Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 151“ im Online-Nebelspalter vom 26. Mai 2025 zu lesen.
Im letzten Beitrag (siehe hier) habe ich gezeigt, wie viel zusätzlichen Strom wir im Jahr 2050 mit der geplanten Energiewende pro Jahr verbrauchen werden. Weil aber sowohl die Erzeugung als auch der Verbrauch an Elektrizität im jahreszeitlichen Rhythmus schwanken, müssen wir bei unserer Analyse von allgemeinen Jahreszahlen zu aussagekräftigeren Monatsdaten wechseln. Dabei sticht ins Auge, dass die Schweiz bei der Stromversorgung ein massives Winterproblem hat.
Was wichtig ist:
– Im Winter 2050 (November bis Februar) benötigt die Schweiz schätzungsweise 37 Terawattstunden Strom.
– Wird bis dahin die Energiewende umgesetzt und sind alle Kernkraftwerke abgestellt, vermögen Wasserkraftwerke und die neuen Erneuerbaren aber nur 20 Terawattstunden Strom zu erzeugen.
– Der Schweiz fehlen im Winter 2050 also 17 Terawattstunden Strom – fast die Hälfte des Bedarfs.
Zuerst werfen wir einen Blick auf den monatlichen Stromverbrauch in der Schweiz in den letzten sechs Jahren:

Die Zahlen stammen aus der Zeitreihe «Schweizerische Elektrizitätsbilanz – Monatswerte», die das Bundesamt für Energie (BFE) unter «Elektrizitätsstatistik» publiziert (siehe hier). Alle Werte sind in Gigawattstunden (GWh) angegeben, sie reichen vom Januar 2019 bis zum Januar 2025.
Im Januar verbrauchen wir am meisten Strom
Die Grafik zeigt, dass alljährlich der Januar der Monat mit dem höchsten Verbrauch ist (um 6000 GWh schwankend). Von diesem Höchstwert ausgehend, liegen jeweils die vorangehenden Werte für den Dezember und den November auf ähnlicher Höhe, während der nachfolgende Februar etwas abfällt. Dies ist aber allein darauf zurückzuführen, dass der Februar um drei Tage kürzer ist als der Januar.
Im Schnitt brauchen wir in einem Wintermonat 5800 GWh
Somit lässt sich aus der Grafik ableiten, dass es sinnvoll ist, beim Stromverbrauch der Schweiz von einer viermonatigen Winterperiode (November bis Februar), einer viermonatigen Sommerperiode (Mai bis August) sowie zwei Übergangsperioden (März/April und September/Oktober) auszugehen. Der durchschnittliche Monatsverbrauch beträgt im zehnjährigen Mittel dabei im Winter 5800 GWh und im Sommer 4500 GWh.
Betrachten wir jetzt die besonders kritische Winterzeit genauer. Die nächste Grafik zeigt, wie gross der Zusatzbedarf an Strom wegen der Elektrifizierung in den Bereichen Mobilität, Wärme und Wachstum in einem durchschnittlichen Wintermonat ist:

