Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 125“ im Online-Nebelspalter vom 23. September 2024 zu lesen.
Das Bundesamt für Energie (BFE) betreibt ein Monitoring über die Entwicklung der Kernenergie. Im Rahmen dieses Programms hat das BFE im Frühling 2023 bei den entsprechenden Fachstellen unserer Hochschulen einen aktuellen Bericht in Auftrag gegeben. Im Juli 2024 haben Annalisa Manera, Professorin für Nukleare Sicherheit an der ETH Zürich und Andreas Pautz, Professor für Nuklearingenieurwesen an der ETH Lausanne und Leiter des Forschungsbereichs Nukleare Energie und Sicherheit am PSI (Paul-Scherrer-Institut) mit weiteren Mitarbeitern die Studie «Technology Monitoring of Nuclear Energy» abgeliefert (siehe hier, unter „Monitoring Kernenergie“).
Was wichtig ist:
– Gemäss einer neuen ETH-Studie im Auftrag des Bundes sind weltweit 415 Kernkraftwerke in 32 Ländern in Betrieb, 57 neue Anlagen sind im Bau – 27 davon in China und 7 in Indien.
– Die durchschnittliche Bauzeit eines Reaktors der neuesten Generation beträgt 7,7 Jahre – in Japan wurde eine Anlage in weniger als vier Jahren gebaut.
– Die Stromgestehungskosten in einem neuen Kernkraftwerk liegen tendenziell tiefer als diejenigen bei Wind- und Solaranlagen. Bei den Erneuerbaren fallen zusätzlich aber noch Systemkosten ins Gewicht.
Es ist unverständlich, warum dieser neue wissenschaftliche Zustandsbericht über alle wichtigen Aspekte der Kerntechnologie vom BFE nicht prominent vorgestellt wurde: Weder in einer Medienkonferenz, noch in einer Medienmitteilung wurde auf das Erscheinen dieser Studie hingewiesen (Alex Reichmuth hat dies im «Nebelspalter» bereits thematisiert: siehe hier). Offensichtlich stossen die positiven Resultate des Berichts bei den Beamten des BFE nicht auf offenen Ohren.
Ich fasse hier die wichtigsten Fakten der Studie aus den Bereichen «Kernenergie weltweit», «Status und Bauzeit aktuell verfügbarer Reaktoren» sowie «Kosten und Wirtschaftlichkeit» zusammen.
- Kernenergie weltweit
Im März 2024 sind weltweit 415 Kernkraftwerke mit einer installierten Leistung von 373 Gigawatt elektrisch (GWe) in Betrieb – zum Vergleich: Unser Kernkraftwerk Gösgen hat die Leistung von 1 GWe. Damit ist die Kernenergie in den OECD-Ländern nach wie vor die grösste Einzelquelle für kohlenstoffarmen Strom: 16 Prozent des Strommix kommen aus Kernenergie, 13 Prozent aus Wasserkraft, 10 Prozent aus Wind und 6 Prozent aus Solar.
57 Kernkraftwerke im Bau
Kernkraftwerke liefern derzeit in 32 Ländern Strom. Am meisten Anlagen stehen in den USA, gefolgt von Frankreich, China und Russland. Bereits im Bau sind weitere 57 Kernkraftwerke, die eine zusätzliche Kapazität von 59 GWe bereitstellen werden. Allein 27 der Reaktoren, die sich im Bau befindenden, stehen in China, das die höchste Kernenergie-Wachstumsrate der Welt aufweist. Dies zeigt die nächste Grafik, in der alle Länder aufgeführt sind, in denen momentan an Kernkraftwerken gebaut wird:
Die Grafik zeigt, wieviel zusätzliche Leistung in GWe die Kernkraftwerke zur Verfügung stellen, an denen in den verschiedenen Ländern aktuell gebaut wird. Beim Spitzenreiter China waren das im März 2024 23,8 GWe – schon wenige Monate später stieg der Wert aber auf über 30 GWe. An zweiter Stelle, weit hinter China, kommt Indien mit einem Zuwachs von 5,9 GWe, gefolgt von den beiden nuklearen Neulingen Ägypten und Türkei mit je vier Anlagen mit einer Gesamtleistung von 4,8 GWe. Aber auch in Grossbritannien, Japan, Südkorea, Russland, Bangladesch, der Ukraine, in Frankreich, Brasilien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Iran und der Slowakei werden neue Kernkraftwerke gebaut.
