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Auch Wasserkraft deckt die Stromlücke im Winter 2050 nicht

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Der Originalbeitrag ist als „Schlumpfs Grafik 153“ im Online-Nebelspalter vom 17. Juni 2025 zu lesen.

Im letzten Beitrag (siehe hier) habe ich gezeigt, dass wir das riesige Stromloch im Winter 2050 mit Solaranlagen allein nicht stopfen können. Jetzt gehe ich darauf ein, ob das mit der Wasserkraft gelingen kann. Dabei geht es auch um die Richtigstellung der irreführenden Aussage, dass wir mit Wasserspeicherkraftwerken überschüssigen Solarstrom aus dem Sommer in den Winter transferieren können.

Was wichtig ist:

– In der Schweiz kompensieren die Speicherwasserkraftwerke zwar die Winterschwäche der Laufwasserkraftwerke.
– Um die Winterlücke 2050 zu decken, müsste man aber zwölfmal Grande Dixence bauen – die grösste Speicheranlage der Schweiz. Das ist illusorisch.
– Oder man müsste 500-mal ein Pumpspeicherwerk wie Linth-Limmern errichten. Das geht erst recht nicht.

Wiederum gehe ich von der Beschreibung unseres Stromsystems für den Winter 2050 aus, die ich in einem früheren Beitrag gemäss Vorgaben der «Energieperspektiven 2050+» des Bundes abgeleitet habe (siehe hier):

Winter 2050 all
Quelle: BFE, Martin Schlumpf

Die Grafik zeigt, dass wir im Winter 2050 (November bis Februar) aus Speicherwasserkraftwerken durchschnittlich 9 Terawattstunden (TWh, blau) und aus Laufwasserkraftwerken (Kraftwerke an Flüssen) 4 TWh Strom (hellblau) erwarten können. Wie sind diese Zahlen zustande gekommen?

Die Schweiz gehört zu den wenigen Ländern, in denen Wasserstrom der dominierende Stromerzeuger ist: Bei uns macht die Wasserkraft gegen 60 Prozent der Landeserzeugung aus. Dabei kommt der Hauptteil des Wasserstroms aus den Speicherwerken, also denjenigen Anlagen, in denen Strom durch Turbinieren von fallendem Wasser aus Speicherseen erzeugt wird.

Der Füllungsgrad der Speicherseen

Das Muster, wie diese Speicherseen im jahreszeitlichen Rhythmus gefüllt und geleert werden, kann man aus der nächsten Grafik herauslesen: Sie zeigt den Füllungsgrad der Schweizer Speicherseen im Jahresverlauf (Daten vom Bundesamt für Energie, BFE):

Speicherseen
Quelle: BFE, Martin Schlumpf

Der Füllungsgrad wird wöchentlich gemessen und in Prozent des maximalen Volumens (100 Prozent) angegeben. Wie man in der Grafik sieht, werden die Seen durch natürliche Wasserzuflüsse vom Frühling bis in den Herbst gefüllt: Ab Oktober/November beginnt die Leerung, die bis Februar/März dauert. Das hellblaue Band zeigt die Minima und Maxima der Füllungsgrade in den Jahren 2013 bis 2021. Mit der hellblauen Linie werden die Mittelwerte aus dieser Zeitperiode angegeben.

Die dunkelblaue Linie zeigt zudem die Füllstände im Jahr 2025. Dabei fällt auf, dass wir im letzten Winter einen extrem tiefen Stand hatten: Schon Anfang März waren die Seen nicht einmal mehr zu 20 Prozent gefüllt: Das unterstreicht die Notwendigkeit, die Winterperiode auf die vier Monate November bis Februar zu begrenzen, wie ich es hier tue (schwarze Balken).

Knapp 6 Terawattstunden aus den Speicherseen

Ausserdem kann an der hellblauen Linie der Grafik abgelesen werden, dass die zu erwartende Strommenge der Speicherseen begrenzt wird durch ein Maximum von rund 85 Prozent im Oktober und ein Minimum von etwa 20 Prozent im März. Bei einem 100-Prozent-Speicherinhalt von 8895 Gigawattstunden (GWh) lässt sich daraus ein durchschnittliches Strompotenzial von 5780 GWh oder 5,78 Terawattstunden (TWh) für den Winter ableiten.

