Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 126“ im Online-Nebelspalter vom 30. September 2024 zu lesen.
Vor einer Woche (siehe hier) habe ich über die vom Bund bestellte neue ETH-Studie zum Stand der Kernenergie berichtet (Manera A., Pautz A. et al, «Technology Monitoring of Nuclear Energy», 2024, siehe hier, unter «Monitoring Kernenergie»). Die in meinem Beitrag behandelten Themen «Weltweite Entwicklung», «Bauzeiten» und «Kosten» von Kernkraftwerken ergänze ich heute mit Kernenergie-Fakten aus dieser Studie zu «Subventionierung», «Neue Reaktorkonzepte», «Brennstoff-Verfügbarkeit» und «Ökobilanz». Der Bericht ist eine wahre Fundgrube für die Widerlegung häufig geäusserter Falschaussagen von Atomgegnern.
Was wichtig ist:
– In der EU und in den USA fliessen viel mehr Energie-Subventionen in neue erneuerbare Energien als in Kernenergie.
– Die Entwicklung vieler Konzepte zukünftiger SMR (Small Modular Reactor) sowie neuer Minireaktoren ist weit fortgeschritten –in den nächsten Jahren werden neue Prototypen erwartet.
– Brennstoffe für Kernkraftwerke sind für Jahrhunderte verfügbar – mit neuer Technologie werden es sogar Tausende von Jahren sein.
– In einer umfassenden Ökobilanz schneidet die Kernkraft sehr gut ab.
1. Subventionierung
Am Schluss meines letzten Beitrages (siehe hier) habe ich einen Kostenvergleich gemacht zwischen dem bisher teuersten europäischen Kernkraftwerk in Olkiluoto und der grössten alpinen Solaranlage in der Schweiz «AlpinSolar». Dabei ist herausgekommen, dass Solarstrom dreimal teurer ist als Atomstrom. Nicht erwähnt habe ich dabei, dass «AlpinSolar» nur dank Bundessubventionen von 640’000 Franken sowie einer 20-jährigen Defizitgarantie des Discounters «Denner» gebaut wurde – andernfalls wäre das Projekt gescheitert. Dabei lagen diese Subventionen noch weit unter den heutigen Bundesgarantien von bis zu 60 Prozent der Investitionskosten hochalpiner Solaranlagen – offensichtlich würden sich sonst keine Investoren für solche Projekte finden.
EU subventioniert erneuerbare Energie elfmal stärker als Kernenergie
Wie aber sieht das Verhältnis der Subventionen für Kernenergie im Vergleich mit Subventionen für neue erneuerbare Energien in westlichen Industriestaaten aus? Im ETH-Bericht findet sich dazu folgende Grafik, welche die Subventionsanteile verschiedener Energieträger in der Europäischen Union von 2015 bis 2022 zeigt:
Die Zahlen in der Grafik geben die Höhe der jährlichen Energie-Subventionen in Milliarden Euro an. Der Kernenergieanteil ist orange (Nuclear), der Anteil der neuen Erneuerbaren (RES, Renewable Energy Sources) grün eingetragen. In der Zeit von 2015 bis 2022 erreichten die Subventionen für Kernkraft im Jahr 2021 ein Maximum von 7,6 Milliarden Euro. Verglichen mit den 86 Milliarden für die Erneuerbaren im gleichen Jahr ist das gut elfmal weniger. Und dieses Muster gilt auch für die USA. In beiden Regionen liegen die energiespezifischen Subventionen für neue Erneuerbare deutlich höher als für Kernenergie.
Deutschland zahlt «Subventionen» für das Abschalten der Kernkraftwerke
Pikantes Detail bei den gezeigten EU-Zahlen: 2021 wurden fast 80 Prozent der 7,6 Milliarden Euro für die Kernenergie allein in Frankreich und in Deutschland ausgeschüttet. Dass Frankreich mit seinen vielen Kernkraftwerken auf einen Anteil von 44 Prozent kam, scheint einleuchtend. Wohin aber flossen die 35 Prozent in Deutschland, das kurz vor dem endgültigen Atomausstieg stand? Die Subventionen wurden in erster Linie für Ausgleichszahlungen an die Kernkraftwerk-Betreiber wegen der vorzeitigen Stilllegung ihrer Werke ausbezahlt: Die Zerstörung eines gut funktionierenden Elektrizitätssystems löste also noch «Subventionsgelder» aus – eine absurde Pervertierung dieses Systems.
