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Wie sich die ETH Zürich eine Gefälligkeits-Studie bastelte

Eth

Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 69“ im Online-Nebelspalter vom 3. April 2023 zu lesen.

Am 12. März erschien in der «Sonntagszeitung» ein Artikel mit folgender Schlagzeile: «Drei neue Szenarien: Stromversorgung aus komplett erneuerbarer Energie funktioniert auch im Winter.» (siehe hier) Genau wie bei der «Blick»-Schlagzeile, mit der ich mich in meinem letzten Beitrag auseinandergesetzt habe (siehe hier), war auch hier meine spontane Reaktion: Das kann doch nicht wahr sein!

Im Beitrag der «Sonntagszeitung» geht es um die Resultate aus einer Studie des Energy Science Center der ETH Zürich (siehe hier), in der drei Szenarien aus dem Umfeld der Solarwirtschaft untersucht und mit der offiziellen Energiestrategie 2050 verglichen werden. Alle drei Szenarien zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Ausbau der Fotovoltaik bis ins Jahr 2050 massiv stärker fördern wollen, als dies in der Energiestrategie 2050 vorgesehen ist.

Die Szenarien kommen von der Firma Helion Energy AG (siehe hier), die im Bereich Elektromobilität/Fotovoltaik tätig ist, vom Fachverband für Sonnenenergie Swissolar (siehe hier) und von GLP-Nationalrat Jürg Grossen (siehe hier), Präsident von Swissolar und beruflich ebenfalls in der Elektrobranche tätig. Die Studie wurde von Helion und Swissolar in Auftrag gegeben und vollständig finanziert.

Was wichtig ist:

– Eine neue Studie der ETH Zürich kommt zum Schluss, dass bis 2050 mit erneuerbarer Energie jederzeit genügend Strom erzeugt werden kann.
– Dabei bleiben aber die notwendigen Netzanpassungen unberücksichtigt. Auch auffällige Nachteile der Solarenergie werden verschwiegen.
– Insbesondere ist unklar, woher die benötigten Stromimporte im Winter kommen sollen.
– Die Option Kernenergie wird komplett ignoriert.

Die Studie will in erster Linie diese Frage beantworten: Kann der Stromverbrauch der Schweiz in jeder Stunde der Referenzjahre 2030, 2040 und 2050 mit Eigenerzeugung und Importen vollständig gedeckt werden? Daneben geht die Studie auch auf die Kostenfrage ein – dazu kann ich mich hier aus Platzgründen nicht äussern.

Das Helion-Szenario postuliert den grössten Solarausbau

Zur Beantwortung ihrer zentralen Frage haben die ETH-Forschenden die Ausgangsbedingungen der Szenarien sowie des Status quo unserer Energiestrategie in die Energiesystem-Modellierungs-Plattform Nexus-e eingegeben, die sie selbst entwickelt haben (siehe hier). Eine solche Modellierung unterliegt selbstverständlich vielen Annahmen und Vereinfachungen, was die Autoren auch selber anmerken. Konkret schreiben sie, dass «die Ergebnisse dieser Studie quantitative Einblicke in die Unterschiede der Szenarien bieten, jedoch nicht als Prognosen dienen sollen.»

Alle wichtigen Resultate der Studie sind auf einer speziellen Webseite interaktiv aufgeschaltet (siehe hier) – eine ausgezeichnete Dienstleistung. Dort habe ich die folgende Grafik zusammengestellt, die den geplanten Ausbau der Erzeugungskapazitäten unseres Stromsystems im Helion-Szenario zeigt. Ich beschränke mich im Weitern auf dieses Szenario, weil die Szenarien relativ ähnlich sind, und weil bei Helion der grösste Solarausbau gefordert wird.

Quelle: Resultate Nexus-e

Für die drei untersuchten Stichjahre 2030, 2040 und 2050 ist aus dieser Grafik die Entwicklung der Ausbaukapazitäten (installierte Leistung) der wichtigsten Energieträger in Gigawatt abzulesen. Das ist erstens der vollständige Abbau der Kernenergie (orange), zweitens ein moderater Ausbau der Wasserkraft (blau), drittens ein massiver Ausbau der Fotovoltaik (PV gelb) von 3 auf 57 Gigawatt und viertens ein Ausbau der Speicherbatterien (violett) auf 10,5 Gigawatt.

