW in Szene setzen, ist völlig unverständlich.
Bis der Mainstream die tatsächlichen Zusammenhänge begreift, brauchts offensichtlich noch viele Schlumpf-Artikel.
Besten Dank Herr Schlumpf für Ihren Einsatz und Ihre Bemühungen !
Ein ausgezeichneter und seriöser Beitrag. Herr Dr. Martin Schlumpf zeigt eindrücklich die Bedeutung der schweizerischen Kernenergie im Rahmen der Elelektrizitätsproduktion der letzten Jahrzehnte. Die Kritik an die alt Bundesrätinnen Leuthard und Sommaruga ist mehr als berechtigt. Mühleberg müsste eigentlich heute noch am Netz sein. Die beiden alt Bundesrätinnen Leuthard und Sommaruga haben leider die Kernenergie stets verteufelt. Man vergesse nicht, dass unsere Kernreaktoren noch der zweiten Reaktor Generation angehören. Die alt Bundesrätinnen Leuthard und Sommaruga hätten eigentlich die Reaktor Generation IV anstreben und fördern sollen. Kernreaktoren der Generation IV werden sehr sicher, sehr ökologisch und sehr ökonomisch sein. Und mehrere Nationen auf unserem Planeten werden bald solche Reaktoren der Generation IV bauen. Die energetische Zukunft wird erneuerbar und nuklear sein. Die Menschheit braucht beides.