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Radioaktiver Abfall ist absolut sicher verpackt – im Gegensatz zu chemischen Giften

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Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 134“ im Online-Nebelspalter vom 16. Dezember 2024 zu lesen.

Atomgegner  spielen die Risiken von hochaktivem Atommüll gerne hoch: Greenpeace Deutschland etwa schreibt, dass beim Betrieb von Atomkraftwerken «der gefährlichste Müll der Menschheit» entstehe (siehe hier). Wird die Gefährlichkeit jedoch anhand der Giftmenge gemessen, die pro Abfallkategorie erzeugt wird, schneidet der Atommüll unter den giftigsten Abfällen am besten ab. Doch Atomgegner übergehen Vergleiche: Denn wenn man die verschiedenen Abfallkategorien miteinander vergleicht, kommt heraus, dass Atommüll am wenigsten Schäden und Opfer verursacht – vor allem deshalb, weil wir gelernt haben, wie wir damit umgehen müssen.

Was wichtig ist:

– Gemäss Atomgegner handelt es sich bei radioaktiven Abfällen um den gefährlichsten Müll der Menschheit.
– Ein Vergleich zeigt hingegen, dass zahlreiche Substanzen viel tödlicher sind. Und diese Substanzen bleiben im Gegensatz zu radioaktivem Abfall ewig giftig.
– Während jährlich Millionen Menschen wegen Chemieabfällen ums Leben kommen, ist noch nie jemand wegen Atommüll gestorben.

Das Risiko, durch Abfallstoffe zu Schaden zu kommen, kann man erst richtig einschätzen, wenn man vergleicht. Dies macht der promovierte Kernphysiker Walter Rüegg in seinem neuen Buch «Zeitalter der Ängste – Aber fürchten wir uns vor dem Richtigen?» (siehe hier) ausführlich. Alex Reichmuth hat das Buch im «Nebelspalter» bereits besprochen (siehe hier). Im Folgenden verwende ich Zahlen, die im Kapitel 11, «Abfälle», des Buches zu finden sind. Walter Rüegg hat mir darüber hinaus viele Fragen direkt beantwortet.

Gifte einnehmen ist am gefährlichsten

Wie misst man die Giftigkeit eines Stoffes überhaupt? In vielen Studien wird die Toxizität einer Substanz anhand der Menge angegeben, die zum Tod führt. Weil verschiedene Menschen aber unterschiedlich reagieren, verwendet Walter Rüegg eine 50-Prozent-Todesdosis, die sogenannte LD50 (Lethal dose 50%,). Das ist diejenige Dosis, bei der 50 Prozent der betroffenen Menschen in den nächsten Wochen nach der Gifteinwirkung an den akuten Folgen sterben.

Zudem geht er davon aus, dass die verschiedenen Stoffe eingenommen werden (Ingestion). Das heisst, sie gelangen über Nahrungsmittel oder Trinkwasser in den Verdauungstrakt. Die Wissenschaft ist sich einig, dass diese Einwirkungsart am gefährlichsten ist: Wir betrachten also die LD50-Dosis in diesem schlimmstmöglichen Fall.

Hochaktiver Atommüll wird in schweren Stahlbehältern verpackt

Auch bei den radioaktiven Abfällen betrachten wir die gefährlichste Kategorie: die hochaktiven Abfälle. Diese bestehen aus abgebrannten Brennelementen, die beim Betrieb von Kernkraftwerken anfallen. Beinahe die gesamte Toxizität dieser Brennelemente ist in den sogenannten Spalt- und Brutprodukten konzentriert, die jedoch nur fünf Prozent der Abfallmenge ausmachen. Der grosse Rest besteht aus einer praktisch harmlosen Natururan-Keramik, in der die hochtoxischen Stoffe fest eingebunden sind.

Damit dieser tödlich strahlende Abfall vollständig von der Umwelt abgeschirmt ist, werden die abgebrannten Brennelemente in grosse dickwandige, über hundert Tonnen schwere Stahlbehälter – sogenannte Castor-Behälter – verpackt. Diese Behälter schützen darüber hinaus gegen alle möglichen äusseren Einflüsse wie Erdbeben, Flugzeugabsturz, Brand et cetera.

Tierversuche mit radioaktiven Substanzen

Um die Auswirkungen der Einnahme von hochradioaktiven Abfällen beurteilen zu können, stützt sich die Forschung in erster Linie auf Tierversuche ab, bei denen Mäusen oder Ratten radioaktive Substanzen in die Nahrung beigemischt wurden. Zudem verwendet man Erfahrungen aus seltenen Fällen grösserer Atom-Unfälle, bei denen Menschen hohen radioaktiven Dosen ausgesetzt waren.

