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Negative Strompreise: So absurd wirkt die deutsche Energiewende

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Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 131“ im Online-Nebelspalter vom 11. November 2024 zu lesen.

Negative Strommarktpreise gibt es dann, wenn Verkäufer an der kurzfristigen Strombörse bereit sind, einen Preis dafür zu bezahlen, dass ihr Strom von einem Käufer abgenommen wird. Diese absurde Situation – der Käufer bekommt nicht nur die Ware sondern auch noch Geld dafür – tritt dann ein, wenn Stromanbieter sehr viel überschüssigen Strom los werden müssen, für den kein Bedarf besteht. Wer aber ist so ungeschickt und produziert überschüssigen Strom? Es ist Deutschland (und ähnliche Stromwirtschaften) mit einer grossen Anzahl nicht steuerbarer Wind- und Solaranlagen.

Was wichtig ist:

– Wind- oder Sonnenstrom, der von den Verbrauchern nicht benötigt wird, führt zu tiefen und manchmal sogar negativen Börsenstrompreisen.
– Deutschlands Stromsystem hat deswegen allein im Juli 2024 einen Verlust von 1,9 Milliarden Euro verbuchen müssen.
– Mit dem starken Ausbau von Wind- und Solaranlagen steigt die Zahl der Stunden mit Strompreisen unter Null in Deutschland immer mehr an.

Zuerst müssen wir verstehen, durch welche Faktoren die Preise im kurzfristigen Strommarkt Deutschlands beeinflusst werden. Dies lässt sich aus der nächsten Grafik herauslesen, auf welcher der Stromverbrauch, die Stromerzeugung und die Strommarktpreise einer sonnenreichen Woche im Juli 2024 in zeitnaher Auflösung zu sehen sind. Die Grafik stammt von der Webseite «Energy-Charts» (siehe hier):

Energycharts Woche28 Juli24
Quelle: Energy Charts

Die Grafik zeigt für die sieben Tage der Woche vom 8. bis 14. Juli 2024 den Stromverbrauch (Last, schwarze Linie oben) sowie die Stromerzeugung der einzelnen Energieträger in Megawatt pro Viertelstunde (Skala am linken Rand der Grafik). Die verschiedenen Energieträger sind als farbige Bänder von Laufwasser (blau unten) bis zu Solar (gelb oben) kumuliert eingezeichnet.  

Die rote gezackte Linie stellt die Preisentwicklung im Halbstundentakt des sogenannten Day-Ahead-Handels dar: das ist der Ort, wo an der Börse 24 Stunden im voraus der Preis für Stromlieferungen ausgehandelt wird. Am rechten Rand der Grafik sieht man die entsprechende Preisskala in Euro pro Megawattstunde, die von minus 100 bis plus 300 Euro reicht.

An einem Sonntag während neun Stunden Negativpreise

Von den Preisen her fällt der Sonntag, 14. Juli, der letzte Tag dieser Woche, auf: In den neun Stunden von 9 bis 18 Uhr liegen die Preise im Negativbereich. Der tiefste Wert von minus 74 Euro pro Megawattstunde gilt von 13 bis 15 Uhr. Wie es zu diesem Wertzerfall des Stromes in dieser Zeit kommt, zeigt die Grafik: Während der ganzen Zeit mit Negativpreisen weist das Stromsystem einen Überschuss auf. Dieser entsteht, weil am Wochenende der Gesamtverbrauch kleiner ist und weil deshalb der Solarinput, der in die Höhe schiesst und wieder rasch abfällt, den Strombedarf streckenweise übersteigt.

Obwohl alle steuerbaren Kraftwerke zu dieser Zeit mit minimaler Leistung fahren (sie können nicht vollständig abgestellt werden), reicht das nicht aus, diesen Überschuss zu kompensieren. Weil damit aber ein Blackout wegen Netzüberlastung droht, muss der Strom exportiert werden. Und weil dieser Exportstrom von Nachbarländern zu dieser Zeit offenbar nicht benötigt wird, muss Deutschland die Abnehmer dafür sogar noch bezahlen.