50 Prozent mehr Nuklearstrom in der EU geplant
2023 wurde zudem die EU-Kernenergieallianz gegründet. In dieser Allianz planen 16 europäische Länder den Aufbau einer integrierten Kernenergieindustrie und verpflichten sich, bis 2050 den Anteil des Nuklearstroms am EU-Strommix um 50 Prozent zu steigern. Zudem wurde 2024 in der Europäischen Kommission eine Allianz für kleine modulare Reaktoren mit dem Ziel gegründet, «die technologische und industrielle Führungsrolle Europas im Bereich Kernenergie aufrechtzuerhalten.»
- Status und Bauzeit aktuell verfügbarer Reaktoren
Alle zurzeit neu verfügbaren Reaktoren gehören der sogenannten Generation III/III+ an. Solche Anlagen basieren zum grössten Teil auf derselben Leichtwasser-Reaktortechnologie, die auch in den heute bestehenden Anlagen verwendet wird. Die neuen Reaktoren zeichnen sich aber durch eine radikal verbesserte Sicherheitsphilosophie aus, bei deren Konstruktion die Lehren aus den grössten Reaktorunfällen berücksichtigt wurden. Bis Ende 2023 waren insgesamt 38 grosse Einheiten dieser Generation in Betrieb, weitere wurden bestellt oder ausgeschrieben.
Immer wieder hört man von Atomgegnern das Argument, die Bauzeit neuer Kernkraftwerke werde immer länger und würde sogar Jahrzehnte dauern. Dies sagte zum Beispiel Jon Pult, Vizepräsident der SP, in der letzten Arena, siehe hier (bei 23:13). Als Antwort darauf zeigt die nächste Grafik die realen Bauzeiten aller bis Ende 2023 fertiggestellten 38 Kernkraftwerke der Generation III/III+:
Etwas ungewohnt wird hier die Bauzeit in Monaten angegeben (100 Monate entsprechen gut 8 Jahren). Auf der x-Achse sind die zehn verschiedenen Reaktortypen angegeben, die bisher in Generation III/III+ gebaut wurden. Zwei Ausreisser nach oben stechen heraus: der EPR in Olkiluoto (Finnland) mit einer Bauzeit von 16 Jahren und der V-428 in Indien, dessen Erstellung 14 Jahre in Anspruch nahm.
Durchschnittliche Bauzeit 7,7 Jahre
Auf der anderen Seite findet man den Typus ABWR, der in Japan viermal in jeweils weniger als vier Jahren gebaut wurde. Zudem ist auffällig, dass Reaktoren, die in China erstellt wurden (in der Grafik hervorgehoben), Bauzeiten von nur 5 bis 7 Jahren aufweisen: Mit einer eingespielten Fertigungskette, gut qualifiziertem Personal und wenig Designänderungen lassen sich Kernkraftwerke in dieser Zeit bauen. Die durchschnittliche Bauzeit aller Anlagen liegt bei 7,7 Jahren (der Median beträgt 8 Jahre). Jon Pult liegt mit seiner Aussage also völlig falsch. Es ist reine Angstmacherei.
- Kosten und Wirtschaftlichkeit
Auch bei diesem Punkt hört man immer wieder, dass Kernkraftwerke zu teuer seien und es deshalb keine Investoren dafür gäbe. Der Bericht zeigt aber, dass die Stromgestehungskosten (levelized cost of electricity, LCOE) neuer Kernkraftwerke nach besten wissenschaftlichen Quellen auf 7 bis 12 Rappen pro Kilowattstunde geschätzt werden. Diese Aussage stützt sich auf eine grosse PSI-Studie, die ich im Januar 2022 bereits kommentiert habe (siehe hier). Dort wird gezeigt, dass allein bei den Gestehungskosten die Kernenergie im Vergleich zu Wind und Solar mindestens ebenso gut und teilweise sogar besser abschneidet. Bezieht man aber auch alle für die volatilen Erneuerbaren notwendigen zusätzlichen Systemkosten in die Rechnung ein, ist die Kernkraft deutlich billiger.
