Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 133“ im Online-Nebelspalter vom 25. November 2024 zu lesen.
Es gebe weltweit keine Zunahme bestimmter Extremwetterereignisse. Das hat im vergangenen September die ostfriesische EU-Politikerin Anja Arndt von der AfD gesagt, in einer Rede vor dem Europäischen Parlament. Am 15. November erschien daraufhin in der «Ostfriesen-Zeitung» ein Artikel mit dem Titel «Anja Arndts falsche Klimaaussagen im EU-Parlament» (siehe hier). Es handelte sich um einen Faktencheck, der zum Schluss kam, dass Anja Arndts Aussagen falsch seien. Da sich Arndt bei ihrer Aussage auf eine Kolumne von mir abgestützt hat (siehe hier), zeige ich hier, warum die «Ostfriesen-Zeitung» falsch liegt.
Was wichtig ist:
– Die deutsche AfD-Politikerin Anja Arndt hat in einer Rede vor dem EU-Parlament gesagt, dass es gemäss dem Weltklimarat keine Zunahme an Überschwemmungen, Starkregen und Dürren gebe – gestützt auf einen Beitrag von mir.
– Die «Ostfriesen-Zeitung» behauptete in einem sogenannten Faktencheck, die Aussage sei falsch.
– Doch dieser Faktencheck geht am Thema vorbei, wie ein Blick in den Grundlagenbericht des Weltklimarats zeigt.
Was hat Anja Arndt in ihrer Rede vor dem EU-Parlament genau gesagt (siehe hier)? Stein des Anstosses war folgende Passage: «Im aktuellen Sachstandsbericht des IPCC stellt der Weltklimarat höchstpersönlich im zwölften Kapitel auf Seite 1856 fest, dass es weltweit aufgrund der bisher verfügbaren Daten keine Zunahme an Überschwemmungen, Starkregen und Dürren gibt. Und dieser Bericht zeigt ausserdem, dass sogar bis zum Ende dieses Jahrhunderts keine Zunahme zu erwarten ist.»
Diese Aussage hat Anja Arndt aus meiner Kolumne «Fakten zum Klimawandel, die so nicht sein dürfen» vom 10. Juni 2024 übernommen (siehe hier). In dieser Kolumne habe ich umstrittene Aussagen einer Klimastudie über Trends bei Überschwemmungen, Starkregen und Dürre anhand von Daten des Weltklimarates (IPCC) verifiziert. Daraus erklärt sich die Konzentration auf gerade diese drei Wetterphänomene.
Behauptung: Tabelle falsch wiedergegeben
Zu welchem Schluss aber kommt Claus Hock, Reporter der «Ostfriesen-Zeitung», in seinem Faktencheck? Er behauptet schlichtweg, die zitierte Aussage von Anja Arndt sei falsch: «Sie hat eine Tabelle nicht richtig wiedergegeben.» Dabei handelt es sich um die Tabelle, die auf der von Arndt erwähnten Seite 1856 des neuesten Sachstandsberichts AR6 (Sixth Assessment Report) zu finden ist. Und zwar im letzten Kapitel 12 des Physikalischen Grundlagenberichts der Arbeitsgruppe I (The Physical Science Basis, siehe hier).
Weil diese Tabelle eine Schlüsselrolle hat in der Auseinandersetzung zwischen Anja Arndt und der «Ostfriesen-Zeitung», zeige ich zuerst, was diese Tabelle generell aussagt. Die nächste Grafik zeigt den obersten Teil dieser Tabelle 12.12, die im Schlusskapitel des Berichts zu finden ist:
Das Thema dieses Schlusskapitels ist das «Auftreten klimatischer Antriebsfaktoren im Laufe der Zeit und in verschiedenen Szenarien». Tabelle 12.12 fasst die wissenschaftlichen Erkenntnisse des ganzen Kapitels übersichtlich zusammen. Unter den 33 klimatischen Antriebsfaktoren (Climatic Impact-driver), die in Kolonne 2 der Tabelle aufgeführt sind, findet man unter anderem auch alle Extremwetterereignisse. Die für uns relevanten habe ich mit roten Punkten markiert: Überschwemmungen (River flood), Starkregen (Heavy precipitation and pluvial flood) und zwei Arten von Dürren (Hydrological resp. Agricultural and ecological drought).
In Spalte drei wird angegeben, ob ein Trend für die verschiedenen Antriebsfaktoren beim Auftreten (Emergence) einzelner Ereignisse bis heute zu beobachten ist oder nicht. In den Spalten 4 und 5 wird in die Zukunft bis 2100 geschaut. Über die Art der Trendentwicklung in den einzelnen Zellen geben die verschiedenen Farben Auskunft:
Orange bedeutet demnach Abnahme (Decrease) und blau Zunahme (Increase) der Zahl der Ereignisse innerhalb der Antriebsfaktoren. Dabei bedeutet fettgedruckt, dass diese Aussage hohes wissenschaftliches Vertrauen (High confidence) geniesst, während blassgedruckte Aussagen nur bei mittlerem Vertrauen (Medium confidence) gelten. Konsequenterweise sagt eine weisse Zelle deshalb aus, dass wenig Vertrauen (Low confidence) bezüglich Richtung eines Trends vorhanden ist – sprich: dass es keinen Trend gibt.
Bei den zur Debatte stehenden Antriebsfaktoren Überschwemmungen, Starkregen und Dürren (rote Punkte) zeigt die Tabelle in Spalte 3 überall weisse Zellen. Die Aussage Anja Arndts, dass es «keine Zunahme an Überschwemmungen, Starkregen und Dürren gibt», ist also richtig. Und auch was sie über die Erwartungen für die Zukunft sagt, wird durch die Tabelle bestätigt.
Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle kritisiert die Aussage
Was also bringt die «Ostfriesen-Zeitung» dazu, Arndts Aussage als falsch zu taxieren? Die Zeitung stützt sich bei ihrer Beurteilung auf Auskünfte der deutschen IPCC-Koordinierungsstelle (siehe hier). Und diese kommt laut Zeitung zum Schluss, dass die Aussage von Anja Arndt eindeutig nicht stimme: «Sie hat eine Tabelle nicht richtig wiedergegeben.» Als Begründung folgt eine längere Passage, in der sehr fachspezifisch beschrieben wird, um was es in der Tabelle im Allgemeinen geht.
Diese Beschreibung ist weitgehend unverständlich. Zum Beispiel heisst es: «…die Tabelle zeigt wissenschaftliche Erkenntnisse zur Emergenz klimatischer Antriebsfaktoren mit Relevanz für Klimafolgen.» Ich glaube, dass solche Sätze ohne zusätzliche Hilfe kaum verständlich sind. Trotzdem wird anhand von Aussagen der IPCC-Koordinationsstelle in der Zeitung richtig beschrieben, was die Tabelle generell aussagt.
Der Faktencheck zielt am Thema vorbei
Aber dann bricht die Beschreibung ab: Man liest kein Wort darüber, was aus der Tabelle über die Ereignis-Trends bei den zur Debatte stehenden Extremwettern konkret herausgelesen werden kann. Somit kann dieser Faktencheck nicht als stichhaltig angesehen werden, denn er geht im Grunde gar nicht auf das zur Diskussion stehende Thema ein.
Mit diesem Einwand habe ich mich direkt an die deutsche IPCC-Koordinierungsstelle gewendet. Diese verteidigt ihren Standpunkt. Bezeichnend ist, wie die Stelle auf meine Feststellung: «Weisse Zellen signalisieren, dass es keine Trends gibt» reagiert. Ihre Antwort: «Weisse Felder bedeuten nicht, dass hier keine Änderung zu verzeichnen wäre, sondern dass das wissenschaftliche Vertrauen hinsichtlich der Existenz eines Trends in Bezug auf die Emergenz zum Zeitpunkt der Berichtserstellung sehr gering war.» Das ist reine Wortklauberei: Die Koordinierungsstelle sagt inhaltlich dasselbe wie ich, nur so, dass man es nicht versteht.
Das IPCC spricht mal wissenschaftlich, mal politisch
Neben der geschilderten Argumentation bezüglich Tabelle 12.12 streut Autor Claus Hock in seinem Artikel immer wieder unkommentierte Zitate des Weltklimarats ein, um seine Sicht zu untermauern. Am Schluss liest man beispielsweise: «Seit dem Fünften Sachstandsbericht (AR5) gibt es noch stärkere Belege für beobachtete Veränderungen von Extremen wie Hitzewellen, Starkniederschlägen, Dürren und tropischen Wirbelstürmen…» Dieses Zitat stammt aus der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger (Summary for Policymakers) des sogenannten Syntheseberichts von AR6 (siehe hier).
Aussagen in den IPCC-Summarys sind am wenigsten wissenschaftlich
In diesem Synthesebericht werden die Inhalte der drei grossen Hauptteile des Sachstandsberichts AR6 zusammengefasst. Der erste Hauptteil bildet die Physikalische Wissenschaftsbasis, aus dem unsere oben diskutierte Tabelle stammt. Mit Aussagen aus dem Synthesebericht hat man also einen Schritt Richtung inhaltlicher Verallgemeinerung gemacht. Und noch deutlich weiter weg vom wissenschaftlichen Kern befindet man sich bei den Summarys for Policymakers. Denn bei deren Abfassung nehmen Politiker vieler Länder Einfluss.
Der Goldstandard ist die Physical Science Basis
Der oben zitierten politischen Aussage aus dem Summary des Syntheseberichts, das von «stärkeren Belegen für beobachtete Veränderungen von (…) Starkniederschlägen und Dürren (…)» spricht, stehen zwei wissenschaftlich gewichtigere Aussagen aus dem Physikalischen Grundlagenteil von AR6 entgegen. In Abschnitt 12.5.2 heisst es dort:
- «Es besteht wenig Vertrauen in die Häufigkeit von starken Niederschlägen …»
- «Es besteht geringes Vertrauen in das Auftreten von Dürrehäufigkeit in Beobachtungen …»
Diese zwei Aussagen sind in der besprochenen Tabelle 12.12 grafisch aufbereitet.
Fazit: Die Aussage der EU-Abgeordneten Anja Arndt erweist sich als richtig. Demnach ist global bisher keine Zunahme an Überschwemmungen, Starkregen und Dürren feststellbar, und dies wird auch in Zukunft nicht erwartet. Das bestätigt der wissenschaftliche Teil des neuen Sachstandsberichts AR6 des Weltklimarates. Die vermeintliche Widerlegung in der «Ostfriesen-Zeitung» geht am Thema vorbei.
Danke für Ihre sehr sorgfältige Analyse. ( ich habe nicht alles gelesen.
Hier eine kleine Ergänzung: Youtube: Interview mit Hr. Dr. Joachim Engler. Ein System- Denker Mensch. Er begründet warum es in den vergangenen Jahren keinen einzigen Wirbelstrum gegen hat. Begriffe Feedback positiv/ negativ, Komplexe Zahlen, sehr hohe Verstärkung. Schreiben man an der ETH- Ausbildung in Grundlagen wird es wohl keine handvoll Interssenten geben. Ja eben weiterhin kämpfen gegen die verschiedenen Ideologien.
Viel Geduld und Durchhalte- Willen ein UHU aus der Ostschweiz