Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 98“ im Online-Nebelspalter vom 29. Januar 2024 zu lesen.
Dieser Beitrag zeigt, welche Folgen es hat, wenn sich ein Schweizer Bürger so verhält, wie es die Energiestrategie 2050 fordert. Der gemeinte Schweizer Bürger ist ein Leser meiner Kolumnen, der sich bereit erklärt hat, mir Zugang zu den Energiebilanzen seines Hauses zu gewähren. Da dieser Leser anonym bleiben möchte, nennen ich ihn hier Herrn Muster. Dieser Name scheint mir passend, weil Herr Muster als Hausbesitzer alle wichtigen Massnahmen umgesetzt hat, die zur Erreichung der Ziele unserer Energiestrategie im privaten Bereich gefordert sind.
Was wichtig ist:
– Im vergangenen Dezember ist der Stromverbrauch im Haushalt von Herrn Muster wegen der Anschaffung einer Wärmepumpe und eines Elektrofahrzeugs auf das Dreifache gestiegen.
– Trotz Fotovoltaik-Anlage konnte dieser Verbrauch nur zu zehn Prozent mit eigenem Solarstrom gedeckt werden.
– An den meisten Wintertagen würde auch eine Batterie nichts nützen, weil nicht genügend Überschussstrom vorhanden ist.
Herr Muster wohnt in einer Überbauung von mehreren Einfamilienhäusern mit Giebeldächern, die sich auf einer sonnenreichen Ebene befinden. 2018 hat er auf seinem Haus eine Fotovoltaik-Anlage installiert, die die optimale Dachseite mit idealer Neigung vollständig nutzt. 2023 hat er die fossile Heizung durch eine Wärmepumpe ersetzt und anstelle seines Verbrenner-Autos einen elektrisch betriebenen Tesla gekauft.
Wegen Wärmepumpe und E-Auto dreimal mehr Strom verbraucht
Untersuchen wir zuerst, wie stark sich der Stromverbrauch wegen der Wärmepumpe und dem Tesla verändert hat. Zu diesem Zweck vergleichen wir den Dezember 2023 mit dem Dezember 2022, als noch keine Wärmepumpe installiert war. Die folgende Grafik zeigt die täglichen Verbrauchs- und Produktionsdaten von Familie Muster im Dezember 2023:
Schauen wir zuerst auf den Verbrauch, der rot dargestellt ist. Die Zusammenfassung oben rechts in der Grafik zeigt, dass im Dezember 2023 total 1160 Kilowattstunden (kWh) Strom verbraucht wurden. Weil für den neuangeschafften Tesla aber keine private Anschlussmöglichkeit gebaut werden konnte (das ist eine Story für sich), müssen wir noch 240 kWh dazuzählen – das entspricht dem Strombedarf des Fahrzeugs bei einer monatlichen Fahrleistung von 1500 Kilometern.
Die Solaranlage deckt den Verbrauch nur zu zehn Prozent
Ausgerüstet mit einer modernen Wärmepumpe und einem neuen Tesla hat Familie Muster im letzten Dezember also insgesamt 1400 kWh Strom verbraucht. Ein Jahr zuvor waren es im gleichen Monat aber nur 483 kWh: Mit der Umsetzung der vom Staat empfohlenen Massnahmen zur Dekarbonisierung ist der Stromverbrauch des Haushalts also um den Faktor 2,9 gestiegen ist.
Wie viel davon aber konnte «grün», also via Fotovoltaik-Anlage, erzeugt werden? In der Zusammenfassung oben links in der Grafik sieht man, dass die eigene PV-Produktion in diesem Monat 217 kWh betragen hat. Im Vergleich zum Dezember des Vorjahres bedeutet das eine Mehrproduktion von 48 kWh. Trotz diesem besseren Monatsertrag konnte der Verbrauch aber nur zu 12 Prozent durch Eigenproduktion gedeckt werden (das zeigt der hellblaue Anteil oben rechts in der Grafik). Rechnet man auch hier den Tesla dazu, sind es sogar nur 10 Prozent.
Der Solarstrom fliesst oft, wenn er nicht gebraucht wird
Aber erst mit den Tagesangaben im unteren Teil der Grafik versteht man genauer, welche massiven Probleme unsere Energiestrategie mit sich bringt: Vergleicht man dort die Produktion aus PV-Anlagen (grün) mit dem Verbrauch (rot), so zeigt sich, dass der Verbrauch nur an einem von 31 Tagen durch die Eigenproduktion wenigstens annähernd hätte gedeckt werden können. Gerade an den Tagen mit relativ viel Eigenproduktion zeigen aber die hellblauen Balken (Eigenverbrauch), dass der eigene PV-Strom nur zum Teil genutzt werden kann.
