Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 127“ im Online-Nebelspalter vom 7. Oktober 2024 zu lesen.
Was wäre passiert, wenn Deutschland statt in einen massiven Ausbau von Wind- und Solaranlagen in den Weiterbetrieb der bestehenden Kernkraftwerke und in den Bau neuer Reaktoren investiert hätte? Welche Folgen hätte das auf das deklarierte Ziel der Klimaneutralität bis 2045 und auf die gesamten Energiekosten gehabt? Dieser wichtigen – und bisher noch nicht verfolgten – Fragestellung geht eine neue Studie des norwegischen Wissenschaftlers und Wirtschaftsingenieurs Jan Emblemsvåg nach (siehe hier) – Alex Reichmuth hat im «Nebelspalter» bereits darüber berichtet (siehe hier).
Was wichtig ist:
– Gemäss einer norwegischen Studie hat die deutsche Energiewende in den letzten zwanzig Jahren rund 700 Milliarden Euro gekostet. Damit konnten der Ausstoss an Treibhausgasen um 25 Prozent reduziert werden.
– Hätte Deutschland an Stelle dieser Energiewende seine Kernkraftwerke weiter laufen lassen, hätte es bei vergleichbarer Klimabilanz 600 Milliarden Euro gespart.
– Hätte es zusätzlich neue Kernkraftwerke gebaut, könnte das Land schon heute praktisch klimaneutral sein – und dies bei Kosteneinsparungen von über 300 Milliarden Euro.
Zu diesen Resultaten gelangt Jan Emblemsvåg in seiner Studie «Was wäre, wenn Deutschland in Atomkraft investiert hätte?», die 2024 im renommierten Fachblatt «International Journal of Sustainable Energy» erschienen ist. Jan Emblemsvåg ist Professor an der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie in Ålesund.
In seiner Studie untersucht er dabei zuerst – als Status quo – die Kosten und die Klimaauswirkungen der deutschen Energiewende zwischen 2002 und 2022, dem Betrachtungszeitraum der Studie. Wie die folgende Grafik aus der Studie zeigt, hat Deutschland in dieser Zeit seine Stromkapazitäten massiv ausgebaut:

Die Grafik zeigt, wieviel Leistung in Gigawatt (GW) im jeweiligen Jahr im deutschen Stromsystem installiert ist, und wie sich diese Leistung auf die verschiedenen Träger aufteilt. Insgesamt verdoppelte sich das Total der elektrischen Leistung zwischen 2002 und 2022 von 116 auf 233 GW. Dabei verschwand die Kapazität der Kernenergie von anfänglich 25 GW (hellgelb unten) praktisch vollständig, während Wind- (dunkelgrün) und Solarenergie (dunkelgelb oben) von 13 GW auf 143 GW um das Elffache ausgebaut wurden. Der fossile Anteil von Kohle (hell- und dunkelgrau) und Gas (rot) schwankte dabei unverändert um rund 75 GW.
Mit dem Ausbau der Erneuerbaren sinkt der Stromertrag
Erstaunlicherweise stand diesem massiven Kapazitätsausbau aber eine relativ konstante Netto-Stromerzeugung Deutschlands gegenüber: Der Wert von 2022 liegt sogar leicht unter dem Wert von 2002. Ganz offensichtlich hat eine starke Forcierung wetterabhängiger Energien ihre Schwächen: Der Energieertrag pro installierter Leistungseinheit sinkt stark. Das treibt die Kosten in die Höhe.
In der Studie werden die Gesamtkosten der deutschen Energiewende in zwei Blöcken ausgewiesen: Einerseits den direkten Kosten, die von den Kraftwerkseigentümern bezahlt werden, und andererseits die indirekten Kosten, die vom steuerfinanzierten Staat getätigt wurden. Die direkten Kosten, die sich aus Kapital- und Betriebskosten zusammensetzen, beziffert die Studie für den Zeitraum von 2002 bis 2022 auf insgesamt 387 Milliarden Euro.
Die Energiewende hat 696 Milliarden Euro gekostet
Dazu kommen die indirekten Kosten, die mittels Steuern, Gebühren und Abgaben beglichen wurden. Um Doppelzählungen zu vermeiden, werden Steuern und Gebühren nicht mitgezählt. Es bleiben die Abgaben – sprich Subventionen. Diese setzen sich zusammen aus der Differenz aus Zahlungen der Netzbetreiber an die Wind- und Solarstromerzeuger und dem Börsenertrag beim Stromverkauf. Nach Abwägung verschiedener Schätzungen dieser Subventionen kommt die Studie auf eine Summe dieses Kostenteils von 309 Milliarden Euro. Bis Ende 2022 hat die deutsche Energiewende insgesamt also Kosten von 696 Milliarden Euro verursacht.
Reduktion der Treibhausgase wie in der Schweiz
Trotz dieser aufwändigen grünen Energietransformation hat Deutschland die Emissionen seiner gesamten Treibhausgase nur um gut 25 Prozent gesenkt (siehe hier): Genau die gleiche prozentuale Reduktion hat auch die Schweiz geschafft, und das erst noch auf einem pro Kopf halb so hohen Niveau.
In der Studie wird dann ausgehend von diesem Status quo eine erste nukleare Alternative analysiert: Wie hätte sich der Weiterbetrieb der 2002 laufenden 19 Kernreaktoren auf die Kosten und auf die Klimaverträglichkeit ausgewirkt? 2002 machte die Atomkraft 31 Prozent der deutschen Stromversorgung aus.
Weiterbetrieb der Kernkraftwerke für nur 91 Milliarden
Gestützt auf Kostenabschätzungen der Internationalen Energie Agentur (IEA) über Betriebsverlängerungen von Kernkraftwerken in der Schweiz, Schweden, den USA und Frankreich kommt der Studienautor zum Schluss, dass eine Laufzeitverlängerung aller deutschen Kernkraftwerke bis 2022 mit 91,3 Milliarden Euro zu Buche geschlagen hätte. Und weil der Atomstromanteil 2002 praktisch gleich hoch war, wie der Anteil des Stroms aus neuen erneuerbaren Quellen im Jahr 2022, hätte auch die Treibhausgas-Bilanz einer solchen Atom-Politik ein vergleichbares Resultat ergeben: Gleiche Klimawirkung mit rund 600 Milliarden Euro Einsparungen also!
Aber was wäre gewesen, wenn diese Einsparungen in neue Kernkraftwerke investiert worden wären? Die Berechnungen zu dieser zweiten in der Studie untersuchten nuklearen Alternative sind von Natur aus mit vielen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten behaftet. Trotzdem werden zwei Szenarien in der Studie analysiert. Erstens: Es hätten Reaktortypen gekauft werden können, die aktuell im Westen erhältlich sind. Zweitens: Der Atomausbau Chinas dient als Modell.
Theoretisch klimaneutral sogar mit dem teuersten Reaktor
Im Szenario 1 käme entweder der europäische Reaktor EPR-1600 oder der koreanische Reaktor APR-1400 in Frage. Die nächste Tabelle zeigt, wie in der Studie abgeschätzt wurde, was mit den 600 Milliarden Euro hätte gemacht werden können:

