Nach dem zweiten Weltkrieg nahm die Luftverschmutzung in der Schweiz stark zu. Mit der Umweltbewegung der 80er-Jahre drehte die Entwicklung jedoch. Seither sinkt die Belastung bei allen Schadstoffen kontinuierlich.
Originalbeitrag «Schlumpfs Grafik, Folge 16» im Nebelspalter vom 18. Oktober 2021.
Ich erinnere mich an Szenen aus meiner Kindheit, in denen mein Bruder und ich als junge Buben in der Badewanne das Spiel machten, dass ich untertauche und mein Bruder die Zeit misst. Mein Ehrgeiz stachelte mich an, die Zwei-Minuten-Grenze zu übertreffen – ob es mir gelang, weiss ich nicht mehr mit Sicherheit. Aber dieses Spiel zeigt, wie sehr unser Leben von der Luft abhängt, und dies nicht zu knapp: Pro Tag atmet ein Mensch etwa 15’000 Liter Luft ein, die um die 19 Kilogramm schwer sind. Einem solch «gewichtigen» Treibstoff für unsere Atmung Sorge zu tragen, ist also notwendige Pflicht.
Praktisch keine Veränderungen bis zum Zweiten Weltkrieg
Wie gut ist uns das in der Schweiz gelungen? Die beste Gesamtdarstellung unserer Luftqualität ist mit einer Datenbank aus dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) möglich, die bis zum Jahr 1900 zurückgeht, und die Emissionen aus den fünf wichtigsten Luftschadstoffen enthält. Weil sich bis zum Zweiten Weltkrieg praktisch keine signifikanten Veränderungen zeigen, habe ich in der folgenden Grafik nur die Zeitspanne von 1940 bis 2019 berücksichtigt.
(Click auf Grafik vergrössert diese) Die Einheit der Bafu-Datenbank ist Tausend Tonnen pro Schadstoffträger. Um diese absolute Zahl in Relation zur wachsenden Wohnbevölkerung der Schweiz zu bringen (sie hat sich in diesen 80 Jahren von 4,3 auf 8,6 Millionen verdoppelt), habe ich in meiner Grafik die Belastung pro Kopf und in Kilogramm dargestellt.
Heute liegen nur Stickoxide höher als 1940
Die fünf aufgeführten Schadstoffträger sind
– Schwefeldioxid (dunkelblau) – etwa zu zwei Dritteln aus Industrie und Gewerbe;
– Stickoxide (orange), hier vor allem Stickstoffdioxid, NO2 – fast 60 Prozent aus dem Verkehr;
– NMVOC (grau): Flüchtige organische Verbindungen ohne Methan – zu etwa 55 Prozent aus Industrie und Gewerbe;
– Ammoniak (gelb) – zu über 90 Prozent aus der Landwirtschaft;
– Feinstaub (hellblau), hier PM10, das sind Staubpartikel mit einem Durchmesser von weniger als 10 Mikrometer (10 Millionstel-Meter) – fast zu gleichen Teilen aus allen Quellen.
Der Gesamteindruck des Bildes ist klar: Die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Industrialisierungsphase führt zunächst zu stark wachsenden Schadstoffemissionen in der Luft, die aber nach einem Höhepunkt um 1980 herum in eine Phase der kontinuierlichen Verminderung dieser Stoffe übergeht, die bis heute andauert. Nimmt man den Wert von 1940 als Referenz von 100 Prozent, so ergibt sich für 2020 folgende Rangliste: Stickoxide 146 Prozent (der einzige höherliegende Wert), NMVOC 90 Prozent, Ammoniak 50 Prozent, Feinstaub 37 Prozent und Schwefeldioxid 7 Prozent. Das überraschende Fazit lautet: Die Pro-Kopf-Emissionen der wichtigsten Luftschadstoffe liegen heute fast überall tiefer als 1940, und sind in allen Bereichen seit den 80er-Jahren massiv gesunken.
Schwefeldioxid ist praktisch verschwunden
Der generelle Kurvenverlauf dieser Grafik wird in der Umweltökonomie als «Umwelt-Kuznets-Kurve» diskutiert. Darunter versteht man den Zusammenhang zwischen steigendem Pro-Kopf-Einkommen und zuerst wachsenden, dann wieder sinkenden Umweltbelastungen – oft als Kurve eines auf den Kopf gestellte U beschrieben. Dies ist eine einleuchtende Beschreibung, denn zuerst müssen die durch mehr Fabriken, mehr Heizungen und mehr Autos verursachten Schäden störend auffallen, bis das Bewusstsein dafür wächst, die notwendigen Schritte zu ihrer Vermeidung oder Eindämmung einzuleiten. Dies wiederum aber gelingt nur mit weiter wachsender Wirtschaftsleistung. Im Endeffekt zeigt sich: Wohlstand bringt saubere Luft.
