Homo Sapiens Politik

Heute sterben wir an Herzkreislaufkrankheiten – nicht mehr an Tuberkulose

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Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 142“ im Online-Nebelspalter vom 17. März 2025 zu lesen.

Unsere Spezies Homo sapiens hat unter allen Säugetieren die zweitlängste Lebenserwartung: Einzig der Grönlandwal mit seinem langsamen Stoffwechsel und ohne natürliche Feinde kann über 200 Jahre alt werden. Dann aber kommt der Mensch, der es manchmal über 100 Jahre schafft, vor dem Asiatischen Elefanten und dem Orca. Dabei hat sich die menschliche Lebenserwartung in der Schweiz in den letzten 150 Jahren gut verdoppelt. Wie aber sieht es bei den Krankheiten aus, die zum Tod führen? Ich zeige hier die Entwicklung der wichtigsten Todesursachen über die letzten 150 Jahre.

Was wichtig ist:

– Bis vor rund 100 Jahren starben die Menschen in der Schweiz hauptsächlich an epidemischen Infektionskrankheiten, insbesondere an Tuberkulose (TB).
– Nachdem wir diese Geissel weitgehend eliminiert haben, sind heute Herzkreislaufkrankheiten und Krebs die dominierenden Todesursachen.
– Seit 1980 sinken aber auch die Opferzahlen wegen Herzkreislaufproblemen stark.

Älteste Statistik

Die Todesursachenstatistik ist eine der ältesten Statistiken des Bundesamtes für Statistik (BFS, siehe hier): Seit 1876 gibt es verlässliche Daten über die Ursachen, die bei den Einwohnern der Schweiz zum Tod führen. Dabei werden den Regeln der Weltgesundheitsorganisation WHO entsprechend nur die Grundkrankheiten mit tödlicher Wirkung erfasst, und nicht allfällige Folgekrankheiten, die beim Sterbeprozess ebenfalls eine Rolle gespielt haben.

Todesursachenstatistiken werden jährlich erstellt, damit Vergleiche über die Zeit und mit anderen Ländern möglich sind. Die Todesursache, also die Grundkrankheit, die für jeden einzelnen Todesfall verantwortlich ist, wird von den zuständigen Ärzten an das BFS gemeldet. Dort wird die Gesamtzahl der Fälle pro Todesursache für ein Jahr ermittelt. Diese Zahl wird dann gemessen an der Zahl der Einwohner der Schweiz in der Mitte des entsprechenden Jahres. Daraus errechnet sich die sogenannte Sterbeziffer, die ausgedrückt wird in «wie viele Gestorbene auf 100‘000 Einwohner».

Altersstandardisierte Sterbeziffer

Weil aber die Opferzahlen bestimmter Todesursachen in den verschiedenen Altersgruppen verschieden sind, und weil in einzelnen Altersgruppen bestimmter Länder unterschiedlich viele Menschen leben, wird am Schluss eine sogenannte altersstandardisierte Sterbeziffer berechnet, in der all diese Unterschiede entsprechend gewichtet sind. Dadurch können Vergleiche über die Zeit und zwischen den Ländern gemacht werden.

Aus dem jüngsten Bericht zur Methodik der Todesursachenstatistik des BFS (siehe hier) zeige ich hier eine Grafik, die die zeitliche Entwicklung der Sterbeziffern der wichtigsten Todesursachen in der Schweiz von 1876 bis 2019 zeigt:

Todesursachench 1876
Quelle: BFS

Wie man sieht, werden die Kurven 1968 und 1995 jeweils unterbrochen. Dies hat mit der Einordnung zu tun, mit der die Fälle klassifiziert wurden. Bis 1968 galt ein rein schweizerisches System. 1968 hat die WHO das erste internationale System zur Klassifikation von Krankheiten herausgebracht (ICD-8), das von der Schweiz übernommen wurde. 1995 wurde dieses System als ICD-10 weiter verfeinert.