Kernkraftwerke erzeugen neunmal mehr Strom als PV-Anlagen

Erstaunlich ist, dass diesem massiven Kapazitätsausbau von 290 Prozent lediglich eine Verbrauchssteigerung von 40 Prozent gegenübersteht: Der Stromverbrauch soll in diesem Szenario von 62 auf 87 Terawattstunden steigen. Dieses grosse Ungleichgewicht ist allein mit der schlechten PV-Arbeitsauslastung zu erklären. Im Jahr 2020 ist das einfach zu sehen: mit exakt derselben Kapazität der Kernkraftwerke und Solaranlagen (siehe Grafik) betrug die Stromerzeugung aus Kernkraftwerken in diesem Jahr 23,5 Terawattstunden, während die Solaranlagen nur 2,6 Terawattstunden lieferten – das ist neunmal mehr.

Weil diese Relation an einzelnen Wintertagen aber nochmals deutlich schlechter ist, sind die Promotoren solcher Solar-Szenarien gezwungen, erstens einen gewaltigen Solarausbau und zweitens eine grosse Menge an zusätzlichen Speichern vorzusehen. Im Helion-Szenario bedeutet das: Der PV-Ausbau ist viermal grösser als bei der Energiestrategie 2050, der Zubau von Batterien muss die 3,5-fache Leistung der heutigen Kernkraftwerke erreichen, und die Wasser-Pumpspeicher müssen um 40 Prozent ausgebaut werden.

Batterien und Pumpspeicher erzeugen keine einzige Kilowattstunde

Dabei darf nicht vergessen werden, dass Batterien und Pumpspeicher keine Kilowattstunde neu erzeugen, sondern aus Überschussstrom zuerst «geladen» werden müssen, bevor sie – mit entsprechenden Verlusten – dann Strom liefern, wenn die vielen Lücken solcher Solar-Systeme gefüllt werden müssen.

Weil das aber vor allem in den Wintermonaten der Fall ist, und weil trotz Batterien und Pumpspeichern in dieser kritischen Zeit zu wenig Strom vorhanden ist, muss man sich auf Stromimporte verlassen können, ohne die kein Szenario funktioniert. Die nächste Grafik – ebenfalls von der erwähnten Nexus-Resultate-Webseite – zeigt im Helion-Szenario für den Januar 2050 die Verbrauchskurve (oben) und den absoluten Importbedarf (graue Fläche).

Quelle: Resultate Nexus-e

Zuerst das Positive: Mit dem Nexus-e-Modell können alle Stunden des Jahres (für jeden zweiten Tag) berechnet werden. Es erfüllt somit die Grundanforderung an eine Systemanalyse mit neuen Erneuerbaren.

Im Winter bis zu 87 Prozent Importstrom

Wieviel Importstrom wird aber in diesen Januar-Wintertagen benötigt? Das Importmaximum der einzelnen Stunden liegt bei 87 Prozent des Verbrauchs. Und auch wenn an mehreren Tagen dieses Monats deutlich weniger Importbedarf besteht, müssen gemittelt über den ganzen Januar 2050 doch 56 Prozent des Verbrauchs eingeführt werden. Wie solche Mengen gesichert zur Verfügung stehen sollen – wie die Studie behauptet – , bleibt ein Geheimnis bei dieser ETH-Studie.

Denn dieser gewaltige Einfuhrbedarf wird in der Studie nicht kommentiert. Die Autoren gehen nur auf den Netto-Importbedarf ein, also auf das, was nach Abzug der Exporte übrigbleibt. Und auch da werden nicht die Werte der kritischen Tage, Wochen und Monate diskutiert. Sondern es werden nur die Zahlen für das ganze Jahr und immerhin noch für das Winterhalbjahr gezeigt:

Quelle: Studie ETH Zürich

Die Netto-Stromimporte dieser Figur 8 aus der Studie sind in Terawattstunden angegeben. Im Winterteil rechts sieht man, dass alle Zahlen positiv sind. Das bedeutet, dass im Winterhalbjahr in allen Szenarien ein Importüberschuss resultiert. Warum aber hat das Swissolar-Szenario im Jahr 2030 einen so viel höheren Importbedarf als die Szenarien Helion und Grossen, und das bei praktisch gleichem Solarausbau?

Laufzeiten der Kernkraftwerke sind entscheidend

Dies liegt fast ausschliesslich an der unterschiedlich angenommenen Betriebsdauer der Kernkraftwerke. Swissolar geht davon aus, dass diese nach 50 Jahren ausser Betrieb gehen, bei den beiden anderen Szenarien wird mit 60 Jahren gerechnet. Die fast 8 Terawattstunden, die bei Swissolar mehr importiert werden müssen, sind also darauf zurückzuführen, dass in diesem Szenario nur noch Leibstadt in Betrieb ist, bei Helion und Grossen aber zusätzlich auch noch Gösgen und Beznau 2.