Exemplarisch zeigt das der 30. Dezember: Obwohl an diesem Tag mit PV fast so viel Strom erzeugt wie verbraucht wurde, wurde nicht einmal die Hälfte der Solarproduktion zu einer Zeit produziert, wo sie im Haus auch gebraucht werden konnte (hellblau). Offensichtlich besteht für die Solarstromspitzen, die am Mittag auftreten, sogar an kalten Wintertagen mit hohem Verbrauch nicht immer genügend Bedarf. Der Vergleich der hellblauen mit den grünen Balken über den ganzen Monat zeigt eindrücklich, dass sogar der wenige PV-Strom, der im Dezember fliesst, zu einem grossen Teil nicht einmal im eigenen Haushalt gebraucht werden kann.
Auch mit einer Batterie müsste täglich Strom von aussen zugeführt werden
Die Folge davon ist, dass Familie Muster an jedem Tag im letzten Dezember Strom aus dem öffentlichen Netz bezogen hat. Die nächste Grafik zeigt wie viel täglich vom lokalen Elektrizitätswerk bezogen (rot), und wie viel zurückgespeist (exportiert) wurde (grün).
Insgesamt bezog Familie Muster im Dezember 2023 1010 kWh von aussen. Nimmt man auch da den Bedarf des Tesla hinzu, hat sich die Strommenge, die Familie Muster von aussen zukaufen musste, gegenüber dem Dezember 2022 um den Faktor 3,1 erhöht. Wenn also viele andere Hausbesitzer die gleichen Massnahmen ergreifen wie Herr Muster, stellt das eine massive Herausforderung für unser öffentliches Elektrizitätssystem dar.
Kein Musterhaushalt kommt ohne Kernkraftwerke und Speicherseen aus
Natürlich gilt das nur für diesen Wintermonat. Aber genau dann müssen wir diesen Mehrstrom im Schweizer Netz irgendwo zusätzlich produzieren. Und wie gezeigt, hilft der geplante massive Ausbau der Solaranlagen auf Dächern dabei fast gar nichts. Aber auch Batterien oder bidirektionale Fahrzeuge, die Strom einspeisen können, bringen praktisch keine Verbesserungen, weil es gar nicht genügend Überschussstrom gibt, mit dem sie geladen werden könnten. Das zeigt die letzte Grafik mit den grünen Balken (Exportstrom): Nur an fünf von 31 Tagen gibt es überhaupt eine kleine Menge Strom, die für das Laden der Batterien genutzt werden könnte. In keinem Fall aber reicht das aus, um am nächsten Tag auch nur annähernd autonom mit Strom versorgt zu sein.
Alle Musterhaushalte, die eine Wärmepumpe installieren und ein E-Fahrzeug kaufen, vergrössern also die Gefahr, dass wir in den kalten Wintermonaten in eine Strommangellage geraten, die letztlich zu einem Blackout führen könnte. Heute aber sind alle diese Musterhaushalte im Winter abhängig vom zuverlässigen Bandstrom aus Kernkraftwerken, vom Spitzenstrom aus Speicherseen und eventuell sogar von Importstrom: Nur so kann die riesige Stromlücke gefüllt werden, die bei Herrn Muster wie gezeigt 90 Prozent des Bedarfs ausmacht.
Bob
Was hindert den kapitalkräftigen Herrn Muster eigentlich daran, sich ein automatisch startendes
ca. 3 kW-LNG-Notstromaggregat zum Nachladen seiner PV-Batterie anzuschaffen ? Dann wäre er mit voller PV-Belegung seines Daches sogar stromautark und in den 4 Wintermonaten kein Nassauer am von allen bezahlten öffentlichen Netz ?
In Ihrem Beitrag wird indirekt ein weiterer wichtiger Punkt angesprochen:
PV auf einem Dach ist tatsächlich billig! ABER NUR, solange das komplette schweizerische Stromnetz (durch die Vernetzung eigentlich sogar weite Teile des europäischen Stromnetzes) als „Reservoir“ bereit stehen, in das man bei Überschuss Energie abgeben kann oder in Mangelsituationen welche bezieht. Solange dieses „Reservoir“ gegenüber den abgegebenen oder bezogenen Mengen praktisch „unendlich“ gross ist, ist das auch kein Problem. Das Netz bleibt stabil. Für eine einzelne Hausdach – PV – Anlage ist das auch immer der Fall. Selbst wenn diese 20 kWpeak oder noch mehr hätte . Der gesamte Leistungsbedarf der Schweiz liegt zwischen 7.000.000 kW (=7 GW) und 10.000.000 kW (=10 GW), von Europa ganz zu schweigen. Das ist so deutlich viel mehr als die 20 kWpeak, dass diese keine Rolle spielen.
Das Problem: Baut man PV in grossem Stil(!), ist diese Bedingung (dass das Reservoir praktisch „unendlich“ gross ist) NICHT mehr gegeben. Und DANN gibt es Probleme.