Tuberkulose und Infektionskrankheiten sind stark zurückgegangen

Das Gesamtbild dieser Grafik kann man in drei Entwicklungen zusammenfassen:

  1. Tuberkulose (rot), Lungenentzündung (hellgrün) und Epidemische Infektionskrankheiten (blau) – ab 1968 abgelöst durch Infektionen und parasitäre Krankheiten (hellblau) – starten mit hohen Werten, die bis Mitte 20. Jahrhundert deutlich sinken, um von dort weg auf tiefem Niveau zu verbleiben.
  2. Krebs (dunkelblau) und Herzkreislauferkrankungen (gelb, erst ab 1900 erfasst) gehen den umgekehrten Weg: Sie steigen bis in die 1980-er Jahre, um dann unterschiedlich rasch zu sinken.
  3. Unfälle und Gewalt (schwarz) entwickeln sich schwankend auf leicht sinkendem Niveau.

Verbesserungen dank sauberem Wasser, besserer Hygiene und Impfungen

Die wichtigsten Infektionskrankheiten in der Schweiz am Ende des 19. Jahrhunderts waren Cholera, Pocken und Typhus. Die Sterblichkeitsrate wegen dieser Krankheiten konnte bereits bis Ende der 1920er-Jahre auf ein sehr tiefes Niveau gedrückt werden. Dabei spielten besseres Trinkwasser, strengere Hygienevorschriften und Gesundheitsaufklärung eine wichtige Rolle. Zudem gab es Impfungen gegen Typhus seit dem späten 19. Jahrhundert. Bei den Pocken wurde sogar schon 1874 eine Impfpflicht eingeführt.

Auch bei der Bekämpfung von Tuberkulose konnten grosse Erfolge gefeiert werden. Und dies bereits vor Einführung des Antibiotikums Streptomycin im Jahr 1947, das diese Behandlung revolutionierte. Massgeblich zu den Erfolgen beigetragen haben verbesserte Lebensbedingungen (Hygiene, sanitäre Einrichtungen), Früherkennung durch bessere Diagnostik (Röntgenstrahlen), Isolierung (Tuberkulose-Patienten wurden in Sanatorien behandelt) und Ernährungsverbesserungen. Heute kommt Tuberkulose in der Schweiz nur noch äusserst selten vor.

Krebs löst Infektionskrankheiten ab

Diese erfolgreiche Bekämpfung von ansteckenden Infektionskrankheiten, zusammen mit der damit ermöglichten steigenden Lebenserwartung führten seit dem Ersten Weltkrieg – intuitiv eigentlich paradox – zum gewaltigen Anstieg der Alterskrankheiten Krebs und Herzkreislaufversagen als Todesursachen. Weil wir aber so oder so sterben müssen, hat das erfolgreiche Abwehren von Parasiten, die uns von aussen befallen, dazu geführt, dass mit zunehmendem Alter die Risiken von Fehlfunktionen unserer Zellen (Krebswucherungen) stark gestiegen sind. Zudem plagen Ermüdungserscheinungen unser lebenswichtiges Pumpsystem und setzen es zuweilen ausser Kontrolle.

Beeindruckender Rückgang bei den Opfern wegen Herzkrankheiten

Aber auch bei diesen beiden neuen Herausforderungen können wir bereits Erfolge verbuchen. Denn wie die Grafik zeigt, ist vor allem bei der Zahl der Opfer wegen Herzkreislaufkrankheiten in den letzten knapp vierzig Jahren ein eindrücklicher Rückgang zu verzeichnen: Von 450 pro 100’000 Einwohner sinkt die Zahl auf 230 pro 100’000 Einwohner im Jahr 2019 – ein Rückgang um beinahe 50 Prozent.

Krebstote gehen kaum zurück

Harziger verläuft der Fortschritt bei der Zahl der Todesfälle wegen Krebserkrankungen. Zwar sieht man auch da seit 1990 Verbesserungen, aber nur im kleinsten Ausmass. Nur darf man nicht vergessen, dass wir eben immer noch sterben müssen. Und das bedeutet, dass selbst wenn wir mit erfolgreichen Therapien gewisse Krebsarten ausmerzen könnten, wir dadurch zwangsläufig unter anderen (Altersermüdungs-)Krankheiten wieder mehr leiden würden.

Solange wir an unsererm Körper nicht alles ersetzen können, bleiben wir sterblich – und diese Endlichkeit des Lebens scheint mir gut so. Dass wir aber diejenigen Krankheiten, die zu einem frühen Tod führen, praktisch alle weitgehend ausgemerzt haben, und nun sogar auch bei den unausweichlich verbleibenden Alterskrankheiten Verbesserungen erzielt haben, zeigt eindrücklich, welch hohen Lebensstandard wir bereits erreicht haben.

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