Dies zeigt eindrücklich wie matchentscheidend die Kernkraftwerke für die Strom-Versorgungssicherheit sind, und wie sehr unsere Abhängigkeit von Stromimporten durch die KKW-Laufzeiten bestimmt wird. Davon erfährt man aber in der ETH-Studie nichts.

Ebenso wenig werden folgende Punkte thematisiert, die mit einem massiven Solarausbau einhergehen:

– Gibt es genügend Rohstoffe und Installateure?
– Wie entwickeln sich die Preise für Erneuerbare, nachdem diese in letzter Zeit gestiegen sind?
– Wollen wir eine fast vollständige Abhängigkeit von China als PV-Zulieferer?
– Warum sind die notwendigen Netzanpassungen nicht berücksichtigt worden?
– Warum wird die effiziente und kostengünstige Kernenergie ausgeschlossen?

Fazit: Das Energy Science Center der ETH Zürich hat in dieser Studie bei der zentralen Frage der Verlässlichkeit unseres Stromsystems die Netzintegration völlig unbeachtet gelassen. Bezüglich Importen verlässt sich das Center auf Versprechungen unserer Nachbarländer. Grundsätzliche Mängel der Solarenergie werden verschwiegen. Zudem wird die Kernenergie völlig aussen vor gelassen. Insgesamt bekommt man den Eindruck, dass diese Studie eine bezahlte Gefälligkeits-Arbeit für die Solarbranche ist.

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«Atomkraft – Das Tabu. Brauchen wir Kernkraftwerke?» Die 2. Auflage meines Buches mit diesem Titel ist soeben im Buchhandel erschienen. Es enthält zwölf meiner früheren Nebelspalter-Grafik-Kolumnen, in denen alle wichtigen Argumente im Wettstreit «Kernenergie versus Solar» zur Sprache kommen – mit dem besseren Ende für die Atomtechnologie. Ergänzt werden diese Kapitel durch spezifische Fachbeiträge ausgewiesener Experten: Simon Aegerter, Johannis Nöggerath, Alex Reichmuth, Hans Rentsch, Walter Rüegg und Markus Saurer.

8 Kommentare zu “Wie sich die ETH Zürich eine Gefälligkeits-Studie bastelte

  1. Torsten Gürges
    Torsten Gürges

    Ich möchte auf einen Aspekt hinweisen, der im (wie immer sehr guten!) Artikel von Prof. Schlumpf nur am Rande auftaucht:
    Laut der genannten Szenarien (s. verlinkte Website im Artikel oben) sollen schon im Jahr 2030 Batteriespeicher mit einer Kapazität von 1,7 Tera – Watt – Stunden (Abk. TWh, ich schreibe das hier einmal absichtlich aus, um auf das „Tera“ hinzuweisen!).
    „Tera“ bedeutet „Billionen“, deutsche Billionen, also „10 hoch 12“, nicht etwa englische „billion“, was nur „10 hoch 9“ bedeutet.
    1,7 Billionen Watt – Stunden sind 1,7 Milliarden Kilowattstunden (kWh), was ja eine aus dem Alltag vertraute Grösse ist.
    2030 ist in 7 Jahren! Binnen 7 Jahren sollen also Batteriespeicher mit einer Kapazität von 1,7 Milliarden kWh installiert werden, bis 2040 dann 7,63 Mrd. kWh und bis 2050 12,14 Mrd. kWh.
    Ich weise darauf hin, dass eine kWh Speicherkapazität derzeit real ca. 500 US-$ kostet!
    https://teslamag.de/news/groesser-teurer-tesla-megapack-megawattstunden-millionen-dollar-51714
    Ohne Grundstücke, Netzanbindung, Installation, Wartung,…
    Bis 2030 als 1,7 Mrd kWh*500 US$/kWh = 850 Mrd. US$ (mit Umrechnungskurs 6.4., 8.04 Uhr MEZ: 765 Mrd. CHF)
    Selbst wenn die Kosten nochmal ca. 50% sinken (äusserst unwahrscheinlich im Rohstoff – und Zinsumfeld derzeit!) wären das knapp 400 Mrd CHF- bis 2030. Und mit diesen halbierten Kosten dann ca. 1,7 Billionen CHF bis 2040 (ca. 2,7 Billionen bis 2050).
    Mit diesen Zahlen im Hinterkopf sei hierauf verwiesen:
    https://www.efv.admin.ch/efv/de/home/finanzberichterstattung/bundeshaushalt_ueb/ausgaben.html#:~:text=Die%20Ausgaben%20verzeichneten%20im%20Jahr,3%2C7%20Mrd.).

    Mehr als 9 komplette Bundeshalte bis 2030 nur für den Batterieausbau… Spannnend.

