Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 110“ im Online-Nebelspalter vom 29. April 2024 zu lesen.
Das neue Stromgesetz, über das wir am 9. Juni abstimmen, setzt auf einen massiven Ausbau der Solarenergie auf bestehenden Gebäuden. Als Argument für die Forcierung dieses Ausbaus wird immer wieder auf die angeblich tiefen Kosten des Solarstroms hingewiesen – und dies nicht selten ausdrücklich in Abgrenzung zum angeblich teuren Atomstrom, mit dem der Strom aus Photovoltaik (PV) beim Ausbau des Schweizer Energiesystem im Wettstreit steht.
Mit Hilfe eines detaillierten Kostenrechners für den Vergleich verschiedener Stromerzeugungstypen, den das Nuklearforum Schweiz publiziert hat (siehe hier), zeige ich im Folgenden, dass das genaue Gegenteil der Fall ist: Der Solarstrom vom privaten Hausdach ist unter Einbezug aller Kosten über die gesamte Lebensdauer um ein Mehrfaches teurer als der Strom aus einem neuen modernen Kernkraftwerk.
Was wichtig ist:
– Ich vergleiche hier den Preis einer Kilowattstunde Strom aus einem neuen Nuklearreaktor mit dem Preis einer Kilowattstunde Strom aus einer kleineren Schweizer PV-Dachanlage über die gesamte Lebensdauer.
– Auf diese Weise ist gewährleistet, dass die massiv grössere Gesamtmenge an Strom der Nuklearanlage gegenüber der PV-Anlage voll in die Rechnung einfliesst.
– Dies hat zur Folge, dass Atomstrom bei allen wichtigen Kriterien überraschend tiefe Kosten hat.
– Die Gesamtabrechnung (Teil 2) wird zeigen, dass Solarstrom zwei- bis dreimal teurer ist als Atomstrom – und dies erst, ohne dass die Kosten für die notwendige Netzintegration von Sonnenstrom berücksichtigt sind.
Konkret vergleiche ich den südkoreanischen Reaktor APR-1400 der neuesten Kernenergie-Generation III+ mit einer Acht-Kilowatt(kW)-PV-Anlage auf einem Schweizer Hausdach. Den APR-1400 habe ich genommen, weil er aktuell auf dem Markt verfügbar ist: Gerade sind vier Einheiten davon in Barakah in den Vereinigten Arabischen Emiraten gebaut worden. Eine Acht-Kilowatt-Anlage ist eine PV-Anlage durchschnittlicher Grösse auf einem Einfamilienhaus.
Der APR-1400 hat eine neunmal bessere Arbeitsauslastung
Der Kostenrechner, den ich hier benutze, wurde vor einigen Jahren als sogenannter LCOE (levelized cost of electricity) entwickelt und liegt unter anderem den Kostenrechnungen im sogenannten «White Paper» des Nuklearforums Schweiz zugrunde (siehe hier). Ein Wissenschaftler, der an diesem Paper mitgearbeitet hat, hat mir den Rechner zur Verfügung gestellt. Wie wir sehen werden, erfasst dieser Rechner alle wichtigen Parameter für die Inbetriebnahme, die gesamte Betriebsphase und die Ausserdienststellung einer Anlage, die für unseren Kostenvergleich notwendig sind. Die folgende Tabelle zeigt die vier wichtigsten Annahmen, die ich für meinen Vergleich getroffen habe:

Bei der Leistung ist anzumerken, dass wir mit dem APR-1400 einen Reaktor betrachten, dessen Leistung etwas grösser ist als diejenige unseres grössten Kernkraftwerks Leibstadt mit einer Leistung von 1220 Megawatt. Mit den Volllaststunden wird die Arbeitsauslastung einer Anlage angegeben – verglichen mit den 8760 Stunden eines Jahres. Die hohe Auslastung beim APR-1400 ergibt sich aus den längeren Zyklen für die Revision und Neubeladung mit Brennstoff dieses neuen Kernkraftwerks. Im Vergleich mit der Solaranlage, die es nur auf etwa 950 Volllaststunden bringt, hat der APR-1400 also eine neunmal bessere Arbeitsauslastung.