Atommüll strahlt immer weniger stark

Die folgende Tabelle zeigt die LD50-Dosis bei Einnahme von hochradioaktiven Abfällen im Vergleich mit verschiedenen chemischen Substanzen. Die Tabelle stellt ist eine vereinfachte Version von Tabelle 11-1 aus dem Buch von Walter Rüegg. Alle Zahlen stellen Grössenordnungen dar und können bis um den Faktor zwei schwanken. Die schwarzen Zahlen stammen aus wissenschaftlicher Literatur, die grünen Zahlen sind Schätzungen, die Walter Rüegg selber gemacht hat, die aber auch in anderen Studien vorkommen.

Rüegg Ms Toxizität
Quelle: OECD / W. Rüegg / M. Schlumpf

Weil die Toxizität radioaktiver Abfälle mit deren Zerfall ständig abnimmt, wird die LD50-Dosis beim hochradioaktiven Brennstoff (Zeile 1) nach einer Abklingzeit von 50, 1000 und 100’000 Jahren angegeben. Dabei zeigt sich, dass nach tausend Jahren bereits zehn Gramm eingenommen werden müssen, um dieselbe Wirkung zu erzeugen, die nach fünfzig Jahren durch ein Gramm erreicht wird: Das heisst, die Giftigkeit hat um den Faktor zehn abgenommen (je grösser die Menge, desto ungefährlicher der Stoff).

Nach 50 Jahren ist hochaktiver Atommüll zehnmal weniger giftig als Arsen

Solche Zahlen sind aber erst aussagekräftig, wenn man sie vergleicht. Deshalb habe ich in jeder Spalte der Tabelle auch diejenigen chemischen Stoffe aufgelistet, die eine vergleichbare Toxizität aufweisen wie der hochradioaktive Abfall nach der entsprechenden Abklingzeit. Nach 50 Jahren ist hochaktiver Atommüll demnach zehnmal weniger toxisch als das gefürchtete Element Arsen, das die DNA angreift, fruchtschädigend und krebserregend ist. Viele Millionen Menschen vor allem in Bangladesch, China, Chile und Thailand sind davon betroffen, weil sie sie ständig Spuren von Arsen durch das Trinkwasser aufnehmen. Und Arsen behält seine Giftigkeit für immer – wie alle andern chemischen Substanzen auch.

Nach 100’000 Jahren ist Atommüll weniger toxisch als Kochsalz

Nach einer Abklingzeit von tausend Jahren ist hochradioaktiver Abfall vergleichbar mit Kupfer, oder Koffein. Und nach 100’000 Jahren ist sogar Kochsalz giftiger als der ehemals hochaktive Atommüll.

Um das gesamte Gefährdungspotenzial der verschiedenen Abfallsorten global einschätzen zu können, brauchen wir jetzt noch Angaben über die Mengen der einzelnen Abfälle und die Todesfälle, die sie verursachen. Dies macht Walter Rüegg in Tabelle 11-2 im Buch. Auch diese Tabelle zeige ich hier in vereinfachter Form:

Tab 11 2 Neums
Quelle: OECD / W. Rüegg / M. Schlumpf

Der Sondermüllberg wiegt 40’000-mal mehr als der Atommüllberg

Die Tabelle zeigt einen globalen Vergleich der giftigsten Abfallsorten. Dabei werden die hochradioaktiven Abfälle (nach 50 Jahren, unterste Zeile) den Bergbauabfällen, den Ascheabfällen aus Kohlekraftwerken, dem Sondermüll und dem Arsen gegenübergestellt. In der ersten Spalte sind die Abfallmengen in Millionen Tonnen pro Jahr angegeben. Hier manifestiert sich ein wichtiger Vorteil der Kernenergie: Sie erzeugt eine vergleichsweise sehr geringe Abfallmenge. Die 10’000 Tonnen hochaktive Abfälle, die weltweit pro Jahr anfallen, haben ein 40’000-mal kleineres Gewicht als der 400-Millionen-Tonnen Abfallberg aus Sondermüll.

Aus dieser Abfallmenge und der LD50-Dosis aus Tabelle 1 wird die Gesamttoxizität der verschiedenen Abfallsorten berechnet: Teilt man die Abfallmenge durch die LD50-Dosis, erhält man die Zahl der 50-Prozent-tödlichen Dosen pro Jahr. Halbiert man dieses Resultat, erhält man die Gesamtzahl der (absolut) tödlichen Dosen pro Jahr (Spalte 2, in Milliarden pro Jahr).