2. Neue Reaktorkonzepte
Im ETH-Bericht wird der aktuelle Stand der Entwicklung neuer Reaktortypen ausführlich dargestellt. Dabei geht es einerseits um kleine modulare Reaktoren (Small Modular Reactors, SMR) bis 300 Megawatt Leistung – Gösgen hat 1000 Megawatt –, und andererseits um sogenannte Mikroreaktoren mit einer Leistung bis etwa 10 Megawatt.
Zehn SMR sind heute in Russland und in China bereits in Betrieb, mehrere befinden sich im Bau oder warten auf die Baugenehmigung. Zu den wassergekühlten SMR gibt es verschiedene Baukonzepte aus Frankreich, Grossbritannien und den USA, die für einen Einsatz in Europa bis 2030 am weitesten fortgeschritten sind. Die wichtigsten Vorteile der SMR sind geringere anfängliche Kapitalkosten, kürzere Bauzeiten, erhöhte Flexibilität bezüglich Lastregelung sowie stark verbesserte Sicherheitskonzepte.
Billige autonome Mikroreaktoren aus der Fabrik
Mindestens ebenso interessant ist die Entwicklung neuer Mikroreaktoren – derzeit vor allem in den USA. Dabei handelt es sich um Kleinreaktoren, die vollständig in einer Fabrik hergestellt und in normierten Transportbehältern per Schiff, Bahn oder LKW zum Einsatzort transportiert werden. Dort können sie ohne Erneuerung des Brennstoffes 5 bis 10 Jahre ohne Wartung autonom Strom liefern. Mit sehr geringen Kapitalkosten, einem minimalen Platzbedarf, vorhersagbaren Bauzeiten und einfacheren Genehmigungsverfahren wegen dem sehr kleinen Strahlenrisiko dürften ihre Einsatzmöglichkeiten sehr vielseitig sein.
3. Verfügbarkeit von Brennstoff
Die nächste Grafik zeigt wie weit verbreitet die natürlichen Uranreserven sind:
Die globalen Uranvorkommen reichen laut ETH-Bericht für den Betrieb aller heute bestehenden Kernkraftwerke auf der Welt für die nächsten Jahrhunderte. Für die Schweiz sehen die Experten auch langfristig keine Risiken bei der Versorgung mit Kernbrennstoffen. Zudem wird sich die Reaktortechnologie in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts mit einem geschlossenen Brennstoffkreislauf soweit entwickelt haben, dass neue Brennstoffe mit einem viel grösseren Energiepotenzial verwendet werden können. Dadurch wird sich die Verfügbarkeit von Kernbrennstoff auf viele tausend Jahre verlängern.
4. Ökobilanz der Kernenergie
Bei einer Ökobilanz (einer sogenannten Lebenszyklusanalyse, Life Cycle Assessment, LCA) verschiedener Stromerzeuger werden deren Umweltauswirkungen quantifiziert und miteinander über den gesamten Lebensweg verglichen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Auswirkungen auf den Klimawandel, sprich die Bilanz der Treibhausgas-Emissionen. Die nächste Grafik zeigt das Ausmass dieser Emissionen für alle Stromerzeuger in Gramm CO2-Äquivalent pro Kilowattstunde:
Die in der Grafik aufgeführten Stromerzeuger sind von links nach rechts: Steinkohle und Erdgas, zuerst ohne, dann mit Einbezug von Kohlenstoffabscheidung und -Speicherung (CCS), Wasser (Hydro), Kernenergie (Nuclear), Konzentrierte Solarenergie (CSP), Photovoltaik (PV) und Wind. Immer wird ein Wertebereich zwischen Minimum und Maximum angezeigt, der blaue Balken signalisiert jeweils den Durchschnittswert.
Atomenergie hat den kleinsten Treibhausgas-Ausstoss aller Stromerzeuger
An der Spitze aller Stromerzeuger mit den wenigsten Treibhausgas-Emissionen steht die Kernkraft mit einem Ausstoss zwischen 5 und 6 Gramm CO2-Äquivalent pro Kilowattstunde. Dem am nächsten kommen kleine Wasserkraftwerke (6-11 Gramm) und Onshore-Windanlagen (8-16 Gramm). Auf Dächern montierte Poly-Silizium Solaranlagen emittieren jedoch 23 bis 83 Gramm – solche PV-Anlagen haben also einen 4- bis 14-mal höheren Ausstoss an Treibhausgasen als Kernkraftwerke.
