Verlässliche Aussagen über die Stromproduktion von Solaranlagen lassen sich nur mit stundenbasierten Daten machen. Eine Empa-Studie hat das gemacht.
Mit der Abschaltung des AKW Mühleberg fallen knapp fünf Prozent unserer landeseigenen Elektrizitätsproduktion weg. Kurz- bis mittelfristig bedeutet das, dass wir diesen Strom aus dem Ausland importieren müssen, zum überwiegenden Teil im Winter. Viele werden einwenden, dass dies nicht nötig sei, wenn wir den Zubau von Solaranlagen nur stark genug beschleunigen. Dass diese Hoffnung aber illusorisch ist, zeigt eine im Sommer 2019 veröffentlichte Empa-Studie. Darin unterstellen die Forscher, dass alle AKW schrittweise abgestellt und vollständig durch Photovoltaik(PV)-Anlagen ersetzt werden. Dies würde bedeuten, dass die Fläche der heute installierten Solarpanels noch dreizehnmal dazu gebaut wird – ein äusserst ambitioniertes Vorhaben, das weit vom bisherigen Ausbautempo entfernt ist. Welches wären die wichtigsten Auswirkungen einer solchen Energiewende?
Um dies beantworten zu können, ist es wichtig, sich die Unterschiede der Stromeinspeisung aus AKW oder PV-Panels zu vergegenwärtigen: Hier Tag und Nacht, das ganze Jahr über gleichmässig kalkulierbarer Bandstrom, dort systematisch aussetzender, volatiler und saisonal stark differierender Flatterstrom. Um alle Fluktuationen der PV-Einspeisung erfassen zu können, müssen diese in kurzen Zeitintervallen aufgezeichnet werden. Die Empa-Studie hat dies anhand von stündlich gemessenen Satellitendaten der Sonneneinstrahlung pro Fläche gemacht. Erst mit dieser genauen zeitlichen Auflösung können sinnvolle Antworten über den Beitrag von PV-Anlagen gemacht werden.
Bereits im heutigen System mit Wasser- und Kernkraftwerken ist im Winter zu wenig Strom verfügbar, vor allem weil die natürliche Wasserproduktion im Sommer deutlich ertragreicher ist als im Winter. Nur mit dem Einsatz all unserer Speicherseen und Pumpspeicherwerke gelingt es, die hydrologische Einspeisung auf etwa 57 Prozent im Sommer und 43 Prozent im Winter zu glätten. Dem steht aber ein Mehrverbrauch im Winter gegenüber, der dazu führt, dass wir dann eine Stromlücke von gut 4 Terawattstunden (TWh) haben.
Zu welchem Resultat führt nun die Empa-Studie? Bei gleichem Verbrauch verdreifacht sich das Winterdefizit auf über 13 TWh. Allein durch den Ersatz der AKW durch PV-Anlagen vergrössert sich demnach die bereits bestehende Winterstromlücke um 9 TWh. Natürlich gibt es auf der anderen Seite viel überschüssigen Sommerstrom, aber überschüssiger Strom ist wertlos: In Deutschland nehmen die Stunden ständig zu, in denen andere Länder sogar dafür bezahlt werden müssen, dass sie den Strom überhaupt abnehmen. Und wenn das nicht gelingt, bleibt nur noch das Abschalten der Windräder oder Solaranlagen, und auch dies geschieht immer öfter.
Der immer wieder vorgebrachte Einwand, die Schweiz sei mit ihren Pumpspeicherwerken und Stauseen in der Lage, Stromlücken im Winter zu überbrücken, beruht auf Illusionen. Stauseen sind auf natürliche Zuflüsse angewiesen und können keinen überschüssigen Strom speichern. Und Pumpspeicherwerke sind nicht für die langfristig saisonale Speicherung ausgelegt, sondern für den kurzfristigen Ausgleich im Netz. Stellen wir aber trotzdem die Frage, wieviel ein Pumpspeicherwerk rein theoretisch saisonal speichern könnte, wenn es also seinen Betrieb vom Sommer bis in den Winter stilllegen würde. Das grösste und modernste Schweizer Pumpspeicherwerk Limmern könnte auf diese Weise 0.033 TWh speichern. Es wären also über 400 solche Werke notwendig, um das von der Empa errechnete Winterdefizit auszugleichen. Zur Erinnerung: Limmern hat 2.1 Milliarden Franken gekostet.
Die Substitution der AKW durch PV-Anlagen führt in der Schweiz also zwingend zu einem gewaltigen Mehrbedarf an Importstrom im Winter. Dabei ist in keiner Weise gesichert, ob wir diesen Strom in Zukunft noch erhalten werden. Nach den Ankündigungen aus Deutschland und Frankreich über deren Umbau der Stromversorgung scheint dies sehr fraglich. Noch viel schlimmer aber würde es, wenn wir auch noch die Strategie einer grösseren Elektrifizierung umsetzen würden: Die Empa-Studie weist bei einem Ersatz von 75 Prozent aller Gebäudeheizungen mit Wärmepumpen und bei 20 Prozent des Verkehrs mit E-Autos eine Winterstromlücke von 23 TWh aus. Das wäre dann so gigantisch, dass 700 Limmern-Werke gebaut werden müssten.
Und schliesslich haben die Empa-Forscher auch berechnet, was dieser Strommehrbedarf für die CO2-Emissionen bedeutet. Dazu haben sie auf die neuste Version der Datenbank Ecoinvent zurückgegriffen, wo aus vollständigen Lebenszyklus-Analysen verschiedener Materialien deren CO2-Intensität in Gramm CO2 pro Kilowattstunde angegeben wird. Diese sind für AKW 12g, PV-Anlagen 50g und Importstrom 443g. Bei PV und Import sind geschätzte Optimierungspotenziale der Zukunft bereits mitgerechnet. Somit ist das Fazit klar: Jeder Ersatz unserer AKW führt zu mehr CO2-Emissionen. Kommen Solaranlagen zum Zug, vergrössern sich diese um den Faktor vier, muss man auf Importstrom zurückgreifen, sogar um den Faktor 36.
Was also können wir tun? Erstens müssen wir den laufenden AKW möglichst Sorge tragen, damit sie so lange wie möglich am Netz bleiben. Zweitens sollte die Subventionierung der PV-Anlagen wie geplant auslaufen. Drittens sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Wasserkraftwerke zu verbessern, sodass es sich wieder lohnt, in neue Werke zu investieren. Und viertens muss die dringend notwendige Planung neuer Kraftwerke in Angriff genommen werden, die imstande sind, zuverlässigen Bandstrom vor allem im Winter zu produzieren. Aus energietechnischer und klimarelevanter Sicht eignet sich dazu am besten die neuste Generation von AKW. Sie sind physikalisch inhärent sicher, können auch in kleineren Einheiten gebaut werden und haben das Abfallproblem weitgehend gelöst. Wenn es der Politik mit der Klimafrage wirklich ernst ist, muss sie diese neusten AKW dem Bau von Gaskombikraftwerken vorziehen. Diese könnten zwar schneller in Betrieb gehen, würden jedoch die Ziele der Schweizerischen Klimapolitik torpedieren.
Dieser Beitrag ist am 22.02.2020 in der Aargauischen Zeitung „Die Botschaft“ unter der Rubrik «Was mich bewegt» und beim Carnot-Cournot-Netzwerk erschienen.
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