Hochradioaktiver Müll enthält bei weitem am wenigsten tödliche Dosen

Und diese Spalte hat es in sich: Weil hier Menge und Toxizität der Abfallprodukte berücksichtigt sind, bietet diese Spalte den aussagekräftigsten Vergleich der Gefährlichkeit der verschiedenen Abfälle. Dabei ist hochradioaktiver Müll bereits nach 50 Jahren der Stoff mit dem geringsten Gefährdungspotenzial: Die anfallenden Mengen an Arsen sind 140-mal giftiger, diejenigen an Sondermüll 400-mal und diejenigen an Kohleabfall sogar 2000-mal giftiger. Bei den Bergbauabfällen (Tailings) ist die Datenlage nicht ganz klar. Sicher ist aber, dass diese Abfälle nochmals um eine Grössenordnung toxischer sind.

Mit dieser Zahl an tödlichen Dosen ist aber erst die potenzielle Giftigkeit der verschiedenen Abfälle erfasst: Wie gross aber ist die Zahl der Menschen, die wegen dieser Abfälle effektiv getötet werden? Auf diese Frage gibt Spalte 3 die Antwort. Dort werden für jede Abfallkategorie die echten Todesfälle pro Jahr abgeschätzt. Weil aber die Todesursachen oft nicht genau bekannt sind, handelt es sich  um grobe Schätzungen. Dabei hat sich Walter Rüegg bemüht, möglichst konservative Annahmen zu treffen.

Wegen hochradioaktivem Müll sind noch nie Menschen gestorben

Auch hier ist das Resultat frappierend: Während pro Jahr viele Hunderttausende von Todesfällen durch Abfälle aus Kohlekraftwerken, durch verunreinigtes Grundwasser aus Sondermülldeponien oder durch Arsen verursacht werden, ist bisher weltweit noch kein Fall bekannt geworden, in dem ein Mensch wegen hochradioaktiven Abfällen umgekommen ist – ganz offensichtlich sind die Schutzmassnahmen, die beim Atomabfall ergriffen werden, so wirksam, dass wir Menschen praktisch vollständig davor geschützt sind.

Sichere Aufbewahrung im Zwischenlager Würenlingen

Dieser verantwortungsvolle Umgang mit hochradioaktiven Abfällen zeigt sich etwa beim Betrieb des radioaktiven Zwischenlagers «Zwilag» in Würenlingen (siehe hier), wo ich wohne. Seit über 20 Jahren wird dort ein Grossteil der hochradioaktiven Abfälle aus Schweizer Kernkraftwerken gelagert. Und dies notabene auch mit Abfällen, die noch nicht 50 Jahre abgeklungen sind. Trotzdem hat es dort noch nie einen Unfall gegeben. Und die Strahlenbelastung im Zwilag beträgt weniger als ein Millionstel der radioaktiven Dosis, die ein Bewohner der Schweiz im Durchschnitt aus natürlichen Quellen aufnimmt (siehe hier).

Wenn Greenpeace Deutschland beim hochradioaktiven Atommüll vom gefährlichsten Müll der Menschheit spricht, zeugt das von krasser Realitätsverweigerung.

2 Kommentare zu “Radioaktiver Abfall ist absolut sicher verpackt – im Gegensatz zu chemischen Giften

  1. Jürg Schwerzmann
    Jürg Schwerzmann

    Ich lese das Buch von W. Rüegg zZt – sehr aufschlussreich, sollte zumindest für Politiker zur Pflichtlektüre erklärt werden – die AKW-Gegner sollten es nicht lesen, das würde ihre faktenverweigernde Argumentation zerstören.

    Stichwort „Arsen“ ist ja im Moment auch hochaktuell 😉

  2. Peter Molinari
    Peter Molinari

    Ein weiteres gutes Argument dafür, dass die immens teure „Versorgung“ von Nuklearabfällen in „Endlagern“ ein Unsinn ist. Dies vor allem auch im Hinblick darauf, dass Reaktoren der Generation IV diese Rückstände (eben nicht Abfälle!) wieder verwerten können.
    Anlässlich eines Vortragsabends der Naturforschenden Gesellschaft Graubünden am 9. Februar 2023 hat die Vortragende, Laura Perez, Dipl. Ing. ETH/ Master of Science in Nuclear Engineering und ihre Begleiter (ebenfalls Nuklear-Ingenieure) überschlagsmässig bestätigt, dass der im ZWILA in Wührenlingen heute gelagerte Nuklearrückstand mit Rektoren der Generation IV für ca. 1’000 (tausend!) Jahre Stromproduktion für die Schweiz genügen würde.

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