Wie gross aber sind die Verbesserungen seit dem Höhepunkt von 1980? Mit der gleichen Metrik wie oben, also den Wert von 1980 als 100 Prozent gesetzt, finden wir 2019 diese Reihenfolge: Ammoniak 56 Prozent, Feinstaub 32 Prozent, Stickoxide 29 Prozent, NMVOC 19 Prozent und Schwefeldioxid 3 Prozent. Daraus ergeben sich unterschiedliche Geschichten: Schwefeldioxid (aus der Verbrennung von schwefelhaltigen fossilen Brenn- und Treibstoffen, und Verursacher von «Saurem Regen») ist praktisch verschwunden. Stark zurückgegangen sind die Flüchtigen organischen Verbindungen, Stickoxide und Feinstaub, während beim Ammoniak die Werte nur langsam sinken.
Ungenügende Werte bei Feinstaub und Ozon
Sicher ist diese eindrückliche Erfolgsgeschichte stark von einem nach den Ölkrisen in den 70er-Jahren aufkommenden Umweltbewusstsein geprägt, das 1985 zur Verabschiedung der Luftreinhalte-Verordnung geführt hat. Dort sind die Vermeidung und Begrenzung schädlicher Luftfremdstoffe detailliert geregelt, insbesondere durch Immissionsgrenzwerte der verschiedenen Schadstoffe. Und kontrolliert wird die Schweizer Luft durch ein ab 1979 eingeführtes Nationales Beobachtungsnetz für Luftfremdstoffe, NABEL, das heute Messstationen an 16 unterschiedlichen Standorten, von «städtisch-verkehrsbelastet» bis zu «Hochgebirge», umfasst.
In jährlich erscheinenden Berichten werden die aktuellen NABEL-Messresultate anhand der Grenzwerte aus der Luftreinhalte-Verordnung diskutiert. Im der neusten Ausgabe «Luftqualität 2020» wird zuerst eingeräumt, dass unsere Luft seit 1985 deutlich besser geworden sei, und die Mehrzahl der Grenzwerte eingehalten würden. Trotzdem sei das Ziel einer sauberen Luft aber noch nicht erreicht: Wegen deutlichen Überschreitungen der Grenzwerte vor allem beim Ozon, teilweise dem Feinstaub (besonders bei PM2,5), und nur selten, und nur an verkehrsnahen Orten, beim Stickstoffdioxid.
Weltweit vier Millionen Tote pro Jahr
Es bleibt also immer noch etwas zu tun. Trotzdem ist es wichtig zu sehen, dass wir in der Schweiz punkto Luftqualität eine äusserst privilegierte Insel darstellen, was nicht zuletzt unserem Reichtum und politischer Stabilität zu verdanken ist. Dies fällt schockierend auf, wenn man sich die tödlichste Form der Luftverschmutzung auf dieser Welt vergegenwärtigt: Noch immer ist etwa ein Drittel der Menschheit wegen ihrer Armut gezwungen, in ihren Hütten mit Holz, Kohle oder Abfällen zu kochen und zu heizen. An den Folgen der so verschmutzten Innenraumluft sterben jährlich etwa vier Millionen Menschen, vor allem kleine Kinder und Frauen.
Wenn man sich darüber hinaus die Luftverschmutzung durch Smog in den Städten oder durch Buschbrände vor Augen hält, dürfte es keinen Zweifel daran geben, dass wir den 15’000 Jahreslitern Luft pro Schweizer-Kopf in den letzten Jahrzehnten ziemlich gut Sorge getragen haben, und dies sicher auch in einem vernünftigem Mass weiter tun sollten. Ob aber weitere Verschärfungen der bei uns geltenden Grenzwerte, wie sie von der Weltgesundheits-Behörde angepeilt werden (siehe hier), sinnvoll sind, scheint doch sehr fraglich.
Ein intelligenter und seriös dokumentierter Beitrag. Ein aufrichtiges Kompliment für diese wertvolle Information! Ich teile die Schlussfolgerung des Autors. Die Schweiz ist in Sachen Energie und Umwelt weltweit schon ein Beispiel. Wir dürfen nicht Opfer einer Weltuntergangs-Stimmung werden. Mit Wissen, Forschung, Entwicklung, Solidarität und Verantwortung wird die Menschheit auch die heutigen und künftigen Probleme lösen. Die Hysterie, die Ideologien, die Panikmache und der Fanatismus sind schlechte Berater. Es braucht noch viel Wissen und endlich eine Dosis Optimismus!