  2. Stephan Amacker
    Stephan Amacker

    Um die Argumente „scharf zu schalten“ wird es eine Initiative zur Streichung des Verbots neuer Kernkraftwerke brauchen, sonst verfügen ETHZ, -L und PSI nicht genügend Geld, um an den neuen nuklearen Technologien erfolgreich zu forschen. Solange dieses Verbot besteht, sehen auch die Energiekonzerne keinen Grund solche Anlagen zu planen.

  3. Paul Kundert
    Paul Kundert

    Das die ETH, oder ein Institut der ETH, solche Gefälligkeitsexpertisen verfasst, ist wahrscheinlich dem Fakt geschuldet, dass die Auftraggeber alles bezahlt haben, dafür aber auch entsprechende Resultate sehen wollten.
    Kann man so akzeptieren, aber nicht wenn „ETH“ dranklebt.
    Aus meiner Sicht ist das wissenschaftliche Korruption.

  4. Monsieur Luc Meylan
    Monsieur Luc Meylan

    Bonjour Monsieur,
    Dans les milieux politiques et bourgeois que je fréquente je ne manque pas une occasion pour plaider en faveur de l’énergie nucléaire. Le bloquage est général. L’argument invoqué prétend que la question des déchets n’est pas encore réglée. Comment informer et faire connaître les faits que vous énumérez dans votre livre? Je n’ai pas la réponse. Peut-être que le lobby nucléaire est déjà actif dans ce sens. Bon courage dans vos efforts d’information.

  5. Herr Christoph Baumgartner
    Herr Christoph Baumgartner

    Sehr geehrter Herr Schlumpf
    Seit längerem verfolge ich Ihre akribische Arbeit in Sachen Energie. Davon bin ich sehr beeindruckt. Ganz herzlichen Dank für Ihre Bemühungen. Jetzt ist bloss noch zu hoffen, dass diese eine noch grössere Beachtung und Verbreitung finden. Wobei ich mir gut denken kann , dass in den entsprechenden Kreisen einige Leute unruhig werden wenn Sie wieder eine neue Studie veröffentlichen.
    Mit freundlichen Grüssen Christoph Baumgartner

  6. Johannis Nöggerath
    Johannis Nöggerath

    Was Martin Schlumpf beschreibt, ist genau das Problem: Seit Jahren erhalten wir sog. „Studien, Expertisen“ aus der grün-linken pro-EE-Ecke, die uns suggerieren, dass wir allein mit Erneuerbaren die Schweiz locker „elektrifizierien“ können. Aber ALLE diese Studien sind nicht konservativ, sind beschönigend und klammern wichtige kritische Versorgungs- / Bedarfsituationen konsequent aus. Ich habe die dabei angewandten Tricksereien, Täuschungen, Bauernfängerei und Schwindeleien in der letzten Woche im Carnot-Cournot Netzwerk in einem neuen Essay beschrieben:

    https://www.c-c-netzwerk.ch/2023/03/25/energiepolitisches-huetchenspiel/

    • Torsten Gürges
      Torsten Gürges

      Ihr verlinkter Artikel bringt es auf den Punkt und ergänzt den Artikel von Prof. Schlumpf um einige darin noch nicht genannte Faktoren. Danke dafür!
      Ich möchte noch ein „Hütchen Nr. 4b“ ergänzen: Import von Wasserstoff aus Regionen mit besseren Bedingungen für erneuerbare Energien (z.B. Nordafrika):
      Selbst nach Schätzungen der Internationalen Energie Agentur im „Africa Energy Outlook 2022“ werden als Kosten für H2 aus Nordafrika Werte von 3 – 3, 5 US$ pro Kilogramm H2 angegeben (Produktion + Transport).
      Umgerechnet auf eine kWh „Energieinhalt“ bedeutet das 8 bis 10 – fache Kosten gegenüber amerikanischem „Shale Gas“ per LNG Carrier (ebenfalls Produktion + Transport), das an sich schon teurer ist als das Erdgas, das per Pipeline, z.B. aus Norwegen – oder bis 2021 aus Russland – kommt/kam.
      Etwas billiger wäre der Transport als NH3 („nur“ etwa 6 bis 7 -fache Kosten).
      Nicht berücksichtigt wären in beiden Fällen die Anlagen zur Rückverstromung, bzw. bei NH3 evtl. auch Rückaufspaltung in H2/N2, im Inland (die zudem permanent im „Stop – and Go – Betrieb“ arbeiten müssten).

  7. Arturo Romer
    Arturo Romer

    Ein ausgezeichneter Beitrag von Prof. Martin Schlumpf. Eine gerechtfertigte Warnung! Die Kritik ist notwendig. Unser Land braucht endlich eine realistische und glaubwürdige Energiestrategie 2050.

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