Teure fossile Kraftwerke als Lückenbüsser

Genau das Gegenteil punkto Preise passiert am Abend des Montags, 8. Juli 2024 (erster Tag der Woche): Nach einem ebenfalls sonnenreichen Tag mit entsprechenden Preisabschlägen über Mittag steigt der Preis zwischen 18 und 20 Uhr von 103 auf 257 Euro pro Megawattstunde. Warum? Weil dann grosse Mengen an Solarstrom rasch verschwinden und der Verbrauch leicht ansteigt, müssen Kohle- und Gaskraftwerke (hellbraun, dunkelbraun und orange) sowie Pumpspeicher (hellblau) die Lücken füllen. Bei den hohen Gaspreisen, die dabei verrechnet werden, kostet das entsprechend viel.

Erzeuger von erneuerbarem Strom erhalten Einspeisevergütung

Für die Gesamtrechnung der deutschen Stromerzeugung fallen neben dem Börsenpreis auch die Vergütungen ins Gewicht, die den Besitzern von Wind- und Solaranlagen nach dem «Erneuerbare-Energien-Gesetz» (EEG, siehe hier) ausbezahlt werden müssen. Dieses seit 2000 geltende Gesetz regelt, dass Strom aus erneuerbaren Quellen im Netz prioritär behandelt wird, und dass die Erzeuger dieses Stroms während einer bestimmten Zahl von Jahren eine fixe Einspeisevergütung erhalten.

Die nächste Grafik zeigt die Bilanz aus EEG-Einspeisevergütung und Börsenstromwert in zeitnaher Auflösung für den Juli 2024. Die Grafik stammt von Rolf Schuster von Vernunftkraft Odenwald (siehe hier):

Eeg Eex Juli24
Quelle: R. Schuster, Vernunftkraft

Die Grafik zeigt für Deutschland im Juli 2024 einerseits die Ausgaben für die EEG-Einspeisevergütungen an die Betreiber von Solar- und Windanlagen (grüne Fläche blau umrandet) und andererseits die dafür erzielten Einnahmen beim Verkauf an der Strombörse EEX (blaue Fläche). Alle Werte sind in Millionen Euro pro Viertelstunde angegeben. Die rote Fläche stellt die Bilanz aus diesen beiden Posten dar: Börseneinnahme (blau) minus Einspeisevergütung (grün).

Im Juli gingen 2,64 Milliarden Euro an die Betreiber von Wind- und Solaranlagen

Bei den Einspeisevergütungen sieht man, wie sehr der Solarstrom, der mit einem höheren Tarif abgegolten wird, ins Gewicht fällt: Mit den markanten Solarstromspitzen in diesem Sommermonat schwellen die Abgaben an die Betreiber tagsüber stark an. Dagegen sind die Ausgaben für Windstrom in der Nacht gering. Insgesamt hat Deutschland im Juli 2024 Vergütungen in der Höhe von 2,64 Milliarden Euro an die Wind- und vor allem Solarbetreiber ausgerichtet.

Dagegen schlagen die Einnahmen (blaue Fläche) mit lediglich 0,75 Milliarden Euro zu Buch. Und weil es nur ab und zu in der Nacht Zeiten gibt, wo der Ertrag höher ist als die Ausgaben, fällt die finanzielle Gesamtbilanz (rot) sehr häufig negativ aus – besonders stark natürlich tagsüber wegen den hohen Solarvergütungen. Am extremsten ist es am schon besprochenen Sonntag, den 14. Juli: Weil negative Marktpreise wie zusätzliche Kosten wirken, führte das zu Spitzenausgaben von 12 Millionen Euro pro Viertelstunde. Und über den ganzen Monat gerechnet muss Deutschland einen Verlust von 1,9 Milliarden Euro verkraften.

Im Juli 2024 gab es 85 Stunden mit negativen Marktpreisen

Bei einer solchen Kannibalisierung des Marktpreissystems durch zu viel Solarstrom im Sommer und tendenziell zu viel Windstrom im Winter sind Zeiten mit negativen Strompreisen (blaue Spitzen unterhalb der Nulllinie) nur die Spitze des Eisberges: Sie deuten auf eine grössere, schädliche Entwicklung hin. Im betrachteten Monat Juli 2024 gab es während insgesamt 85 Stunden Börsenpreisen unter Null – das ist Rekord: In jeder achten Stunde des Monats trat also die absurde Situation ein, dass Deutschland die Abnehmer seines überschüssigen Stromes sogar noch bezahlen musste.