Bei Vergleichen der Wirtschaftlichkeit zwischen Kernenergie und Solar- respektive Windenergie wird oft vergessen, wie bei der Kernenergie massiv mehr Strom aus derselben Leistungseinheit erzeugt werden kann, als das bei den neuen Erneuerbaren der Fall ist. Dies wird in der Zusammenfassung der Studie mit einer einfachen Rechnung erläutert: Der EPR in Olkiluoto – das Beispiel mit der längsten Bauzeit in Grafik 2 – hat wegen dieser langen Bauzeit mit 11 Milliarden Euro enorm viel gekostet. Dieses Kernkraftwerk erzeugt aber bei einer 85-Prozent-Auslastung pro Jahr die riesige Strommenge von 12’000 Gigawattstunden.
Strom aus AlpinSolar ist dreimal teurer als Olkiluoto-Strom
Olkiluoto wird dann mit der hochalpinen Solaranlage AlpinSolar verglichen, die von der Axpo betrieben wird. Die knapp 5000 Solarmodule, die auf der Staumauer des Muttsees auf 2500 Metern über Meer installiert sind, haben 2023 2,982 Gigawattstunden Strom produziert. Es wären also 4000 solche Anlagen nötig, um denselben Stromertrag pro Jahr zu erzeugen, wie in Olkiluoto. Mit den Kosten von AlpinSolar von 8 Millionen Franken ergäben sich so Investitionskosten von 32 Milliarden Franken. Der Strom aus einem der teuersten Kernkraftwerke ist also dreimal billiger als der Strom von AlpinSolar. Und dies notabene ohne Berücksichtigung der Kosten für Backup, Speicherung und Netzerweiterung.
Dessen ungeachtet bleiben die hohen Kapitalkosten, die alle zusammen auf einmal anfallen, für die Investoren grosser Kernkraftwerke eine der wichtigsten Hürden. Diese gilt es zu überwinden, wenn neue Reaktoren gebaut werden sollen. Im nächsten Beitrag beschreibe ich, wie die Kernenergiebranche mit dem Konzept der SMR (Small Modular Reactor) bis hin zu den Mikroreaktoren darauf eine Antwort zu geben versucht, und welche falschen Vorstellungen über die Subventionen für Kernkraftwerke vorherrschen.
Prof. Martin Schlumpf gibt mit seinem Beitrag dem Leser eine sehr wichtige, seriöse und objektive Information. Er betont mit Recht, dass das BFE über solche Studien viel mehr informieren sollte. Der Leser muss auch wissen, dass die Kernenergie noch ein sehr hohes Entwicklungspotential hat. Ich denke dabei ganz besonders auch an moderne Thoriumreaktoren. Thorium ist in der Erdkruste viel häufiger vorhanden als Uran. Die moderne Kernenergie ist nicht des Teufels. Sie ist sicher, effizient , ökologisch und bezahlbar! Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Anrecht auf Wahrheit und Transparenz! Stopp mit Lügen und Panik! Moderne Kernenergie und erneuerbare Energien schliessen sich gegenseitig nicht aus. Sie ergänzen sich.
Nicht nur werden solche Berichte von den Medien und der Politik totgeschwiegen, nein, die Medien verbreiten gar Berichte nach denen es aussehe, als ob die installierte Leistung von KKWs zumindest stagniere oder gar rückläufig sei!
Wer sorgt einmal dafür, dass auch die realistische Seite des Meinungsspektrums mehr Gehör erhält???
Frankreich 2018 conclusion parlementar commission: atomkraft 4x billiger zum vergleich wind kraft ohne backup und ausbreitung netz
Kein wort in die media, keine politische entscheidungen. Nur mehr windwahn unter druck von die EU commission
Super!
Ganz herzlichen Dank an Martin Schlumpf!