Die Tabelle zeigt von oben nach unten die Zahlen für den EPR Olkiluoto 3 in Finnland und darunter die Zahlen für den APR in Barakah (Vereinigte Arabische Emirate). Bei Gesamtkosten von 11 Milliarden für Olkiluoto 3 hätte Deutschland mit einem Budget von 600 Milliarden 55 Reaktoren kaufen können (2. Spalte). Dies hätte zu einer Stromerzeugung von 694 Terawattstunden (TWh) geführt (letzte Spalte). Mit dem APR-1400, der in Barakah für 8 Milliarden gebaut wurde, hätte man 88 Reaktoren mit einer Jahres-Stromproduktion von 971 TWh kaufen können. Eine Mischung aus diesen beiden Typen (3. Zeile) hätte jährlich 822 TWh Strom erzeugt. Dazu muss noch der Strom aus den bereits existierenden Kernkraftwerken von jährlich 186 TWh gerechnet werden. Insgesamt hätte Deutschland in diesem Szenario pro Jahr also 1007 TWh Strom erzeugen können.
Weil der Stromverbrauch Deutschlands 2022 aber nur 680 TWh betrug, hätte das Land auf diese Weise bereits klimaneutral sein können. Insbesondere auch deshalb, weil mit der Stromproduktion aus Kernkraftwerken ja erst gut 30 Prozent der thermischen Leistung in nutzbare Energie umsetzt worden sind – die ganze restliche Wärmeenergie könnte noch für diverse weitere Anwendungen verwendet werden.
Weiterbetrieb und Ausbau der Atomkraft hätte 300 Milliarden eingespart
Selbstverständlich ist das aber eine Utopie. Vor allem darum, weil im betrachteten Zeitrahmen in Deutschland allein niemals 55 EPR-Reaktoren hätten gebaut werden können. Und doch zeigt das Beispiel, dass ein gezielter Ausbau der Kernenergie enorme Vorteile mit sich bringt. Dies kann man aktuell vor allem in China beobachten, wo viele neue Kernkraftwerke gebaut werden. Deshalb ist der Autor in der Studie auch noch einem zweiten Szenario nachgegangen, bei dem angenommen wird, dass der Kernenergie-Ausbau in Deutschland zwischen 2002 und 2022 im gleichen Tempo wie in China vor sich gegangen wäre. Und zwar mit den finanziellen Mitteln, die bei einem Verzicht auf die Investitionen in Wind- und Solaranlagen frei geworden wären.
Als Quintessenz all dieser Berechnungen kommt die Studie zu einem Kostenfazit, das in der nächsten Grafik veranschaulicht wird:

Atomausstieg: dümmster Fehler
Die Grafik zeigt mit den blauen Balken – jetzt mit entsprechenden Schwankungsbreiten – dass die aktuelle Energiewende in Deutschland um 696 Milliarden Euro gekostet hat. Die grünen Balken illustrieren, dass Einsparungen um 605 Milliarden Euro möglich gewesen wären, wenn die bestehenden Kernkraftwerke weitergelaufen wären. Und die roten Balken geben an, dass mit dem Weiterbetrieb der bestehenden und einem Ausbau neuer Kernkraftwerke immer noch um 332 Milliarden Euro hätten eingespart werden können.
Fazit: Der Entscheid Deutschlands vollständig aus einem der wohl besten Atomstromsysteme der Welt auszusteigen, ist wahrscheinlich der dümmste und folgenreichste Fehler, den unsere nördlichen Nachbarn in letzter Zeit gemacht haben.
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