Allein mit direkten Investitionskosten wäre die Solaranlage 15-mal teurer
Zusammen mit einer deutlich längeren Lebenszeit von 80 statt 30 Jahren, führt diese bessere Arbeitsauslastung dazu, dass der APR-1400 über seine ganze Lebenszeit pro installierter Leistung viel mehr Strom erzeugt als die PV-Anlage. Bei der folgenden Kostenanalyse wird sich das immer wieder entscheidend – manchmal wohl auch überraschend – auswirken.
Schon eine einfache Überschlagsrechnung illustriert das: Wenn wir die direkten Investitionskosten (ohne Zinsen und Renditen) einer Anlage durch den gesamten Stromertrag über die ganze Lebensdauer dividieren, erhalten wir einen entsprechenden Preis für eine Kilowattstunde Strom. Dabei ist klar: je höher der Stromertrag, desto tiefer der Preis. Mit den oben angegebenen Investitionskosten für den APR-1400 von 6,725 Milliarden Franken ergibt sich so ein Preis von 0,7 Rappen pro Kilowattstunde. Mit der gleichen Rechnung bei der PV-Anlage kommt ein Kilowattstunden-Preis von 10,5 Rappen heraus – das ist 15-mal mehr. Allein aus den hohen Investitionskosten, die bei Kernkraftwerken anfallen, lässt sich also in keiner Weise ableiten, dass der KKW-Strom teuer ist – wie es Atomgegner immer wieder behaupten.
Bei der PV-Anlage sind sogar die Unterhaltskosten etwas höher
Wie aber sind die hier angenommenen Investitionskosten zustande gekommen? Beim APR-1400 wird im «White Paper» der Angebotspreis aus dem Barakah-Projekt als Annahme für Schweizer Verhältnisse verdoppelt. Für die Angabe der PV-Anlage habe ich die Beratungsplattform «energieheld Schweiz» konsultiert (siehe hier). Dort wird angegeben, dass bei Anlagen dieser Grössenordnung pro kW mit 3000 Franken zu rechnen ist. Darin eingeschlossen sind die Kosten für die PV-Module, den Wechselrichter, die Steuerung und den Einbau durch einen Fachbetrieb.
Die oben gemachte Überschlagsrechnung ist aber keineswegs vollständig. Denn sie berücksichtigt nicht, dass Investitionskosten bei den Geldgebern verzinst und amortisiert werden müssen, und dass darüber hinaus eine Rendite erwirtschaftet werden muss. Bevor ich auf diese wichtigen Finanzierungsaspekte eingehe, zeige ich mit der folgenden Grafik zuerst nur einen kleineren Teil des Kostenvergleichs, der sich ergibt, wenn die Kriterien Amortisation und Rendite noch nicht berücksichtigt sind (alles in Rappen pro Kilowattstunde):

Als ich diese Zahlen zum ersten Mal sah, fiel mir zuerst auf: Wie ist es möglich, dass die Unterhaltskosten (rot) ausgerechnet bei der PV-Anlage (3,2 Rappen pro kWh) höher zu Buche schlagen als beim KKW (2,1 Rappen pro kWh)? Das ist doch nicht möglich, weil ein KKW doch viel höhere Unterhaltskosten hat als eine PV-Anlage, dachte ich. Und doch zeigt eine Nachprüfung, dass die Zahlen stimmen, wenn folgende Annahmen getroffen werden: Beim APR-1400 rechnen die Experten damit, dass für den Unterhalt der Anlage pro Jahr 3,5 Prozent der Gesamtinvestition, bei der PV-Anlage aber nur 1 Prozent der Gesamtinvestition eingesetzt werden muss.
Brennstoffkosten des APR-1400 fallen praktisch nicht ins Gewicht
Damit ergibt sich folgende Rechnung für den APR-1400 (Zahlenmuffel bitte überspringen): 3,5 Prozent von 6,725 Milliarden sind 235 Millionen Franken. Soviel kostet also der Unterhalt im Schnitt pro Jahr (das klingt «realistisch»). Weil diese Anlage aber jährlich gut 11 Milliarden kWh Strom produziert, und weil die 235 Millionen Franken 23,5 Milliarden Rappen entsprechen, ergibt sich gekürzt die Rechnung: 23,5 geteilt durch 11 gleich 2,1 – die Zahl in der Grafik stimmt also.