2024 doppelt so viele Stunden mit negativen Strompreisen wie 2023

Ganz generell nehmen die Stunden mit negativen Strommarktpreisen in Deutschland zu: Von 64 Stunden im Jahr 2014 stiegen sie auf 325 Stunden im Jahr 2023. Unterbrochen wurde diese Entwicklung 2022 mit nur 75 Stunden, was aber auf die kurzfristig enorm gestiegenen Gaspreise zurückzuführen ist. 2024 geht es weiter steil nach oben: Bereits bis Ende Oktober haben sich die Negativstunden gegenüber 2023 verdoppelt.

Fazit: Wenn die vielen Wind- und Solaranlagen Deutschlands voll produzieren, wird das für das Energiesystem rasch problematisch. Denn oft gibt es dann mehr Strom, als verbraucht wird, was zu fallenden Preisen führt. Immer häufiger müssen die Deutschen ihre Nachbarn sogar noch dafür bezahlen, dass diese den wertlosen Strom abnehmen – absurder geht es kaum mehr.

2 Kommentare zu “Negative Strompreise: So absurd wirkt die deutsche Energiewende

  1. H. Bussmann-Haller
    H. Bussmann-Haller

    Frau Thoma, ehemalige CEO von BKW, damals noch mit der sicheren, sauberen Bandenergie des sehr gut gewarteten KKW Mühleberg mit 3,3 TW/Jahresleistung bestückt, diese Dame müsste man rückwirkend belangen für diesen Fehlentscheid, dieses gute AKW sofort stillzulegen und für teures Geld zu zerstören mit eingeflogenen „Spezialisten“. Unglaublich, was für Unsinn da unter Federführung der BDP-Granden und SP-Verantwortlichen abgelaufen ist. Dank diesen unsäglich dummen Entscheidungen konnten diese Dame und ihr Umfeld ihre Riesensaläre beziehen, mit unzähligen unintelligenten Zukäufen von Firmen in halb Europa hat sie die ganze Bilanzsumme aufgebläht aber uns den saubersten und zuverlässigsten Band-Strom weggenommen. Die 3. Kühlstufe zu bauen sei zu teuer…
    Unsäglich was da abgelaufen ist! Mit Riesensubventionen wollen die Flatterstrom und Solarenergie fördern, obwohl uns das nichts bringt, sondern nur die Netze unnötig belastet. Wir machen den Deutschen alle Dummheiten nach, dabei sehen wir ja, dass diese Rezepte alle nichts taugen sondern völlig kontraproduktiv sind! Wollen wir bei uns auch mit der Deindustrialisierung anfangen – siehe Stahl Gerlafingen – wie in Deutschland?

  2. Walter Krähenmann
    Walter Krähenmann

    Es gibt hier zwei grundlegende Problem:
    1. Die Einspeisevergütung wurde ohne Zukunftsperspektive eingeführt, also ohne denken über den Tellerrand hinaus: was passiert, wenn sehr viele Solaranlagen laufen? Aber das ist ja normal in der Politik.
    2. Eigentlich dürften Politiker nicht mehr über Energieversorgung entscheiden, weil ihnen das Fachwissen weitgehend fehlt. Und diejenigen Politiker, die davon eine Ahnung haben, machen für ihre eigene Firma und ihre Branche das grosse Geschäft.
    Fazit: Die Einspeisevergütung müsste sofort abgeschafft werden. Der Strom der privaten Solarzellen MUSS in eigene Speicherbatterien fliessen, nicht ins öffentliche Netz. Ist die eigene Batterie voll, muss die Solarzelle abgeschaltet werden.
    Politiker müssen ein Assessment (wie in der Privatwirtschaft) absolvieren, um zu beweisen, dass sie etwas von Strom verstehen.

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