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Die Sonne bringt im Winter 2050 nicht genug Strom

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Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 152“ im Online-Nebelspalter vom 9. Juni 2025 zu lesen.

Im letzten Beitrag (siehe hier) habe ich abgeschätzt, dass wir im Winter 2050 nach den Vorgaben des Bundes, also ohne Atomstrom, unseren Stromverbrauch nur gut zur Hälfte decken können. In den folgenden Beiträgen gehe ich die verschiedenen Möglichkeiten durch, wie wir das massive Stromloch, das sich im Winter auftut, stopfen könnten. Heute zeige ich, dass es mit Photovoltaik-Anlagen allein (also ohne zusätzliche Speicherung) nicht geht.

Was wichtig ist:

– Die Arbeitsauslastung Schweizer Photovoltaik-Anlagen liegt im Jahresschnitt bei gerade mal 9,4 Prozent.
– Im Winter (November bis Februar) sinkt diese Auslastung sogar unter fünf Prozent.
– Um die Winterlücke 2050 zu decken, müsste im Mittelland neunmal die Fläche des Zürichsees mit Solaranlagen überbaut werden.
– Oder es müssten 17’000 hochalpine Anlagen wie «Alpin Solar» an der Muttsee-Staumauer gebaut werden.

Ausgangspunkt der folgenden Betrachtungen ist die Beschreibung unseres Stromsystems für den Winter 2050, die ich gemäss Vorgaben der «Energieperspektiven 2050+» des Bundes (siehe hier), in meinem letzten Beitrag gemacht habe:

Winter 2050 all
Quelle: BFE, Martin Schlumpf

Wenn ich im Folgenden von Winter spreche, meine ich die vier kritischen Wintermonate November bis Februar, in denen wir am meisten Strom verbrauchen: Wie die Grafik zeigt (schwarzer Balken), sind es insgesamt 37 Terawattstunden (TWh). Um die Frage zu beantworten, wie die rot eingezeichnete Stromlücke von 17 TWh mit Solarstrom gedeckt werden kann, ist es sinnvoll, zuerst zu zeigen, wie ich zu den 5 TWh Strom aus Photovoltaik (PV)-Anlagen gekommen bin (gelber Balken), die uns im Winter 2050 bereits zur Verfügung stehen.

Laut Bund erzeugen wir 2050 viermal mehr Solarstrom als heute

Ausgangspunkt für die Berechnung dieser 5 TWh ist die Vorgabe der «Energieperspektiven 2050+» des Bundes, dass wir 2050 34 TWh Solarstrom im Jahr erzeugen – das ist viermal mehr als heute. Als erstes stellt sich dann die Frage, wie viel PV-Leistung installiert werden muss, damit man so viel Jahresstrom erhält. Das kann man mithilfe der sogenannten Arbeitsauslastung beantworten.

Die Arbeitsauslastung gibt an, wie lange ein Stromerzeuger seine volle Leistung bringt

Nehmen wir an, Familie Muster installiert auf dem Dach ihres Einfamilienhauses eine PV-Anlage, deren Leistung 10 Kilowatt (kW) beträgt. Nach einem Informationsblatt des Bundes kann sie damit jährlich 10‘000 Kilowattstunden (kWh) Strom erzeugen. Um die Arbeitsauslastung dieser Anlage zu ermitteln, wird die tatsächlich erzeugte Strommenge mit dem verglichen, was die Anlage erzeugt hätte, wenn sie ununterbrochen mit voller Leistung gelaufen wäre: Bei 10 kW Leistung wären das jährlich 87‘600 kWh (ein Jahr hat 8760 Stunden).

Da die erzeugten 10‘000 kWh elf Prozent von 87‘600 kWh ausmachen, beträgt die Arbeitsauslastung dieser Anlage über ein ganzes Jahr gesehen elf Prozent. Die folgende Grafik, in der die jährliche Arbeitsauslastung der Schweizer PV-Anlagen seit 1990 dargestellt ist (die Zahlen stammen aus der «Gesamtenergiestatistik 2023» des BFE, siehe hier), zeigt aber, dass das in Wirklichkeit eine eher optimistische Zahl ist:

Pv arbeitsauslastung 1990
Quelle: BFE, Martin Schlumpf

PV-Arbeitsauslastung liegt in der Schweiz bei nur 9,4 Prozent

Die Grafik zeigt, dass die jährliche PV-Arbeitsauslastung seit 1990 von rund acht auf zehn Prozent gesteigert werden konnte. Ausgerechnet mit dem massiv verstärkten Ausbau seit 2020 ist sie aber wieder gegen acht Prozent gesunken: Offensichtlich sind die Launen der Witterung nicht steuerbar. Im Schnitt der letzten zehn Jahre zeigt die Grafik eine jährliche Arbeitsauslastung von 9,4 Prozent (waagrechter gelber Strich).

Solarpanels auf der doppelten Fläche des Zürichsees

Trotzdem habe ich für die Berechnung der Leistung, die für die Erzeugung der vom Bund geforderten 34 TWh Solarstrom bis 2050 benötigt wird, konservativ eine Auslastung von zehn Prozent angenommen: So gerechnet wird für 34 TWh Solarstrom im Jahr eine installierte Leistung von 39 Gigawatt (GW) benötigt. Das entspricht der 39-fachen Leistung des KKW Gösgen. Für Schweizer Verhältnisse ist das eine enorm grosse Zahl, die zur Folge hätte, dass wir 190 Quadratkilometer Fläche mit PV-Anlagen überbauen müssten – das entspricht der doppelten Fläche des Zürichsees.