Auch unter Berücksichtigung anderer Kriterien der Umweltbelastung (Luftschadstoffe, Wasserverschmutzung, Ressourcenverbrauch, Radioaktive Strahlung, Landverbrauch, Einfluss auf Krebserkrankung) liegt die Kernenergie oft in der Spitzengruppe. Selbstverständlich gibt es bei einigen dieser Kriterien noch Unsicherheiten oder auch Unstimmigkeiten bei der Bewertung – trotzdem bekommt die Kernenergie in der bisherigen Forschung punkto Umweltbelastung sehr gute Noten.
Reichlich Nahrung pro Atomkraft
Wer wissenschaftlich fundierte Antworten auf Fake News der Atomgegner sucht, findet in diesem neuen ETH-Bericht reichlich Nahrung: Kernenergie ist weltweit gefragt, sie ist kostengünstig, die Bauzeiten sind angesichts der Leistungsfähigkeit der Anlagen im akzeptablen Rahmen. Bald wird es kleine Reaktoren geben, die ab Fabrik gekauft werden können. Kernenergie verdient als zuverlässiger Winterstromerzeuger staatliche Subventionen, ihr Brennstoff reicht für Jahrhunderte und ihre Umweltauswirkungen sind geringer als bei fast allen anderen Arten der Stromerzeugung.
Ja wenn das so einfach wäre, in den Massen-/Mainstreammedien eine etwas andere Ansicht zur Energiewende zu platzieren oder auf essentiellen Probleme mit PV-Strom hinzuweisen. Desinformiert wird der Interessierte vor allem aber durch SRF, Tamedia und Ringier, welche missliebige Kommentare in den Kommentarspalten wiederholt ablehnen. Vor etwa 40 Jahren war die Propaganda mit wissenschaftlichen Fehlleistungen beim «Waldsterben» die Hauptursache für diesen Hype.
Mit dem Totschlags-Argument der ideologisch unbelehrbaren Gegner „Die Endlagerung des radioaktiven Abfalls ist nicht gelöst“ wird von vornherein jegliche vernünftige Diskussion abgewürgt. Dass die vollständige Wiederverwertbarkeit der mittlerweile quadratkilometerweise verbauten PV-Anlagen sehr fraglich bis unmöglich ist, wird vornehm übergangen. Auch darüber wird in den MSM selten bis nie berichtet. Oder werden die bei uns gebauten Windräder nach ihrem Ableben als Kulturdenkmäler behandelt und deren tausende Tonnen schweren Betonfundamente recycelt?
Auch dieser Beitrag von Prof. Martin Schlumpf verdient vielen Dank und Beachtung. In Sachen Kernenergie wurden seit Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) leider viele Lügen, Angst und Panik verbreitet. Objektive Information ist daher notwendig. Die Kernenergie hat noch ein enormes Entwicklungspotential hinsichtlich Technik, Kernbrennstoffen, Sicherheit, Effizienz, Ökonomie und Ökologie. Wir verfügen auch in der Schweiz über sehr kompetente Fachleute, zum Beispiel am PSI, an der ETHZ und an der EPFL. Die Studie von Prof. Dr. Annalisa Manera und Prof. Dr. Andreas Pautz verdient höchste Aufmerksamkeit. Der interessierte Leser findet auch viele interessante und wichtige Informationen unter “nuklearforum.ch”, “swissnuclear.ch”, “kernenergie.ch”, “cern.ch”, usw.
Sehr geehrter Herr Professor Schlumpf
ich lese Ihre Beiträge stets mit grossem Interesse. Ihre Argumente, auch im vorliegenden Beitrag, sind kaum zu widerlegen und durch den ETH Bericht zusätzlich untermauert. Warum bloss sieht man davon nichts in den Massen-/Mainstreammedien? Bitte versuchen Sie, ein Konzentrat Ihrer Argumente in diesen Medien zu platzieren. Es wäre so wichtig, wenn auch eine breite Öffentlichkeit Zugang dazu hätte und sich nicht auf die ideologisch verbrämten und falschen Argumente der Gegner abstützen müsste!