Die gesamte PV – Nennleistung der Schweiz übersteigt die aller Kernkraftwerke der Schweiz inzw. deutlich. Baut man noch weiter aus, wird das Problem immer grösser. Und dann ist PV nicht mehr „billig“, weil Netzintegrationskosten, Redispatch – Massnahmen und Speicher dazu kommen, ohne die das Netz nicht mehr funktioniert.
Im Prinzip bedeutet das, dass gefordert werden müsste, dass jeder Solaranlagen – Besitzer das Risiko der Überproduktion selbst trägt (nicht ins Netz abschieben kann) und man sich gleichzeitig dringend überlegen muss, wie die Winterlücke anderweitig zu schliessen ist.
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Wahrscheinlich braucht es einmal einen empfindlich spürbaren Blackout, der alle aufschrecken und somit bewusst werden lässt, dass diese zudem noch subventionierte Energie Strategie zum Scheitern verurteilt ist. Es lief schon immer so, dass erst wenn die eigentlich voraussehbaren Nachteile spürbar werden, es zu Korrekturen kommt. Leider werden dadurch aber Ressourcen verbraten, die anderweitig dann fehlen, um unsere Energieversorgung zeitgerecht auf eine, gemäss ihren Anmerkungen, solide Basis zu stellen.
Nun ja, es scheint so zu sein: „You can learn it on the smart way, or on the hard way…“
exactly!
Sie geben nicht die installierte PV-Leistung (kWp) der Anlage vom Herrn Muster, um einen Nutzungsgrad (Load Factor) besonders für Dezember bestimmen zu können.
Meine Erfahrung ist ungefähr die gleiche wie beim Herrn Muster. Aber mit Batterien habe ich im Dezember 98% der PV-Eigenproduktion benutzten gekonnt, und fast nichts im Netz eingespeist. Aber trotzdem war dieser Selbstverbrauch nur 6% des Gesamtverbrauchs.
Selbst wenn auf dem ganzen Jahr LF = ~10% und mehr als 19% im Juni/Juli ist, im Dezember in der Tat ist es nur 1,4% ! Die Produktion ist 80% im Sommersemester (April bis September), und nur 20% im Wintersemester (Oktober bis März) verteilt, also weit von den 2/3 und 1/3 im allgemeinen publiziert. Man sagt, dass es mit Windenergie genau umgekehrt ist, also „komplementär“. Haben Sie effektiven Daten ?
Herr Musters Anlage hat 8,7 kWp, auf 44,5 m2.
Was Sie über die Verteilung Winter-Sommer schreiben, deckt sich mit dem, was ich auch kenne.
Der Stromertrag aus Windturbinen ist tatsächlich im Jahresverlauf insofern komplementär zum Solarstrom, als er (in Deutschland, wo ich gute Daten habe) im Winter mehr liefert als im Sommer. Aber eben nur generell: Wenn dann eine Flaute ist, kommt halt auch da fast nichts.
Das ist der entscheidende Punkt: Mittelwerte bedeuten für ein elektrisches Netz, in dem Verbrauch und Zuführung von Energie in jeder Millisekunde identisch sein müssen, damit das Netz nicht zusammenbricht, rein GAR NICHTS!
Die Aussage, dass im Durchschnitt(!) im Winterhalbjahr mehr Wind weht, mag richtig sein. Aber man muss nur bis in den Dezember 2022 zurückgehen und man hat 3 Wochen, wo in Deutschland im Chaos versunken wäre, selbst wenn die 10-fache Leistung an Wind und Solar installiert gewesen wäre und man KEINE zusätzlichen Wärmepumpen, E-Autos usw. gehabt hätte.
Und Deutschland hat noch die „windreichen“ Gebiete an Nord – und Ostsee. Wie sieht das im Binnenland Schweiz aus?
Beweis: Die ganz offiziellen Netzdaten:
Woche 48/22:
https://www.energy-charts.info/charts/power/chart.htm?l=de&c=DE&year=2022&interval=week&legendItems=0000100000100011110000&source=total&week=48
Woche 49/22:
https://www.energy-charts.info/charts/power/chart.htm?l=de&c=DE&year=2022&interval=week&legendItems=0000100000100011110000&source=total&week=49
Woche 50/22:
https://www.energy-charts.info/charts/power/chart.htm?l=de&c=DE&year=2022&interval=week&legendItems=0000100000100011110000&source=total&week=50
Und wenn dann jemand kommt und sagt: Wir speichern die Überschüsse wenn sie denn man anfallen… Dann würde ich die realistische(!) Rechnung dazu gerne einmal sehen. Die notwendige Grössenordnung an Speicherung wäre schon rein finanziell gar nicht darstellbar. Im Fall von (Pump)-Speichern finanziell und geografisch nicht.