Winterstromschwäche der Laufwasserwerke

Nun müssen wir auch die Laufwasserkraftwerke (Flusskraftwerke) berücksichtigen. Dabei ist entscheidend, dass der Stromertrag aus Laufwasserkraftwerken, die nur mit natürlichen Zuflüssen gespeist werden, im Winter nur halb so gross ist wie im Sommer. Diese Stromschwäche der Wasserkraft im Winter kann aus der nächsten Grafik herausgelesen werden: Sie zeigt, wie viel Laufwasser- und wie viel Speicherwasserstrom in den letzten zehn Wintern (November bis Februar) erzeugt wurde (Daten vom BFE):

Wasserstrom winter
Quelle: BFE, Martin Schlumpf

Speicherwerke kompensieren Winterschwäche der Laufwerke

Die Grafik zeigt erstens, wie schwankend die Stromerträge bei der Wasserkraft von Jahr zu Jahr sind. Und zweitens sieht man, dass aus Laufwasser (hellblau) im Winter nur knapp die Hälfte Strom gewonnen werden kann, verglichen mit dem Ertrag aus Speicherwasser (dunkelblau): Mit dem Einsatz der Speicherwerke kann die Schweiz die Winterstromschwäche ihrer Laufwasserwerke also teilweise kompensieren.

Ausbau der Speicherseen bis 2050 um 1,5 TWh

Für meine Berechnungen relevant sind nun die Mittelwerte aus diesen zehn Winterperioden (waagrechte Striche): Beim Laufwasser sind das 3,87 TWh, beim Speicherwasser sind es 7,45 TWh. Die Zahlen für die Wasserkraft in der ersten Grafik sind aus diesen gemessenen 10-jährigen Mittelwerten abgeleitet. Beim Speicherwasser (9 TWh) habe ich zudem angenommen, dass zu den bisherigen 7,5 TWh durch einen moderaten Ausbau der Speicherseen bis 2050 nochmals 1,5 TWh hinzukommen.

Studien zeigen allerdings, dass wegen Verlandung der Speicherseen und wegen neuer Gesetzgebung bezüglich Restwassermengen die Stromerträge sowohl beim Speicherwasser als auch beim Laufwasser zurückgehen werden. Meine Annahme einer zunehmenden Stromproduktion aus Wasserkraft ist also optimistisch.

Zwölfmal die höchste Staumauer der Welt

Nun stellt sich die Frage: Was würde es brauchen, um die Winterlücke von 17 TWh mit Speicherkraftwerken zu decken? Als Vergleichsmassstab verwende ich das grösste Speicherwerk der Schweiz: Die gesamte Anlage «Grande Dixence» im Kanton Wallis (siehe hier). Diese liefert im Winter gut 2 TWh Strom. Auf den Kernwinter November bis Februar heruntergerechnet ergibt das rund 1,35 TWh. Somit müsste man zwölfmal eine derart gigantische Staumauer (mit 285 Metern Höhe die höchste Gewichtsstaumauer der Welt) bauen, um aus gestautem Wasser im Winter genügend Strom produzieren zu können, um das Winterloch zu stopfen – eine total illusorische Vorstellung!

500 mal Limmern

Oder – sagen Viele – wir bauen genügend Pumpspeicherkraftwerke, damit wir überschüssigen Sommerstrom aus Photovoltaikanlagen für den Winter speichern können. Um zu zeigen, was das bedeuten würde, brauche ich als Vergleichsmassstab das Pumpspeicherkraftwerk Limmern im Kanton Glarus – die Betreiberin Axpo bezeichnet dieses Werk als «Batterie in den Bergen» (siehe hier). Limmern erzeugt bei einer vollständigen Leerung aber nur 0,034 TWh Strom. Für die Deckung unserer Winterlücke wären also 500 solche Grossanlagen notwendig!

Saisonale Speicherung ist mit Pumpspeicherwerken nicht möglich

Das ist natürlich wiederum völlig illusorisch. Aber es steckt auch noch ein grundsätzlicher Denkfehler dahinter: Denn ein Pumpspeicherwerk wird nur gebaut, wenn die Betreiber davon ausgehen, dass sie mit dieser Anlage laufend Strom zu einem Preis verkaufen können, der höher liegt, als die Kosten, die sie für das Hochpumpen des Wassers bezahlen müssen. Nur so kann ein Pumpspeicherwerk wirtschaftlich betrieben werden.

Aus diesem Grund ist es ausgeschlossen, dass ein solches Werk im Sommer mittels überschüssigem Solarstrom gefüllt wird und danach seinen Betrieb bis in den Winter einstellt, um dann die gespeicherte Energie zur Verfügung zu haben: Ein solches Vorgehen würde zum wirtschaftlichen Ruin dieses Werks führen. Pumpspeicherwerke sind für den kurzzeitigen Pumpen/Turbinieren-Betrieb ausgelegt, bei dem im Stromhandel ein Gewinn erzielt werden kann.