Bei der Solaranlage sieht es so aus: 1 Prozent von 24’000 ist 240. So viele Franken gibt der PV-Besitzer im Schnitt jährlich für den Unterhalt aus (klingt für mich wieder «vernünftig»). Weil die PV-Anlage aber im Jahr nur 7600 kWh Strom erzeugt, muss man 24’000 Rappen durch 7600 kWh teilen. Das gibt die angegebenen 3,2 Rappen. Dieser Kostenvergleich zeigt exemplarisch, wie unbedachte Zahlenannahmen wegen des massiv höheren Stromertrags aus dem Kernkraftwerk korrigiert werden müssen.
PV-Anlagen ohne Kosten für Abfall-Lagerung
Die Grafik zeigt weiter, dass Brennstoff-Kosten (orange) selbstverständlich nur beim KKW eine Rolle spielen. Allerdings wird auch klar, dass die dafür ausgewiesenen 0,4 Rappen auf das Ganze gesehen praktisch vernachlässigbar sind: Wenn Solarfans also davon schwärmen, dass die Sonne keine Rechnung schickt, sind diese 0,4 Rappen alles, was dabei eingespart wird.
Ebenfalls nur beim KKW sind Kosten für die Abfall-Lagerung gerechnet (grau). Mit 2,1 Rappen ist das ein substanzieller Teil, der bei der PV-Anlage in dieser Rechnung vollständig fehlt. Dies aber nicht etwa, weil dort keine toxischen Abfälle zu lagern wären, sondern weil verlässliches Zahlenmaterial zu den Kosten fehlt.
Schliesslich sehen wir in der Grafik noch die Emissions- und Versicherungskosten (gelb und schwarz), die allerdings marginal klein sind. Aber auch hier schneidet die Kernenergie in beiden Fällen überraschenderweise besser ab als die Solaranlage. Bei den Emissionen werden CO2-Zertifikatskosten für die Emissionen pro kWh eingesetzt. Diese sind aus wissenschaftlichen Publikationen in etwa bekannt, deshalb gehe ich nicht weiter darauf ein.
Die Versicherungskosten für den APR-1400 sind vernachlässigbar
Das auf den ersten Blick für mich wieder unverständliche Resultat, dass für den APR-1400 scheinbar keine Versicherungskosten anfallen, erkläre ich jetzt noch zum Schluss. Es wird angenommen, dass die Schadenssumme im Eintretensfall 50 Milliarden Franken beträgt, und dass dies einmal in einer Million Jahren geschieht. Auf ein Jahr heruntergerechnet sind das 50’000 Franken Versicherungsprämie. Geteilt durch 11 Milliarden kWh Stromertrag gibt das einen Preisanteil von 0,0004 Rappen pro kWh. Weil aber in der Grafik nur Werte bis zu einem Zehntel-Rappen aufgezeichnet sind, steht hier eine Null. Diese Modellrechnung für eine Versicherungsprämie ist sicherlich diskutabel: Aber selbst wenn sie um den Faktor Tausend grösser wäre, würde sie kaum ins Gewicht fallen. Jedenfalls trifft das häufig vorgebrachte Argument der Atomgegner, Kernkraft würde durch eine angemessene Versicherung unrentabel, nicht zu.
Bei der Solaranlage wird mit einer Schadenssumme gerechnet, die einen Totalschaden (zum Beispiel durch einen Hagelschlag) deckt, also mit 24’000 Franken. Weiter wird angenommen, dass ein solcher Fall alle 1000 Jahre vorkommt, woraus sich eine jährliche Versicherungsprämie von 24 Franken ergibt. Geteilt durch den Stromertrag pro Jahr resultieren die 0,3 Rappen, wie sie die Grafik zeigt.
Unter Berücksichtigung der bis jetzt besprochenen Kriterien liegen Sonnen- und Atomstrom etwa gleichauf bei fünf Rappen. In einer Woche zeige ich im zweiten Teil dieses Berichts, warum der Solarstrom unter Berücksichtigung aller Kriterien dreimal teurer ist.
1. KKW: Die hohe Anzahl der Volllaststunden berücksichtigt den Markt nicht. Der Markt muss die Energie auch abnehmen, wenn gerade günstigere Energie zur Verfügung steht.
2. PV: Warum wird eine Hausdachanlage (teurer im Vergleich zur grünen Wiese) mit einem KKW (allein aus Skaleneffekten wirtschaftlich) verglichen? Hausdachanlagen haben andere Vorteile (Eigennutzung), die beim KKW nicht möglich sind.
3. Wie kommt man auf eine Laufzeit von 80a? Gibt es da Beispiele für solche Laufzeiten?