Monatliche Arbeitsauslastung im Winter

Das ist aber nur der erste Schritt, denn nun muss berechnet werden, wie viel Strom aufgrund dieser Leistung im Winter entsteht. Dies kann aus der nächsten Grafik herausgelesen werden, in der die monatliche Arbeitsauslastung der Schweizer PV-Anlagen aus dem Jahr 2024 angeführt ist: Zum ersten Mal hat das Bundesamt für Energie (BFE) für dieses Jahr in seinen monatlichen Elektrizitätsbilanzen die Stromerträge für Wind und PV publiziert (siehe hier). Aus diesen aktuellsten Zahlen habe ich die monatliche Auslastung der Schweizer Solaranlagen berechnet:

Pv auslastung monat 2024
Quelle: BFE, Martin Schlumpf

PV-Auslastung im Winter nur noch drei Prozent

Die Grafik zeigt, wie stark die Arbeitsauslastung der Schweizer Solaranlagen von Monat zu Monat schwankt: zwischen zwei Prozent im Januar und 15 Prozent im Juli. Für den Winter (schwarze Balken) ergibt sich eine durchschnittliche Arbeitsauslastung von mageren drei Prozent. Mit einer solchen Auslastung würde im Winter aus 39 GW Leistung nur 3,5 TWh Strom erzeugt. Da ich bei meinen Berechnungen aber konservativ mit 4,5 Prozent Arbeitsauslastung im Winter rechne, ergibt sich der in der ersten Grafik gezeigte PV-Winterstromertrag von 5 TWh (gelber Balken).

Winterstromlücke mit 170 Gigawatt PV decken?

Nun können wir einfach hochrechnen, was es brauchen würde, um die Stromlücke von 17 TWh im Winter, die sich trotz dem Solar-Input von 5 TWh öffnet, allein mit dem Zubau von PV-Anlagen im Mittelland zu decken. Dazu müssten zusätzliche Solaranlagen mit einer Leistung von insgesamt 131 GW errichtet werden. Zusammen mit den bereits installierten 39 GW ergäbe das eine benötigte Solarleistung von horrenden 170 GW!

Eine solche Lösung ist natürlich völlig illusorisch. Das zeigt sich auch, wenn man berücksichtigt, dass Deutschland – ein viel grösseres Land mit starkem Solarausbau – derzeit gerade die 100 GW-Marke überschritten hat. Und es wäre für die Schweiz wohl auch nicht «schön», wenn wir eine Fläche, die neunmal so gross ist wie der Zürichsee, mit Solarmodulen überbauen würden.

Oder mit 17’000 «Alpin Solar»-Anlagen?

Es bleibt als letzter Ausweg der Bau von alpinen Solaranlagen, weil diese ja im Winter mehr Strom liefern. Für eine grobe Abschätzung verwende ich hier die Zahlen der Axpo-Anlage «Alpin Solar» an der Staumauer des Muttsees auf 2500 Meter über Meer (siehe hier) – die bisher grösste Solaranlage in den Schweizer Alpen. Vom Winterertrag von 1,3 GWh, der dort ausgewiesen wird und sich auf sechs Monate bezieht, müssen wir für unseren verkürzten Winter noch ein Drittel abziehen. Unter diesen Bedingungen müssten für die Deckung unserer Winterlücke 17’000 alpine Solaranlagen von der Grösse von «Alpin Solar» gebaut werden. Damit würden 170 Quadratkilometer Alpenfläche industriell überbaut. Auch das ist nicht machbar.

Fazit: Ich bin noch gar nicht auf die gewaltigen Probleme punkto Netzkapazitäten und Zusatzspeicher eingegangen, die sich bei solch gigantischen PV-Ausbauplänen vor allem im Sommer stellen würden. Doch auch so zeigen meine Überschlagsrechnungen klar, dass die Sonne im Winter niemals genug Strom liefern kann. Die Versorgung wäre in Gefahr: So kann das Winterloch nicht gestopft werden.

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Unausgegorene Energiewende

Mit der Annahme des Stromgesetzes hat die Schweiz letztes Jahr die Weichen für die Energiestrategie neu gestellt: Künftig soll ein grosser Teil der Elektrizität von Wind und Sonne kommen. Doch was bedeutet dieser Wechsel für die Stabilität des Stromsystems? Können wir künftig ohne neue Grosskraftwerke auskommen? Und schützen wir damit wirklich das Klima?  In einer Serie beleuchtet Kolumnist Martin Schlumpf die Probleme und Grenzen  der «Energiestrategie 2050» und zeigt, welche Lösungen es gäbe.

Bisher erschienen:
Energieverbrauch der Welt: Ökologische Wende lässt auf sich warten
Bei der Energie hat die Schweiz Vieles richtig gemacht
Der Stromverbrauch der Schweiz wird fast um die Hälfte steigen
Im Winter fehlt beinahe die Hälfte des Stroms

1 Kommentar zu “Die Sonne bringt im Winter 2050 nicht genug Strom

  1. Roland Salomon
    Roland Salomon

    2 Punkte, wo unsere Regierung offensichtlich schläft:
    1. Die Zukunft der Energieversorgung geht nicht ohne Atomkraft. Jetzt dringend mit der Planung beginnen (eventuell könnte in Mühleberg eine vorhandene Infrastruktur genutzt werden).
    2. Die Finanzierung der AHV ist ohne Erhöhung des Pensionierungsalters nicht zufriedenstellend lösbar. Siehe Skandinavien.

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