Erhöhter Strombedarf bei E-Fahrzeugen im Winter
Die Zahlen dieser Grafik sind in Terawattstunden (TWh) angegeben. Ausgangspunkt ganz links ist der oben berechnete Ist-Verbrauch von 5800 GWh, was 5,8 TWh entspricht. Dazu kommt ein Zusatzverbrauch, den ich von den Jahreszahlen meines letzten Beitrages ableite (siehe hier). Bei der Mobilität (blau) schlage ich auf den Monatsdurchschnitt von 1 TWh 20 Prozent dazu, weil der Stromverbrauch in E-Fahrzeugen im Winter wegen der zusätzlichen Heizung des Fahrzeuginnenraumes und der Batterie sowie grösserem Roll- und Luftwiderstand grösser ist als im Sommer.
Jährliche Wachstumsrate leicht erhöht
Bei den Wärmepumpen (rot) gehe ich davon aus, dass nur im Winter geheizt wird. Auf unseren verkürzten Winter bezogen ergibt das 1,5 TWh pro Monat. Und beim Wachstum (grün) korrigiere ich meine Annahme der jährlichen Wachstumsrate, die ich in der letzten Kolumne gemacht habe, etwas nach oben: Kommentare zu meinem Beitrag haben mich davon überzeugt, dass wegen einer kommenden Roboterisierung und einem starken Wachstum von Datenzentren für KI-Anwendungen meine 0,35 Prozent zu tief gelegen sind.
Im Winter 2050 pro Monat 59 Prozent mehr Strom
Deshalb gehe ich jetzt von einer durchschnittlichen Wachstumsrate pro Jahr von 0,5 Prozent aus, was zu einem zusätzlichen jährlichen Strombedarf in diesem Sektor von jährlich 9 TWh führt. Bezogen auf einen Monat ergibt das die angegebenen 0,75 TWh. Damit steigt der monatliche Strombedarf im Winter insgesamt von heute 5,8 auf 9,25 TWh bis ins Jahr 2050 – was einem Plus von 59 Prozent entspricht.
Wie soll der ganze Winterstrom erzeugt werden?
Nun stellt sich die Frage, wie wir die 37 TWh, die wir im ganzen viermonatigen Winter 2050 verbrauchen werden, bereitstellen können. Bei der Antwort auf diese Frage gehe ich von der Annahme unserer geplanten Energiewende aus, dass bis 2050 keine Kernkraftwerke mehr in Betrieb sind, dass wir die Wasserkraft nur marginal ausgebaut haben und dass der Ausbau der PV-Anlagen und der übrigen neuen Erneuerbaren Energien gemäss «Energieperspektiven 2050+» (siehe hier) realisiert ist. Die nächste Grafik zeigt, wie unter diesen Bedingungen die Stromerzeugung im Winter 2050 aussieht:

Die Grafik zeigt, dass die Stromerzeugung aus Wasserkraft (9 TWh Speicherwasser und 4 TWh Laufwasser) insgesamt 13 TWh ausmacht. Dazu kommt der Winterertrag aus den Annahmen der «Energieperspektiven 2050+», der für das ganze Jahr bei den PV-Anlagen von 34 TWh ausgeht und mit weiteren 5 TWh aus Wind, Geothermie und Biogas rechnet. Umgerechnet auf unseren Winter ergibt das 5 TWh Solarstrom und 2 TWh Strom aus den übrigen neuen Erneuerbaren.
Im Winter fehlen 17 Terawattstunden
Gemäss Vorgaben unserer Energiewende beträgt demnach die gesamte Landeserzeugung an Strom im Winter 2050 20 TWh. Um den notwendigen Verbrauch von 37 TWh zu decken fehlen also 17 TWh – das ist fast die Hälfte des gesamten Stromverbrauchs im Winter 2050: ein beunruhigender Befund!
Wie die Zahlen dieser Grafik zustande gekommen sind und auf welche Weise eine derart grosse Winterlücke gedeckt werden kann, das behandle ich in meinen folgenden Beiträgen.
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Unausgegorene Energiewende
Mit der Annahme des Stromgesetzes hat die Schweiz letztes Jahr die Weichen für die Energiestrategie neu gestellt: Künftig soll ein grosser Teil der Elektrizität von Wind und Sonne kommen. Doch was bedeutet dieser Wechsel für die Stabilität des Stromsystems? Können wir künftig ohne neue Grosskraftwerke auskommen? Und schützen wir damit wirklich das Klima? In einer Serie beleuchtet Kolumnist Martin Schlumpf die Probleme und Grenzen der «Energiestrategie 2050» und zeigt, welche Lösungen es gäbe.
Bisher erschienen:
Energieverbrauch der Welt: Ökologische Wende lässt auf sich warten
Bei der Energie hat die Schweiz Vieles richtig gemacht
Der Stromverbrauch der Schweiz wird fast um die Hälfte steigen
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