Fazit: Mit den vielen Speicherkraftwerken, die wir in den Alpen haben, können wir die Winterschwäche der Laufkraftwerke zum Teil kompensieren. Mehr Winterstrom erhalten wir aber nur durch den Ausbau von Speicherseen. Doch die notwendigen Dimensionen sprengen jedes machbare Niveau. Die Speicherung von überschüssiger Sommerenergie von Solaranlagen in den Winter ist mit der Wasserkraft grundsätzlich nicht möglich.

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Unausgegorene Energiewende
Mit der Annahme des Stromgesetzes hat die Schweiz letztes Jahr die Weichen für die Energiestrategie neu gestellt: Künftig soll ein grosser Teil der Elektrizität von Wind und Sonne kommen. Doch was bedeutet dieser Wechsel für die Stabilität des Stromsystems? Können wir künftig ohne neue Grosskraftwerke auskommen? Und schützen wir damit wirklich das Klima?  In einer Serie beleuchtet Kolumnist Martin Schlumpf die Probleme und Grenzen  der «Energiestrategie 2050» und zeigt, welche Lösungen es gäbe.

Bisher erschienen:
Energieverbrauch der Welt: Ökologische Wende lässt auf sich warten
Bei der Energie hat die Schweiz Vieles richtig gemacht
Der Stromverbrauch der Schweiz wird fast um die Hälfte steigen
Im Winter fehlt beinahe die Hälfte des Stroms
Die Sonne bringt im Winter 2050 nicht genug Strom

3 Kommentare zu “Auch Wasserkraft deckt die Stromlücke im Winter 2050 nicht

  1. Hedi Bussmam
    Hedi Bussmam

    Fragen wir doch Frau Thoma, wieso sie das super gut funktionierende KKW Mühleberg, das eine Jahresleistung von 3,3 TW auswies und uns in der Umgebung nie auch nur eine Minute Bauchweh gemacht hatte, zusammen mit Frau Egger SP und ihren Helfershelfern aus der BDP einfach vom Netz genommen wurde und sofort von eingeflogenen „Spezialisten“ abgebaut werden musste. Die 3.Kühlstufe, die unserer Fukushima-Bundesrätinnen als zusärtliche Sicherheit verlangten, für den Fall, wenn der Wohlense auslaufen würde , monierte diese Frau Thoma, sei viel zu teuer um gebaut zu werden.
    Sie selber bezog einen exorbitant hohen Lohn und die Linken motzten nie dagegen. Und sie war dauernd auf Einkaufstour um ausländische Firmen mitsamt Personal einzukaufen… Es gab manchen Flop.

  2. Niklaus Baumann
    Niklaus Baumann

    Vielen Dank Herr Prof. Schlump für diesen Beitrag. Abgesehen von Ihren plausiblen Angaben und Schlussfolgerungen, nehme ich an, dass die Wasserhortung der Schweiz in diesem gigantischen Ausmass (eine ETH-Studie kam auf 7-10 GD), allein schon durch unsere Nachbarländer niemals akzeptiert würde. Man stelle sich die grossen landwirtschaftlichen Anbaugebiete entlang der Rhone und des Rheins bei trockenen Sommern vor oder die Kühltürme der französischen KKW entlang der Rhone.
    Schon das Gedankenspiel führt mich nach Absurdistan»: Die Schweiz hortet in gigantischem Ausmass Wasser während der Schneeschmelze und im Sommer, das dann den Anrainerstaaten nicht mehr zur Verfügung steht, und lässt dieses im Winter bloss zwecks Stromerzeugung den „Bach“ runter, dann nämlich wenn weder Kartoffel, Gemüse usw. wachsen oder die Provence zur Wüste geworden ist. Spätestens dann aber käme Napoleon nicht das Gold holen sondern das Wasserschloss!

    Gedanken aus Absurdistan – oder etwa nicht?

  3. Arturo Romer
    Arturo Romer

    Das ist ein sehr guter Beitrag von Prof. Martin Schlumpf. Selbstverständlich soll /muss die Wasserkraft weiter ausgebaut werden (z.B. neue Pumpspeicher-Wasserkraftwerke, Ergänzung mehrerer Wasserkraftwerke durch Pumpbetrieb). Damit wird die winterliche Stromlücke jedoch noch nicht komplett vermieden. Prof. Schlumpf sagt auch richtig, dass das Transferieren von überschüssiger Sommer-Fotovoltaik auf den Winter ein irreführender Vorschlag ist. Ja zu mehr Wasserkraftwerken. Jedoch auch ja zu moderner Kernenergie (Generation IV). Diese Planung sollte möglichst rasch beginnen. Moderne der Generation IV (z.B. der Thorium-Reaktor mit Protonenschleuniger von Rubbia) sind effizient, ökologisch, sicher und bezahlbar.

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